Star-Bugs - die kleine-Tiere-Kolumne: Gold stinkt nicht wirklich
An diesem sonnigen Juninachmittag bläst eine ordentliche Brise am Gulebjerg. Insekten sind nur wenige unterwegs, ihnen ist es zu windig. Die meisten verkriechen sich in einem Busch oder klammern sich an einen Grashalm oder an einer Blüte.
Doch etwas regt sich. Zwischen aufgewirbelten Sandkörnern duckt sich eine Wespe, kaum einen Zentimeter groß; sie läuft ein paar Schritte, harrt aus. Schließlich erreicht sie eine Stelle, an der Steine und ausdauernde Kräuter die Böen brechen. Im Windschatten haben Insekten dutzende Gänge gegraben, an den Eingängen häuft sich frisch ausgehobener Sand. Die kleine Wespe ist am Ziel.
Der Gulebjerg mit seinen rötlich goldenen Dünen und sandigen Abbruchkanten ist eine Heimat von Hedychrum rutilans. Hier an der dänischen Nordseeküste, rund 15 Kilometer nordwestlich der Hafenstadt Esbjerg, findet sie perfekte Bedingungen. Einen deutschen Namen hat diese Goldwespe nicht. Man muss schon ganz genau hinschauen, um sie zu entdecken. Ruht sie, verschmilzt sie geradezu mit ihrer Umgebung aus Sand, Steinchen und trockenen Halmen.
Erst aus der Nähe offenbart die Wespe ihre volle Schönheit: Kopf und Brust sind von grün über türkis bis blau gefärbt, häufig mit dunkelroten und kupferfarbenen Flecken; der Hinterleib changiert in Violett bis Orange. Der gesamte Körper schimmert metallisch und ist übersät mit hunderten Grübchen und feinen weißen Härchen.
Goldwespen (Chrysididae) sind fliegende Juwelen. Ob kräftiges Blau, leuchtendes Türkis oder bunt wie ein Regenbogen – an Farben spart keine der Arten. Allein in Nord- und Mitteleuropa sind mehr als 1000 Arten bekannt. Ihren Giftstachel nutzen sie nur zur Verteidigung, zum Töten von Beute benötigen sie ihn nicht. Denn Goldwespen sind Brutschmarotzer.
Sie legen keinen eigenen Vorrat für ihren Nachwuchs an, sondern übernehmen den anderer Insekten. Fachleute sprechen in Anlehnung an den bekannten Vogel auch von Kuckuckswespen. Hedychrum rutilans parasitiert Grabwespen der Gattung Philanthus. Die kleine Goldwespe am Gulebjerg ist auf Nester des Europäischen
Bienenwolfs (Philanthus triangulum) gestoßen. Geduldig wartet sie in der Nähe eines Eingangs.
Jede Honigbiene eine Brutkammer
Das Bienenwolfweibchen hat in den vergangenen Stunden bis zu einem Meter lange Gänge mit je fünf bis zehn Brutkammern in den lockeren Sand getrieben. In jede platziert es Proviant und ein Ei. Zwar fressen ausgewachsene Bienenwölfe – wie Goldwespen – Blütennektar und Pollen. Für ihren Nachwuchs jedoch setzen beide Insektenarten auf tierische Kost. Der Bienenwolf jagt Honigbienen (Apis mellifera). Mit seinem Giftstachel lähmt er die Insekten blitzschnell und trägt sie zum Bau.
Jede Bienenwolflarve benötigt mehrere Honigbienen, Weibchen bis zu vier, Männchen zwei bis drei. Das Bienenwolfweibchen muss also etliche Male jagen, um die Kammern zu füllen. Auf diesen Moment hat Hedychrum rutilans gewartet. Sobald der Bienenwolf seinen Bau verlassen hat, krabbelt die Goldwespe bis in die Brutkammern und heftet ihr Ei an eine der bereits abgelegten Honigbienen.
Parasiten und Parasitoide unter den Insekten
Beide Typen sind Schmarotzer, sie leben also in oder auf ihrem Wirt und ernähren sich von ihm. Parasiten schonen ihren Wirt, so dass dieser den Befall überlebt beziehungsweise überleben kann. Ein Beispiel ist der Fächerflügler: Die Weibchen dieses Parasiten leben im Hinterleib etwa von Sandbienen (Andrena), töten den Wirt aber nicht zwangsläufig.
