Star-Bugs – die Kleine-Tiere-Kolumne: Der Käfer mit der blutigen Nase

Es ist kalt an diesem Nachmittag Mitte Februar 2025 im Nationalpark Eifel bei Gemünd. Ein Trupp Kraniche durchbricht die graue Monotonie der Wolken. Kein Tag, an dem besondere Insekten zu erwarten wären. Doch dann tapst ein großer schwarzer Käfer zwischen den welken Grashalmen herum, die noch vom letzten Jahr übrig sind. Wer ihm eine Weile zuschaut, versteht, warum das Tier Großer Tatzenkäfer (Timarcha tenebricosa) heißt: Behäbig wie ein Bär spaziert er durch das Gelb am Wegesrand.
Kälte bremst alle Insekten aus. Diese Käfer aber sind auch im Sommer wie in Zeitlupe unterwegs. Ihre überdimensionierten Füße und der üppige Hinterleib machen den Eindruck eines Minibären auf sechs Beinen perfekt. Das Männchen ist etwas kleiner als das Weibchen, sonst sind sie sich äußerst ähnlich: Die Panzer auf dem Rücken des Brust- und des Hinterleibsegments sind mit kleinen Grübchen übersät. Aus ihrem Kopf ragen zwei lange, knubbelige Fühler: Das ist außergewöhnlich für Blattkäfer (Chrysomelidae).
Mit bis zu zwei Zentimeter Körperlänge ist der Große Tatzenkäfer einer der größten Blattkäfer in Mitteleuropa und gut zu erkennen. Er hat etwas von einem zu groß geratenen Mistkäfer. Trotzdem lässt er sich gut unterscheiden, denn seine Fühler sind viel länger als zum Beispiel bei einem Stierkäfer (Typhaeus typhoeus).
Füße mit hoher Haftkraft
Es sind einige Exemplare unterwegs an diesem Tag. Ein paar Schritte weiter ist ein Käferpärchen beschäftigt. Die Paarung ist in vollem Gang. Das Männchen hat seine großen Vorderfüße auf den Rücken seiner Partnerin gelegt. Auf ihrem schwarzen Panzer zeichnet sich der orangerote Rand um die Füße herum deutlich ab. Er kommt von einem Teppich aus Härchen auf den Sohlen der Käfer. Die ersten beiden Glieder der Füße haben Härchen mit scharfen Spitzen. Die Fläche der Sohle hingegen hat Haare mit winzigen Plättchen an ihren Spitzen. Die schmiert der Käfer mit einer öligen Substanz. Beides sorgt dafür, dass die Füße gut auf glatten Flächen haften.
Viele Blattkäfer haben einen solchen Bewuchs unter den Füßen. Er hilft ihnen auf glatten Flächen, etwa wenn sie sich auf der Futtersuche an Blättern festhalten müssen. Ein japanisch-deutsches Forscherteam hat für den Grünen Sauerampferkäfer (Gastrophysa viridula) gezeigt, dass so etwas sogar unter Wasser funktioniert. Bei diesem Käfer kommt ein weiterer Effekt hinzu: Seine Füße sind umhüllt von kleinen Blasen – Schuhen aus Luft. Diese Luft hält die Füße trocken, drückt das Wasser vom Untergrund und verbessert die Haftung. Auch er hat Härchen an den Füßen, wie der Tatzenkäfer.
Viele Arten dieser Familie sind wunderbar bunt; so sind beispielsweise der Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata) mit seinen zehn dunklen Streifen oder der Goldglänzende Blattkäfer (Chrysolina fastuosa) mit seinem metallischen Schillern echte Hingucker. Der Tatzenkäfer hingegen ist von der Fühlerspitze bis zum Ende des Hinterleibs dunkelblauschwarz. »Vermutlich hilft die dunkle Farbe diesen Insekten, schon früh im Jahr aktiv zu werden, weil sie sich schneller aufheizen«, sagt Jaap Winkelman. Der frühere Chemielehrer ist Amateurentomologe, einer der führenden Experten für die Blattkäfer in den Niederlanden und Prüfer für diese Insektengruppe. Beim Citizen-Science-Projekt Observation.org können Menschen Fotos von Tieren, Pflanzen und Pilzen hochladen und per KI bestimmen lassen. So genannte Validatoren überprüfen viele Identifikationen und stellen so sicher, dass die Daten für die Wissenschaft geeignet sind.
