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Hirschhausens Hirnschmalz: Brainstorming im Tohuwabohu

Eckart von Hirschhausen

Mir hat mal eine wohlmeinende Freundin ein Buch geschenkt: "Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags". Ich habe es in eine Ecke gelegt und abgewartet, ob es von selbst hilft. Schließlich war es ja ein Selbsthilfebuch. Nichts passierte. Dann habe ich es kurz durchgeblättert und verstanden: Für das Buch ist es energetisch viel besser, in einer anderen Ecke zu liegen. Hat aber auch nichts gebracht. Später habe ich mir noch zwei andere Bücher gekauft, "Einfach auf­räumen" und "Nie wieder suchen". Wenn ich ehrlich bin: Momentan wüsste ich von keinem der drei Bücher, wo genau es sich befindet.

Ist es vielleicht mein Schicksal, unordentlich zu sein? Astrologie mag ich nicht, weil ich von allen Sternbildern das bescheuertste abbekommen hab: Jungfrau! Auf Zuckerpäckchen steht über uns immer etwas wie "ordentlich, penibel, zwanghaft". Wer einen Beweis dafür braucht, dass Astrologie Kokolores ist, darf gerne jederzeit bei mir zu Hause vorbeikommen – und beim Auf­räumen helfen. Manche Freunde nennen mich "Messie", und sie meinen nicht den Fußballer.

Nicht in den Sternen, aber in der Fachzeitschrift "Psychological Science" stand nun etwas Erhellendes zum Thema: Eine ordentliche Umgebung macht angepasst, Unordnung dagegen fördert die Kreativität. Das fanden Forscher um Kathleen Vohs heraus, indem sie Studierende in einen Raum setzten, der entweder aufgeräumt war oder in dem Papierstapel, Zettel und Stifte chaotisch durcheinanderlagen.

Psychotest

Ordnung ist das halbe Leben. Unordnung ist ...?

  1. A) die bessere Hälfte
  2. B) unerträglich
  3. C) reativ
  4. D) der Anfang der Entropie

Dort sollten die Versuchspersonen vermeint­lich nur ein paar Fragebogen ausfüllen. Im ersten Experiment konnten sie zudem Geld für bedürf­tige Kinder spenden. Ergebnis: Die Probanden im ordentlichen Raum spendeten im Schnitt 2,95 Euro – fast ihren gesamten Lohn für die Teilnah­me am Versuch. Die "Chaoten" dagegen mach­ten durchschnittlich nur 1,17 Euro locker. Das kenne ich von mir. Liegt aber nicht am Geiz, son­dern daran, dass ich selten weiß, in welcher Ta­sche ich etwas Geld haben könnte.

Bei der Verabschiedung durften alle zwischen einem Apfel und einem Schokoriegel als Snack wählen. Im ordentlichen Raum entschie­den sich 60 Prozent für den Apfel, im unordent­lichen nur 20 Prozent. Das Fazit der Forscher: Eine ordentliche Umgebung begünstigt sozial er­wünschtes Verhalten. Aber mal kurz nachgedacht: Warum verwenden dann die ordnungsverliebten Schweizer ihre Äpfel zum Armbrustschießen und essen die weltbeste Schokolade? Ist es so ein­fach? Und produziert das Chaos gar nichts Posi­tives? Doch! Wenn es darum ging, sich kreative Verwendungsmöglichkeiten für Tischtennisbälle auszudenken oder zwischen einem Fruchtshake "Neu" oder "Klassik" zu wählen, kamen die Pro­banden im Durcheinander auf "unordent­lichere", sprich bessere Ideen und zeigten sich bei der Getränkewahl innovationsfreudiger.

Liebe Frau Vohs, danke für die Bestätigung meines Lebensmottos: Ordnung ist was für kleine Geister. Das Genie überblickt das Chaos. Mir ist gerade etwas Tolles eingefallen, was man mit einem Tischtennisball machen könnte. Jetzt muss ich nur noch einen finden.

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  • Quellen
Vohs, K. D. et al.: Physical Order Produces Healthy Choices, Generosity, Conventionality, whereas Disorder Produces Creativity. In: Psychological Science 24, S. 1860–1867, 2013

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