Krebs verstehen: Verursacht Handystrahlung Krebs?

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
Schon mehrmals habe ich eine Esoterikmesse in München besucht, bei der es vor allem um Gesundheit geht. Ich will verstehen, was meinen Patientinnen und Patienten jenseits der evidenzbasierten Medizin angeboten wird. An einigen Ständen habe ich Produkte entdeckt, die angeblich vor Handystrahlung schützen sollen. Totaler Quatsch – oder steckt da doch etwas dahinter?
Im Alltag umgeben uns ständig elektrische und magnetische Felder. Dazu zählen hochfrequente elektromagnetische Strahlung, die unter anderem Mobilfunkdaten überträgt, sowie Radar-, Radio- und Mikrowellen als auch niederfrequente elektromagnetische Strahlung, etwa von Stromleitungen oder elektronischen Geräten.
Hochfrequente elektromagnetische Strahlung liegt in einem Frequenzbereich zwischen 100 Kilohertz und 300 Gigahertz. Einen Teil ihrer Energie nimmt der Körper tatsächlich auf, etwa beim Telefonieren mit dem Handy am Ohr. Je weiter die Strahlungsquelle – etwa die Antenne einer Mobilfunksendeanlage oder das Smartphone – entfernt ist, desto weniger Energie erreicht (bei gleichbleibender Sendeleistung) den Körper. Wer eine Freisprechanlage nutzt, setzt seinen Kopf also deutlich geringeren Feldstärken aus als etwa bei einem Telefonat mit dem Mobilgerät direkt am Kopf.
Doch kann diese Energie unseren Körper überhaupt schädigen, etwa das Erbgut unserer Zellen, wie es beispielsweise UV- oder radioaktive Strahlung tun?
Wie schädlich ist das Handynetz?
Ob Umwelteinflüsse oder Substanzen, denen wir in unserem Alltag ausgesetzt sind, krebserregend sein könnten, prüft die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC). Sie teilt diese in vier Kategorien ein: krebserregend, wahrscheinlich krebserregend, möglicherweise krebserregend und nicht klassifizierbar. »Krebserregend« sind demnach Rauchen, Alkohol, hochverarbeitetes Fleisch und UV-Strahlung. Als »wahrscheinlich krebserregend« gelten rotes Fleisch, Nachtschichtarbeit sowie Heißgetränke über 65 Grad. In die Kategorie »möglicherweise krebserregend« fallen Titandioxid (Weißpigment in Wandfarbe, Zahnpasta und Sonnencreme), Gingko-Extrakt sowie traditionell asiatisch eingelegtes Gemüse. »Nicht klassifizierbar« sind etwa Kaffee oder Herzschrittmacher.
Die IARC hat hochfrequente elektromagnetische Strahlung, wie sie der Mobilfunk einsetzt, als »möglicherweise krebserregend« eingestuft. Ausschlaggebend für diese Klassifizierung waren in erster Linie Beobachtungsstudien, die ein erhöhtes Risiko für Hirntumoren bei intensiver Handynutzung nahelegten. Doch die Hinweise waren eher dünn.
»Weder in methodisch sorgfältig durchgeführten Beobachtungsstudien noch in Tierversuchen wurden Hinweise auf eine krebsauslösende Wirkung hochfrequenter Felder von Mobilfunkanlagen gefunden«
Wie genau ein Mensch einem Umwelteinfluss ausgesetzt sein muss, damit dieser Faktor Krebs auslöst, lässt sich nur schwer erforschen. Nehmen wir das Smartphone: Wer viel damit telefoniert, raucht vielleicht auch, trinkt womöglich Alkohol oder treibt seltener Sport als Wenigtelefonierer. Welcher dieser (und weiterer) Faktoren trägt wie stark zu einer Tumorbildung bei? Um Menschen bestmöglich zu schützen, raten Institutionen wie die IARC schon beim bloßen Verdacht zu Vorsicht. Hinweise liefern etwa Experimente mit menschlichen Zellen unter Laborbedingungen oder Tierversuche. Beobachtungsstudien zeigen zudem, ob Menschen, die länger bestimmten Umwelteinflüssen ausgesetzt waren, häufiger Krebs entwickeln.