Bei Parasitoiden hingegen stirbt der Wirt immer. Die Goldwespe Hedychrum rutilans gilt als parasitoider Schmarotzer des Bienenwolfs, denn die Goldwespenlarve tötet außer den gelähmten Honigbienen auch die Larve des Bienenwolfs.
Dann zieht sie sich zügig wieder zurück. Denn einen direkten Kontakt mit dem Bienenwolf gilt es zu vermeiden – auch wenn die Goldwespe sich zu schützen weiß. Sie rollt sich zu einer Kugel zusammen, die kaum Angriffsfläche bietet. Der dicke Panzer schützt zudem vor dem Giftstachel des vielfach größeren Insekts. Allerdings verlässt sich der Bienenwolf nicht allein auf seine Augen, um den Nachwuchs vor unliebsamen Besuchern zu schützen. Die Antennen nehmen selbst feinste Duftstoffe wahr, die ein Eindringling etwa beim Huschen durch die Gänge hinterlassen hat. Dann verlässt der Bienenwolf das Gelege oder räumt bereits abgelegte Beute wieder aus.
Ein chemischer Fingerabdruck
Die Duftstoffe stammen von dem äußeren Belag der Epikutikula der Insekten, einer wachsartigen Schicht aus Kohlenwasserstoffen, die mit dem Chitinpanzer der Tiere einen Schutz etwa gegen Stöße und Austrocknen bietet. »Die Wachsschicht enthält bis zu 1000 unterschiedliche Komponenten«, sagt Thomas Schmitt, »und die exakte Zusammensetzung, das chemische Profil ist wie ein Fingerabdruck.« Der Biologe leitet die Arbeitsgruppe für evolutionäre chemische Ökologie an der Universität Würzburg und beschäftigt sich mit chemischen Wechselbeziehungen von Parasiten und ihren Wirten.
»Die Kohlenwasserstoffe bilden eine Duftspur«, ergänzt Schmitt. Ständig produzieren die Insekten Nachschub, den sie über feine Poren aus dem Körperinneren nach außen transportieren und auf die Kutikula auflagern. Bereits im Jahr 2008 schauten sich Schmitt und sein Team die komplexe Beziehung von Bienenwolf und Goldwespe an. Eigentlich, so erzählt der Biologe, sollten Wirtsarten Mechanismen entwickeln, um Schmarotzer zuverlässig zu erkennen. Die Parasiten wiederum setzen alles daran, um der Entdeckung zu entgehen.
Bei Bienenwolf und Goldwespe aber ist etwas anders: Auch in der Nähe von Hedychrum rutilans bleibt die Grabwespe erstaunlich ruhig – zumindest so lange, wie sie den Schmarotzer nicht sieht. Offenbar, so die Theorie, erkennt der Bienenwolf seinen Feind nicht am Geruch.
Attacke nach dem Waschgang
Die Gruppe um Thomas Schmitt testete diese These im Labor. Dafür wuschen sie mit einem Lösungsmittel die Kohlenwasserstoffe von den Chitinpanzern von Hedychrum rutilans sowie einer anderen Kuckuckswespe, der Bunten Goldwespe (Chrysis viridula). Diese Flüssigkeiten tropften sie auf Papierstückchen; ein Schnipsel erhielt als Kontrolle nur das Lösungsmittel. Dann setzten sie Bienenwölfe hinzu und beobachteten: Das Papier mit dem Duft der Bunten Goldwespe attackierten die Grabwespen sofort, während sie die Schnipsel mit dem Lösungsmittel und die mit dem Duft von Hedychrum rutilans ignorierten.
Der Bienenwolfparasit scheint also einen Geruch an sich zu haben, den der Bienenwolf als vertraut kennt. Unklar war nur, ob es sich dabei um den Duft der Honigbiene oder des Bienenwolfs handelt. Die Forschenden analysierten verschiedene Kohlenwasserstoffe aus der Kutikula der beiden Arten und verglichen sie mit denen von Hedychrum rutilans: Die Goldwespe imitiert tatsächlich das chemische Profil des Bienenwolfs. Hinterlässt der Brutparasit also Spuren in den Grabgängen des Bienenwolfs, riecht dieser nur sich selbst. Chemische Tarnung oder chemische Mimikry nennen Fachleute dieses Phänomen.
