Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte, wie aus drei Päpsten einer wurde

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Gehüllt in einen grauen Umhang, schlich sich am 20. März 1415 ein Reitknecht heimlich aus der Stadt. In Konstanz am Bodensee fand gerade der größte Kongress des Mittelalters statt – und wie sich bald herausstellen sollte, war der Flüchtige kein Knecht, sondern jener Mann, der den Kongress einberufen hatte: Papst Johannes XXIII. Er war damals aber nicht der einzige Papst. Neben ihm gab es noch zwei weitere Geistliche, die den Anspruch erhoben, die römisch-katholische Kirche als Oberhaupt anzuführen: Gregor XII. und Benedikt XIII.
Papst, Papst und noch ein Papst – das Konzil von Konstanz sollte endlich diese Kirchenspaltung, das Große Abendländische Schisma, überwinden. Daher versammelten sich nicht nur alle Bischöfe der katholischen Welt am Bodensee, sondern zahlreiche weitere Geistliche. Es war ein Treffen der Superlative: Mehr als 30 Kardinäle und 300 Bischöfe, jede Menge Äbte, Priester, Mönche machten sich auf den Weg, dazu noch zahlreiche weltliche Würdenträger, wie der römisch-deutsche König und spätere Kaiser Sigismund (1368–1437) oder die Kurfürsten von der Pfalz und von Sachsen. Sie alle reisten nicht allein, sondern mit großem Gefolge. Der bekannteste Chronist über das Konzil war Ulrich von Richental (1360–1437/38), der 71 weltliche Fürsten und 141 Grafen zählte. Er ging von 70 000 Teilnehmern aus, was über die gesamte Dauer des Konzils, immerhin fast dreieinhalb Jahre, ganz gut hinkommen dürfte.
Papst Johannes XXIII. (1380–1419) kam mit 600 Gefolgsleuten über die Alpen, und die Sache begann viel versprechend für ihn. So konnte er die Mehrheit der Bischöfe und Kirchenmänner hinter sich versammeln. Zunächst jedenfalls. Die anderen beiden Päpste traten den Weg an den Bodensee gar nicht erst an. Sein Einzug Ende Oktober 1414 in Konstanz auf einem weißen Ross, begleitet von der Kurie und mit heiligen Reliquien im Gepäck, war das erste Highlight des Konzils. Es stand in krassem Gegensatz zu seiner klammheimlichen Flucht wenige Monate später. Johannes eröffnete das Konzil auch höchstselbst am 16. November 1414 im Konstanzer Münster – es war die erste von 45 Konzilssitzungen.
Erst einer, dann zwei, dann drei, dann vier?
Wie es schien, hatte Johannes alles im Griff. Die italienischen Kardinäle und Bischöfe standen fest hinter ihm und waren weit in der Mehrzahl. Aber dann kippte die Stimmung. Ein französischer Kardinal brachte die Idee auf, alle miteinander konkurrierenden Päpste abzusetzen und einen ganz neuen zu wählen. Ein riskanter Vorschlag, denn nun bestand die Gefahr, am Ende mit vier Päpsten dazustehen.
Das Konstanzer Konzil war nämlich nicht der erste Versuch, das Schisma auf einem großen Katholikenkongress zu beenden. 1409 hatten sich die Bischöfe in Pisa getroffen. Damals gab es nur zwei konkurrierende Päpste. Der Plan war, erst beide abzusetzen, um dann ein neues Kirchenoberhaupt wählen zu können. Die Wahl fand statt, aber die zwei Altpäpste wollten nicht auf ihre Ansprüche verzichten. Und bald schon war aus der »verruchten Zweiheit« eine »verfluchte Dreiheit« geworden, wie Chronist Ulrich von Richental festhielt.
König Sigismund war als »Vogt und Beschützer der Kirche« die treibende Kraft während des Konzils, der mit aller Macht das Schisma überwinden wollte. Dafür setzte er etwas Neues durch. Abstimmungen sollten nach »nationes«, also nach geografischer Aufteilung erfolgen und nicht mehr nach Köpfen, wie es bislang üblich war und wodurch die italienischen Bischöfe stets in der Überzahl waren. Durch das neue Wahlsystem ergaben sich nun andere Mehrheiten. Es wurden fünf »nationes« festgelegt, die auch als Konzilsnationen bezeichnet werden: Italica, Gallicana, Germanica, Anglica und Hispanica.
Dadurch kam tatsächlich eine Mehrheit für den Vorschlag zu Stande, alle drei amtierenden Päpste abzusetzen. Zugleich bereitete man eine Anklageschrift vor: Wegen unsittlichen Lebenswandels und der Kirchenspaltung sollte Papst Johannes unter Druck gesetzt werden. Dieser stimmte schließlich zu, im Februar 1415 abzudanken.
