Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte eines Porträts, das beinahe eine Königin machte
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Als Christina von Dänemark dem wahrscheinlich besten Porträtisten ihrer Zeit gegenübersaß, war sie Tochter eines abgesetzten Königs, eine Herzogin, eine Witwe und gerade erst 16 geworden. Mit zwölf hatte sie den Herzog von Mailand, Francesco Sforza, geehelicht. Keine 24 Monate später war dieser den Folgen eines Giftanschlags erlegen.
Nun weilte die junge Tochter Christians II. von Dänemark und Norwegen in Brüssel am Hof Marias von Ungarn und beobachtete den weithin berühmten Künstler bei der Arbeit. Dass er ausgerechnet ihren Kopf auf Leinwand bannen würde, war das Werk eines Mannes, der gewohnt war, seinen Willen zu bekommen: König Heinrich VIII. von England, jener Tudor-Herrscher, der durch seinen Verschleiß an Ehefrauen Geschichte schrieb. Er hatte den Maler Hans Holbein nach Brüssel geschickt.
Dessen steile Karriere begann einst in Basel, wo er sich zunächst als Illustrator diverser Bücher hervortat. 1526 reiste er auf Empfehlung des bekannten Humanisten Erasmus von Rotterdam nach England, um unter der Schirmherrschaft des Staatsmanns Thomas More zu arbeiten. Dort entwickelte er sich mit seinem naturalistischen Stil, typisch für die nördliche Renaissance, zum beliebtesten Porträtisten des Adels.
Nach kurzer Rückkehr in seine Heimatstadt Basel, die mittlerweile protestantisch und damit wenig lukrativ für einen Maler wie Holbein geworden war, kehrte er in den 1530er Jahren nach England zurück. Dort verhalf ihm der Kontakt zum mächtigen Berater des Königs, Thomas Cromwell, zu einer Anstellung am Hof. Cromwell hatte die Propagandawirkung guter Porträtkunst erkannt und fand in Holbein den perfekten Ausführenden. Bis heute prägt sein Gemälde Heinrichs VIII., in dem er den König als einen allein schon wegen seiner Statur imponierenden Machtmenschen darstellte, das Bild der Nachwelt von dem Herrscher.
Ein Blick auf die Zukünftige?
Holbein malte nicht nur den König, sondern auch Cromwell selbst, diverse Mitglieder des Hofs und natürlich auch die Frauen Heinrichs. Als sich Holbein im Jahr 1538 Richtung Brüssel einschiffte, hatte Heinrich bereits mit drei Frauen vorm Altar gestanden. Von der ersten, Katharina von Aragon, ließ er sich scheiden, was in den Bruch mit der katholischen Kirche mündete, heiratete daraufhin Anne Boleyn, die er wiederum auf Basis höchstwahrscheinlich erfundener Anschuldigungen köpfen ließ. Und schließlich war da noch Jane Seymour, die ihm zwar endlich einen männlichen Nachkommen bescherte, allerdings wenig später an den Folgen der Geburt verstarb.
Und so war der König nun wieder auf der Suche nach einer Frau. Sein Blick, gelenkt von Cromwell, fiel auf Kontinentaleuropa, wo Kaiser Karl V. über Spanien und Franz I. über Frankreich herrschte. Schnell war eine standesgemäße Partie ausfindig gemacht, eine Nichte des Habsburgerkaisers, jung und frisch verwitwet: Christina von Dänemark.
Politisch war das attraktiv. Aber auch optisch? Heinrich wollte es genauer wissen und schickte seinen Hofporträtisten in Begleitung eines Botschafters zu Christina. Ein Bild, so heißt es bekanntlich, sagt mehr als tausend Worte.
