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Hirschhausens Hirnschmalz: The answer, my friend ...

Eckart von Hirschhausen

Auf der letzten Frankfurter Buchmesse gab es ein Thema, das viele bewegte: Ist Bob Dylan zu Recht mit dem Nobelpreis für Literatur geadelt worden? Wie kann ein Leben für die friedlichen Ideale von Woodstock mit einem Preisgeld aus dem Nachlass eines Dynamithändlers gekrönt werden? Das birgt im wahrsten Sinne Sprengstoff. Darüber, wie Bob Dylan das ­Ganze sieht, war bei Drucklegung dieser Kolumne nur wenig bekannt. Man muss schon eine coole Sau sein, um am Tag der Bekanntgabe der Auszeichnung ein Konzert zu geben und kein Wort darüber zu verlieren. Und dann zwei Wochen lang nicht ans Telefon zu gehen, wenn die Akademie anruft. Immerhin: Wenn es ihm "irgend möglich" sei, wolle er zur Preisverleihung kommen, ließ Dylan einen Reporter wissen. Einen Nobelpreis bläst man auch nicht einfach in den Wind, oder?

Ich hatte einmal das Glück, Bob Dylan live zu erleben. Hätte er nicht mitten auf der Berliner Waldbühne gestanden, wäre er nicht weiter aufgefallen. Er nuschelte seine Texte runter, so dass man nur anhand der Begleitakkorde ahnen konnte, um welchen Welthit es sich gerade handelte. Da war viel Moll dabei – und mindes­tens so viel Weltschmerz wie in den Gesängen Homers, mit denen die Vorsitzende der Nobelpreisjury Dylans Texte verglich. Was uns zu einer uralten Frage bringt: Wieso genießen Menschen Kunst, die sie in eine traurige Stimmung versetzt?

Die Vorliebe vieler Zeitgenossen für deprimierende und herzzerreißende Werke beschäftigte nicht nur bereits Aristoteles und Schopenhauer, sondern jüngst auch Psychologen aus Finnland. Sie spielten 102 Proban­den eine achtminütige Filmmusik vor, die in anderen Experimenten als traurig stimmend eingestuft worden und den Teilnehmern zuvor unbekannt war. Die Forscher erfassten Persönlichkeitsmerkmale sowie die Stimmung ihrer Versuchspersonen vor und nach dem Musikgenuss; während des Hörens maßen sie die Herzfrequenz und den Hautwiderstand.

Ergebnis: Jene Menschen, die von trauriger Musik besonders berührt werden, verfügen im Schnitt über ein höheres Maß an Empathie, sie werden leichter von den Gefühlen anderer angesteckt und verlieren sich besonders gerne in fiktiven Erzählungen – tendenziell mehr Frauen als Männer. Diese Probanden be­werteten die Musikerfahrung als »bewegend«; in ihre Trauer mischte sich ein wohliger Genuss der intensiven Gefüh­le. Ihr schneller Puls zeigte: Es geht den Liebhabern ­melancholischer Melodien weniger um ein entspanntes Zurücklehnen als vielmehr um ein aktives innerliches Mit-Bewegtsein.

Bitte vervollständigen Sie: Ich höre Musik, um ...

  1. A) besser drauf zu sein.
  2. B) schlechter drauf zu sein.
  3. C) drauf zu sein.
  4. D) nichts anderes hören zu müssen.

Zeitgleich mit Bob Dylans bluesigen Balladen lernte ich einen Filmklassiker kennen, "Harold and Maude". Mit Cat-Stevens-Soundtrack und einem skurrilen Pärchen, das gerne auf fremde Beerdigungen geht. Empfehlenswert! Auch bei trauriger Musik liegt der Lustgewinn laut den Forschern offenbar darin, dass wir fremdes Verlusterleben nachempfinden, ohne es real erleiden zu müssen. Oder wie es meine weise Großmutter ausdrückte: "Bei Beerdigungen weint jeder seine eigenen Tränen." Die hörte allerdings zu ihrem Trost nicht Bob Dylan, sondern Bach.

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  • Quellen

Quellen

Eerola, T. et al.: Being Moved by Unfamiliar Sad Music Is Associated with High Empathy. In: Frontiers in Psychology 7, 1176, 2016


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