Sigismund hatte aber Sorge, dass Johannes entschwinden oder das Konzil vorzeitig für beendet erklären würde. Deshalb musste der Papst versichern, er würde das Konzil erst verlassen, wenn die Einheit der Kirche wiederhergestellt war.
Ein Papst nahm Reißaus
Der Papst sah nur noch eine Chance: schnellstmöglich aus der Stadt zu verschwinden. Als der König des Heiligen Römischen Reichs und damit der Schutzherr der Kirche, Sigismund, von der Flucht des Papstes erfuhr, wurde er wütend. Er schickte Kurfürst Ludwig III. von der Pfalz (1378–1436) los, um das Kirchenoberhaupt einzuholen und zu verhaften – was dem Kurfürsten im April 1415 auch gelang. Papst Johannes wurde festgesetzt und verbrachte die nächsten Jahre erst im Heidelberger Schloss und danach auf der Burg Eichelsheim bei Mannheim.
Johannes ging davon aus, dass das Konzil ohne Papst nicht beschlussfähig sei. Doch da hatte er die Rechnung ohne das Konzil gemacht. Die Versammlung verabschiedete nämlich am 6. April 1415 das Dekret »Haec sancta«. Darin wurde verfügt, dass das Konzil seine Macht direkt von Jesus Christus erhalten hätte, weshalb alle – auch der Papst – verpflichtet seien, dessen Beschlüssen zu gehorchen. »Haec sancta« war ein radikaler Bruch in der Kirchengeschichte und führte in der Folge zu langen kirchenrechtlichen Debatten. 1415 wurde es jedoch zeitnah umgesetzt: Am 29. Mai beschloss der Katholikenkongress, Johannes XXIII. abzusetzen.
Das Konzil von Konstanz hatte vielfach Folgen für die Geschichte Europas, wie die Historiker Jan Keupp von der Universität Münster und Jörg Schwarz von der Universität Innsbruck in ihrem Buch »Konstanz 1414–1418. Eine Stadt und ihr Konzil« darlegen. Zuallererst war da die Absetzung von Johannes XXIII., was auch das Schisma enden ließ. Auf dem Kongress nahmen jedoch die Hussitenkriege ihren Anfang: Der Reformator und Priester Jan Hus (1370–1415) aus Prag war wegen Ketzerei erst eingesperrt und am 6. Juli 1415 verurteilt und verbrannt worden. Das Leben seines Mitstreiters und Freundes, Hieronymus von Prag (1379–1416), der nach Konstanz eilte, um Hus zu verteidigen, endete ebenfalls auf dem Scheiterhaufen. Obwohl Sigismund Hus Schutz zugesichert hatte, war er nach dessen Verhaftung untätig geblieben.
Die Preußen kamen ursprünglich aus Franken
Das Konzil löste aber noch eine weitere historische Entwicklung aus: König Sigismund war zugleich der Kurfürst von Brandenburg. Während des Konzils im April 1417 belehnte er den Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg aus Dank für dessen Arbeit mit der Mark Brandenburg samt Kurwürde. Friedrich war damit der erste Hohenzoller in Brandenburg. Das Adelsgeschlecht sollte dort ununterbrochen herrschen, bis Wilhelm II. im Jahr 1918 abdankte. In gewisser Weise beginnt also die Geschichte Preußens in Süddeutschland.
Die Bischöfe in Konstanz waren bemüht, einen Papst zu wählen, der von möglichst vielen anerkannt wurde. Im November 1417 fand im so genannten Kaufhaus am Hafen eine Konzilssitzung statt. Nach drei Tagen stand Kardinal Oddo di Colonna als neuer Papst fest: Martin V. (1368–1431), der am 22. April 1418 das Konzil von Konstanz mit der 45. Sitzung beendete. Es war übrigens die einzige Papstwahl der Kirchengeschichte auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands.
Was wurde aus dem Papst, der das Konzil eröffnet hatte? Erst im Frühjahr 1419 kam er wieder frei. Sein Nachfolger Martin V. begnadigte ihn und setzte ihn sogar als Kardinalbischof und Dekan des Kardinalskollegiums ein. Allerdings starb Johannes bereits wenige Monate nach seiner Freilassung. Offiziell zählt ihn die katholische Kirche zu den Gegenpäpsten, weshalb es später, ab 1958, noch mal einen Johannes XXIII. gab. Auch dieser eröffnete ein Konzil: das Zweite Vatikanische Konzil am 11. Oktober 1962. Aber das ist eine andere Geschichte.
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