Die Audienz bei der jungen Frau war allerdings überraschend knapp bemessen, schreibt die Kunsthistorikerin Christiane Hertel in einem Beitrag über das Gemälde. Von 13 bis 16 Uhr durfte Holbein sie am 12. März porträtieren. Das ist natürlich viel zu kurz für ein Ganzkörperporträt, darum ist es sehr wahrscheinlich, dass Holbein in jenen Stunden einzig eine Zeichnung, vor allem ihres Gesichts anfertigte. Mit farbigen Kreiden und wohl auch mit Hilfe eines Farbfächers, mit dem er die Hautfarbe leichter zuordnen konnte. Dieses Vorgehen war das übliche Prozedere Holbeins bei der Anfertigung seiner Porträtgemälde. Eine ganze Menge dieser Vorarbeiten sind erhalten und können heute zum Beispiel in der National Gallery oder in Windsor Castle besichtigt werden.
Verzückter König
Zurück in England soll Heinrich direkt bei der Ankunft des Malers am 18. März das vorläufige Porträt betrachtet haben. Offenbar gefiel ihm, was er sah: Angeblich ließ er seine Hofmusiker den ganzen Tag Musik spielen. Das erste Mal seit dem Tod seiner dritten Frau Jane Seymour wohlgemerkt.
Außerdem wies er an, die Zeichnung nun auch in ein Ganzkörperporträt umzuwandeln. Holbein schritt zur Tat und schuf jenes Porträt, das wir auch heute noch bewundern können. Gekleidet in ihre schwarze, aber edle Trauerkleidung ist ihr Blick direkt, fast ein bisschen herausfordernd, ein Merkmal, das im direkten Kontrast zu den damals üblichen demütigen Frauenporträts steht.
Und so sagte dieses Bild letztendlich statt tausender Worte nur eines, nämlich Nein. Christina schien wenig geneigt, sich mit Heinrich VIII. zu verheiraten. Gern wird die Anekdote erzählt, dass sie bei einem Treffen mit dem englischen Botschafter meinte, hätte sie zwei Köpfe, würde sie einen gern dem König überlassen. Eine nette Anekdote, aber dann doch etwas zu freimütig für eine Frau, die schon in jungen Jahren durch ihr diplomatisches Geschick aufgefallen war. Verbrieft ist einzig die Aussage, dass sie demütige Dienerin des Kaisers sei, was er wolle, das würde sie tun. Nachdem Heinrich aber im Jahr 1539 vom Papst exkommuniziert worden war, hatte der Kaiser an der Verbindung zu England ohnehin das Interesse verloren.
Heinrich heiratete stattdessen im Jahr 1540 Anna von Kleve, die als Tochter eines protestantischen Herzogs eine gute Wahl war, um England gegen das Kaiserreich und das katholische Frankreich zu positionieren. Ein politisch kluges Ansinnen, die Ehe wurde trotzdem noch im selben Jahr annulliert. Die Erwartungen, die Holbein mit seinem Gemälde der Braut in spe geweckt hatte, erfüllte die leibhaftige Anna nicht. Heinrich sollte bis zu seinem Tod im Jahr 1547 noch zwei weitere Male heiraten.
Auch Christina heiratete nur einige Jahre später dann doch noch ein zweites Mal. »Ich bin die glücklichste Frau auf Erden«, soll sie nach der Eheschließung mit Franz, dem Herzog von Lothringen, gesagt haben. Trotz dreier Kinder, die dieser Ehe entsprangen, währte dieses Eheglück aber auch nur kurz. Franz verstarb schon im Jahr 1545. Christina, mit nur 23 Jahren zweimal verwitwet, heiratete danach nie wieder, ließ aber bis zu ihrem Tod im Jahr 1590 ihren politischen Einfluss, nicht zuletzt als Herzogin von Lothringen und Mailand, weiterhin spielen.
Auf ein besseres Porträt als das aus ihrer Brüsseler Zeit konnte sie zeitlebens freilich nicht mehr hoffen. Holbeins Gemälde steht für sich genommen als zeitloses Meisterwerk der Malerei, auch weil es politische Ambitionen und persönliche Wünsche in einem einzigen Bild einfängt. Zugleich erzählt es vom Schicksal einer jungen Frau von Stand, die für ein paar Tage in den Dunstkreis eines frühneuzeitlichen Potentaten geriet und so zur Fußnote in der Geschichte der Tudor-Ehen wurde.
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