Aber warum verändert der Bienenwolf dann mit der Zeit nicht sein chemisches Profil? »Genau so ein chemisches Wettrüsten kennen wir von etlichen anderen Parasit-Wirt-Beziehungen«, sagt Schmitt: Der Wirt verändert seine Duftnote und erkennt eine Weile den Parasiten, der Parasit zieht nach und alles beginnt wieder von vorn.
Bienenwölfe in der Zwickmühle
Thomas Schmitt weiß: »Der Bienenwolf steckt in einem Dilemma.« Denn er nutzt seine Kohlenwasserstoffe auf der Kutikula nicht allein, um die Verdunstung zu minimieren. Er balsamiert seine Beute mit den Komponenten seiner Kutikula ein und schützt die Honigbienen so vor Schimmel. In den Brutkammern ist es mitunter klamm, Feuchtigkeit würde sich auf den Larven und ihrem Proviant sammeln. An dieser speziellen Wachsschicht perlt das Wasser ab, Pilze bleiben chancenlos.
Damit schafft der Bienenwolf seinem Nachwuchs einen enormen Vorteil gegenüber anderen Insekten, deren Larven sich in Erdhöhlen entwickeln. Der Schimmelschutz aber hat seinen Preis: ein genau definiertes chemisches Profil. Würde der Bienenwolf die Zusammensetzung ändern, um die Tarnung der Goldwespe auffliegen zu lassen, verlöre er zugleich die Fähigkeit, seine Beute für den Nachwuchs zu konservieren.
Einige verwandte Arten sind diesen Schritt gegangen. Thomas Schmitt nennt Knotenwespen (Cerceris), von denen einige Arten Käfer jagen: »Sie haben die Beutekonservierung aufgegeben.« Die chemischen Profile von Parasit und Wirt unterscheiden sich bei diesen Arten teils stark. »Eine nahezu perfekte chemische Mimikry sehen wir nur bei den Bienen jagenden Cerceris-Arten und zwischen Hedychrum rutilans und Bienenwolf.«
Im Schutz dieser Tarnung gelingt es der schillernden Goldwespe, beinah ungehindert Eier in die Bienenwolf-Brutkammern zu legen. Wenn die Goldwespenlarve dann rund vier Tage später schlüpft, frisst sie zunächst die Larve des Bienenwolfs und anschließend die Honigbienen. Eine todsichere Methode, weiß Schmitt: »Wenn eine Goldwespenlarve und eine Bienenwolflarve in einer Brutkammer sind, gewinnt eigentlich immer die Goldwespe.«
Ein wiederkehrendes Katz-und-Maus-Spiel
So laste natürlich ein enormer Selektionsdruck auf den Bienenwölfen, sagt der Biologe. Ausgestorben seien sie nun aber nicht. Schmitt ist sicher: »Es muss also noch andere Wege für die Art geben, sich zu wehren.« So könnten Bienenwölfe Lebensräume ohne Parasitoide aufsuchen, um sich fortzupflanzen. Oder sie könnten ihre Aktivitäten auf Tageszeiten begrenzen, an denen die Goldwespen weniger unterwegs sind. »Welche Strategie sie wählen, wissen wir bisher nicht«, sagt Schmitt. Dafür sei weitere Forschung nötig.
Allerdings müsse man auch pragmatisch denken. »Sollten die Goldwespen eine Bienenwolfpopulation an einem Ort auslöschen, stehen sie im darauf folgenden Jahr ohne Wirt da«, erklärt Schmitt. Am Ende sei es vermutlich eine dynamische Wechselbeziehung, bei der Bienenwölfe und Goldwespen mal verschwinden und wieder auftauchen.
Für die kleine Goldwespe am Gulebjerg wird es reichlich Nachwuchs geben, sie hat ihre Eier platziert. Noch bis September, bei guter Witterung sogar bis in den Oktober, sind die ausgewachsenen Insekten unterwegs. Dann sterben die Tiere. Geschützt im Sand überwintert der Nachwuchs von Hedychrum rutilans – und Philanthus triangulum – als Puppe oder Ruhelarve. Im folgenden Jahr krabbeln Grab- und Goldwespen aus ihren sandigen Kammern und der Kampf ums Überleben beginnt von Neuem.
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