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Vorsicht, Denkfalle!: Wir Überzeugungstäter

Warum tue ich das? Und ist es richtig? Wer glaubt, aus innerer Überzeugung zu handeln, reduziert damit laut Psychologen oft nur seine »kognitive Dissonanz«, weiß unser Kolumnist.
Zwei ältere Personen stehen am Strand und posieren mit ausgestreckten Armen, als ob sie fliegen würden. Sie tragen rote Umhänge und Schutzbrillen, was an Superhelden erinnert. Im Hintergrund ist das Meer zu sehen.
Innere Gewissheiten sind ein Bollwerk gegen gesunde Skepsis.
Irren tun immer die anderen. Man braucht etwas nur oft genug zu hören, um es zu glauben. Und wer sein Gegenüber imitiert, wirkt sympathisch. Der Psychologe und Bestsellerautor Steve Ayan stellt in seiner Kolumne »Vorsicht, Denkfalle!« die wichtigsten Effekte und Verzerrungen der menschlichen Psyche vor.

Ich muss Ihnen etwas gestehen, das sich eigentlich von selbst versteht: Ich bekomme Geld dafür, dass ich das hier schreibe. Nein, keine Sorge, nicht genau dafür, was ich schreibe – das suche ich mir schon allein aus und stehe auch selbst dafür gerade. Ich werde nur zum Glück dafür bezahlt, dass ich es überhaupt mache. Das freut mich nicht nur, weil ich mir oder meinen Lieben von dem Geld ab und zu ein Eis kaufen kann. Sondern auch, weil mich der Lohn weniger in Versuchung bringt zu glauben, meine Worte müssten aus einer tiefen inneren Überzeugung stammen – denn genau auf solche verlasse ich mich nur ungern. Ja, ganz recht, mir sind Überzeugungen suspekt. Auch wenn viele meinen, am besten sollten alle alles aus fester innerer Überzeugung tun oder sagen. Wenn Sie ein Minütchen haben, versuche ich gern zu erläutern, was mir daran nicht behagt.

Innere Überzeugungen sind mir suspekt, weil so viel Schlechtes auf der Welt aus guten Absichten geschieht – und das ist nur ein anderes Wort für tiefempfundene, innere Überzeugungen. Wenn man nicht recht weiß, ob man das Gute oder Richtige tut, sucht man einen tieferen Grund dafür in Form einer inneren Überzeugung. Sie ist so etwas wie die letzte Bastion jener genügsamen Geister, denen es lästig ist, sich zu fragen: Warum mache ich das hier eigentlich? Erfüllt es seinen Zweck? Sollte ich etwas ändern? Vermeintlich klare innere Überzeugungen verführen uns dazu, Widersprüche und Skepsis zu überdecken, statt sie zu erkennen und ernst zu nehmen.

In einer berühmten Studie von 1959 machten der US-amerikanische Sozialpsychologe Leon Festinger und sein damaliger Assistent Merrill Carlsmith folgendes Experiment: Sie boten Studierenden Geld dafür, dass sie nach dem Absolvieren eines sterbenslangweiligen Tests anderen Kommilitonen erzählten, das Ganze sei superspannend und lohne unbedingt die Teilnahme. In Wahrheit ging bei dem »Test« bloß darum, eine schier endlose Reihe von Holzstäben in eine bestimmte Richtung zu drehen – wahnsinnig aufregend und sinnstiftend!

Diejenigen, die kein Geld (oder nur sehr wenig) für ihre Lobeshymne bekamen, hielten den Test anschließend für ziemlich cool und aufschlussreich. Sie brauchten offenbar einen Grund und fanden ihn in dem Spaß, den ihnen das stupide Stäbchendrehen – vermeintlich – bereitete.

Der Widerspruch in jedem von uns

Aufmerksame Leser haben längt bemerkt: Der große Unterschied zwischen mir und Festingers Probanden besteht natürlich darin, dass ich Ihnen keinen Bären aufbinden soll. Ich muss folglich keinen mir auferlegten Widerspruch auflösen, keine »kognitive Dissonanz« reduzieren. Es gibt allerdings einen Widerspruch, in dem jeder von uns steckt: Wir können uns dessen, was wir für gut und richtig halten, nie ganz sicher sein. Es bleibt stets eine Unsicherheit, und die wollen viele tilgen – durch Verweis auf ihre innere Überzeugung, ihr Menschenbild, ihre Haltung oder wie auch immer man es nennen mag. Diese seien halt nicht weiter zu hinterfragen.

Das ist, wenn man so will, die grundlegende Dissonanz des Lebens: Unsere Ansichten und Taten sind niemals einfach gut und richtig. Wir trösten uns darüber gern mit Überzeugungen hinweg – auch wenn sich dahinter vielleicht nur dröges Stäbchendrehen oder Schlimmeres verbirgt.

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  • Quellen
Festinger, L., Carlsmith, J. M., Journal of Abnormal and Social Psychology 10.1037/h0041593, 1959

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