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Hirschhausens Hirnschmalz: Alle allergisch?

Allergien mögen vielen harmlos erscheinen, doch sie können ernsthafte Folgen haben. Dass sie immer weiter auf dem Vormarsch sind, liegt auch am Klimawandel, erklärt unser Kolumnist Eckart von Hirschhausen.
Pollen

Wir leben in verrückten Zeiten. Kaum hatten wir uns angewöhnt, in die Ellenbeuge statt in die Hand zu niesen, da begannen alle, sich mit dem Ellenbogen statt mit der Hand zu begrüßen. Ich selbst traue mich kaum noch zu husten oder zu niesen. Sonst denkt jeder gleich, der hat Corona! Dabei gilt nach wie vor die alte Medizinerweisheit: Häufiges ist häufiger, und es gibt genug andere Gründe zu niesen als Covid-19.

Diesen Text gebe ich leider sehr spät in die Redak­tion (Wir sind nichts anderes von dir gewohnt, Eckart! Anm. d. Red.), dafür ist er thematisch seiner Zeit voraus. Ich möchte über die nächste Pollensaison reden, weil ich mit der Allergieforscherin Claudia Traidl-Hoffmann von der Technischen Universität München eine spannende Diskussion darüber hatte, wie Allergien, Klimawandel und andere Umwelteinflüsse zusammenhängen. Das Problem: Allergien gelten selbst Allergikern oft als kaum ernst zu nehmende Krankheit, eher als peinliche Marotte des Im­mun­sys­tems. Eine Studie zeigte, dass mehr als die Hälfte der Betroffenen mit Mitteln aus der Apotheke oder Drogerie an sich herumdokterten, ohne die Ursache ihres Leidens genau zu kennen.

Weil Allergien rasant zunehmen, gilt es inzwischen fast als unhöflich, »Gesundheit!« zu wünschen, wenn jemand niest – man könnte den Geplagten ja zu Unrecht in einen Topf mit Erkälteten werfen. Infekte gehen von allein vorbei, Allergien viel seltener, tendenziell verschlimmern sie sich unbehandelt sogar. Aus einem Heuschnupfen kann nach dem Etagenwechsel in die Lunge bronchiales Asthma werden. Und daran sterben jedes Jahr etwa 250 000 der 300 Millionen Asthmatiker weltweit. So viel zum Thema »harmlos«.

Ist der moderne Mensch eine Mimose, oder wird die Umwelt immer gefährlicher? Traidl-Hoffmann erklärt: »Der Klimawandel macht krank. Steigende Temperatu­ren verlängern die Pollensaison. In Kombination mit der Luftverschmutzung und besonders mit Gewittern platzen die Pollen durch die elektrostatische Aufladung der Luft, und die Bruchstücke gelangen tiefer in die Lunge.«

Ein weiteres Problem für Allergiker sind invasive Arten, also etwa Pflanzen, die ins heimische Ökosystem eingeschleppt wurden. Wenn in Sciencefiction-Filmen Wesen aus anderen Gefilden dem Menschen das Leben schwer machen, denkt man eher nicht an die harmlos wirkende Ambrosia artemisiifolia. Doch auf das »Beifußblättrige Traubenkraut« reagieren rund acht Millionen Deutsche mittlerweile allergisch; die entsprechen­den Therapien und Arbeitsausfälle verschlingen hunderte Millionen Euro jährlich. Bis zu eine Milliarde Pollen setzt eine einzige Pflanze frei. Dabei genügen bereits fünf, um eine allergische Reaktion hervorzurufen.

Not so funny fun fact: Vogelfutter half Ambrosia, sich in Deutschland zu verbreiten. Bis heute finden sich besonders viele Pflanzen in der Nähe von Futterhäuschen. Bitte beim Kauf der Körner daher auf »ambrosia-kontrolliert« achten, denn dem Kraut kann man noch so laut »bei Fuß!« zurufen – es hört einfach nicht. In der Blütezeit empfiehlt sich beim Entfernen ein Mundschutz. Womit wir ganz elegant wieder beim Anfang der Kolumne wären: »Hatschi!«

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