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Hirschhausens Hirnschmalz: Die Semmelweis-Reflex-Starre

Eckart von Hirschhausen

Einer der großen Irrtümer des 20. Jahrhunderts war der, zu glauben, die Ära der Infektionskrankheiten sei vorbei. Tragischerweise trägt bis heute die Unwissenheit über die Übertragungswege massiv zu Epidemien bei. Und während die Welt gerade nach Afrika schaut, möchte ich daran erinnern, wie viel Ignoranz und Arroganz auch in deutschsprachigen Krankenhäusern lange vorherrschten und bis heute zu vermeidbaren Infekten führen.

Psychotest

Wie begrüßt man einen Chefarzt im Krankenhaus?

  1. A) "Wunderschönen guten Morgen, Herr Professor!"
  2. B) mit gebeugten Knien
  3. C) mit Hände­schütteln
  4. D) mit gebühren-dem Abstand

Kennen Sie den Semmelweis-Reflex? Nein, das ist keine Weißmehl-Brötchen-Unverträglichkeit. Gemeint ist der Reflex, mit dem neue Ideen rundweg abgelehnt werden, meist mit dem Hinweis: "Quatsch, das haben wir schon immer so gemacht." Der historische Namensgeber ist Ignaz Semmelweis (1818-1865). Den ungarischen Frauenarzt beunruhigte einst, dass Mütter im Wochenbett häufiger starben, wenn sie mit Ärzten Kontakt hatten. Er wollte die Ursache herausfinden und untersuchte die Mütter noch gründlicher – woraufhin die Zahl der Todesfälle noch weiter stieg. Obwohl zu seiner Zeit Bakterien als Krankheitsverursacher noch unbekannt waren, vermutete Semmelweis schließlich, dass die Infektionen auf mangelnde Hygiene zurückgingen. Als er seinen Mitarbeitern und Kollegen vorschrieb, sich vor jeder Untersuchung die Hände mit Chlorkalk zu desinfizieren, sank die Sterblichkeit der Frauen und Kinder dramatisch. Das war im Jahr 1848.

Dennoch wollten andere Ärzte lange nichts von seiner Entdeckung wissen. Unerträglich war für sie der Gedanke, nicht nur als Heils-, sondern auch als Unheilsbringer unterwegs zu sein. Hygiene galt als Zeitverschwendung und unvereinbar mit den geltenden Theorien über Krankheitsursachen. Es dauerte über 20 Jahre, bis eine neue Generation von Medizinern anfing, sich vor dem Kontakt mit Patienten die Hände zu säubern. Bis heute übrigens keine Selbstverständlichkeit.

Noch unbegreiflicher als diese Semmelweis-Reflex-Starre erscheint mir, dass eine weitere offensichtliche Infektionsquelle erst 2014, also 166 Jahre später, ernsthaft unter die Lupe genommen wurde: das Stethoskop. Forscher einer Schweizer Uniklinik nahmen Proben davon und verglichen die Abstriche von den ärztlichen Händen mit denen von den Kontaktflächen der Stethoskope. Und große Überraschung: Auf beiden tummelten sich dieselben Keime, darunter auch die ganz gefährlichen, gegen die weder Unkraut noch Antibiotikum gewachsen ist.

Kittel werden gewechselt, Hände gewaschen – aber Stethoskope verkeimen stetig! Auf einigen Intensivstationen gehört zwar schon zu jedem Patienten ein eigenes Stethoskop, das dann alle Untersucher benutzen. Wobei es einem als Arzt viel unhygienischer vorkommt, sichtbaren kollegialen Ohrenschmalz untereinander zu übertragen als unsichtbare Keime auf Patienten. Aber bis saubere Stethoskope Standard werden, vergehen wohl wieder Jahrzehnte. Aus meiner Zeit in einem englischen Lehrkrankenhaus erinnere ich mich noch, wie mich ein Oberarzt testete: "Was ist der wichtigste Teil des Stethoskops?" Und nachdem ich keine gute Antwort hatte, löste er lachend das Rätsel: "Der Teil zwischen den Ohrenstöpseln."

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