Insekten mit hoher Bindung
Jaap Winkelman erzählt, dass er sich ganz allgemein für Blattkäfer interessiert. Aber der Große Tatzenkäfer habe schon früh seine Neugier geweckt. Vor allem fasziniere ihn, dass das Insekt sich so stark an eine einzige Pflanzengattung gebunden hat. Große Tatzenkäfer fressen ausschließlich an Labkräutern (Galium) – nicht nur die Larven, sondern auch die erwachsenen Tiere. Die Weibchen legen ihre Eier an Waldmeister und Co ab, damit der Nachwuchs direkt an einer Nahrungsquelle schlüpft.
Die Larven des Großen Tatzenkäfers haben einen großen Buckel, allerdings sind diese Stadien der Käfer seitlich abgeflacht. Auch sie sind hauptsächlich schwarz bis blaugrün, ihre Unterseite weinrot. Die Larvenhaut wirkt ledrig. Sie fressen drei Stadien lang auf den Wirtspflanzen und verpuppen sich im Boden. Im Spätsommer schlüpfen die neuen, ausgewachsenen Käfer. Mit der Paarung und der Eiablage beginnen die Tatzenkäfer schon im Herbst. Wird es den erwachsenen Insekten zu kalt, verkriechen sie sich in die Streu, um zu überwintern. Und nehmen die Paarung wieder auf, sobald die Bedingungen es zulassen.
Es ist tatsächlich Glück, dass es an diesem Februartag so grau ist. Denn Tatzenkäfer kommen eigentlich erst in der Dämmerung heraus und sind in der Nacht aktiv. Sie kommen von Südeuropa bis Schleswig-Holstein vor und mögen Trockenrasen und offene Landschaft. Die Käfer wirken nicht sonderlich ängstlich, wenn man sie beobachtet. Fühlen sie sich dann doch gestört, können sie aus dem Mund und ihren Gelenken eine rote Flüssigkeit abgeben. Auf Englisch heißen sie deshalb »bloody nosed beetles«: Käfer mit der blutigen Nase. »Reflexbluten« heißt diese Verteidigungsstrategie im Fachjargon. Und weil dieses Pseudoblut giftig ist, verschmähen viele potenzielle Fressfeinde die Tatzenkäfer.
Käfer ohne Flugmöglichkeit
Sie können es sich also leisten, langsam durch die Welt zu gehen. Fliegen können Große Tatzenkäfer dagegen nicht. Die panzerartigen Deckflügel lassen sich nicht einmal bewegen. Sie sind zusammengewachsen. Das wirft aus Winkelmans Sicht für das Tier ein gewisses Problem auf: »Bei seinem Tempo ist es ein Wunder, dass sich der Tatzenkäfer überhaupt ausbreiten kann.«
In den Niederlanden kommt der Käfer vor allem entlang der Ijssel, des nördlichsten Mündungsarms des Rheins, vor. Aus der Tatsache, dass es im Norden nur Inseln von Tatzenkäferpopulationen entlang der Flüsse gibt, schließt der Hobbyforscher, dass die Gewässer bei der Ausbreitung der Insekten eine wichtige Rolle spielen: Fallen sie ins Wasser, gelingt es ihnen, weiter flussabwärts wieder herauszukrabbeln und einen neuen Vorposten zu gründen. Winkelman ist sicher: »So können selbst sie hunderte Kilometer zurücklegen.«
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