Experten des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) haben Zweifel an der Aussagekraft bestimmter Studien, die einen Zusammenhang zwischen Mobilfunk und erhöhtem Krebsrisiko nahelegen. Laut BfS weisen solche Studien oft methodische Mängel auf und könnten durch andere Risikofaktoren für Krebs, beispielsweise Rauchen, verfälscht sein. Weder in methodisch sorgfältig durchgeführten Beobachtungsstudien noch in Tierversuchen wurden Hinweise auf eine krebsauslösende Wirkung hochfrequenter Felder von Mobilfunkanlagen gefunden. Zudem gibt es keinen bekannten biologischen Wirkmechanismus, der erklären könnte, wie Mobilfunkanlagen mit alltagstypischer Sendeleistung den Körper schädigen könnten.
Zusammenhang zwischen Hirntumoren und Handynutzung
Wie sieht es aber aus, wenn man mit einem Handy telefoniert? Die hochfrequenten elektromagnetischen Felder solcher Geräte sind in unmittelbarer Nähe – wenn man sie beispielsweise ans Ohr hält – nämlich stärker als die eines weit entfernten Sendemastes. Auch hier geben Experten Entwarnung: Der Wissenschaftliche Ausschuss für neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken der Europäischen Kommission erklärte 2015, dass Beobachtungsstudien zu Mobilfunk-Exposition kein erhöhtes Risiko für Hirntumoren zeigen. Auch eine Studie aus dem Jahr 2022 konnte bei 800 Kindern und Jugendlichen, die an einem Gehirntumor erkrankt waren, keine Verbindung zur Handynutzung feststellen. Eine große Beobachtungsstudie mit rund 250 000 Probanden – viele von ihnen Langzeitnutzer von Mobiltelefonen – belegte ebenfalls kein erhöhtes Risiko für Hirntumoren. Zudem gibt es aktuell keine Hinweise darauf, dass hochfrequente elektromagnetische Felder den sogenannten oxidativen Stress in Körperzellen erhöhen, der mit verschiedenen Erkrankungen in Verbindung gebracht wird. Diese Felder scheinen auch nicht die kognitive Leistung zu beeinflussen.
Bekannt ist hingegen: Die Energie hochfrequenter elektromagnetischer Felder wird in unserem Organismus zum Teil in Wärme umgewandelt. Diese Wärme wird durch den Blutfluss abtransportiert, solange die Wärmeregulation des Körpers nicht überfordert wird. Auch beim täglichen Händewaschen führen wir unseren Fingern Wärme zu, die der Blutfluss im Gewebe binnen kurzer Zeit abtransportiert. Entscheidend für die Frage, ob das auch beim Einstrahlen elektromagnetischer Felder funktioniert, ist laut BfS die sogenannte Spezifische Absorptionsrate (SAR). Sie gibt an, wie viel Strahlungsenergie pro Kilogramm Gewebe in einer bestimmten Zeit absorbiert und in Wärme umgewandelt wird. Hochfrequente Felder, die dauerhaft auf den gesamten Körper einwirken und mit SAR-Werten von zirka vier Watt pro Kilogramm einhergehen, bewirken beim Menschen eine Erhöhung der Körpertemperatur um etwa ein Grad Celsius. Solche Werte gilt es zu vermeiden, weil dann tatsächlich Unwohlsein auftreten kann. Der erlaubte SAR-Grenzwert bei Ganzkörperbestrahlung beträgt deshalb 0,08 Watt pro Kilogramm; und bei Teilkörperbestrahlung am Kopf und Rumpf – beispielsweise durch ein Mobiltelefon – zwei Watt pro Kilogramm. Alle im Handel befindlichen Handys halten diesen Wert ein. Bei Teilkörperbestrahlung an den Extremitäten sind bis zu vier Watt pro Kilogramm erlaubt.
Die Frage, ob Handystrahlung schädlich für uns sein könnte, finde ich alles andere als absurd. Aktuell gibt es aber keinen Hinweis darauf, dass sie negative gesundheitliche Folgen hat. Die Produkte von der Esoterikmesse, die vor Handystrahlung schützen sollen, bieten keinen nachgewiesenen Nutzen. Wer trotzdem unsicher ist, sollte meiner Meinung nach das Geld für solche Produkte sparen und im Zweifel lieber Kopfhörer beim Telefonieren tragen oder Textnachrichten schreiben. Das reduziert die Strahlenexposition nämlich deutlich.
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