Sex matters: Ist Sex beim ersten Date ein Fehler?

»Ich hatte vor einer Woche ein Date und es war wirklich toll. Wir hatten gleich am ersten Abend Sex! Eigentlich mache ich so was nicht, aber da ist es passiert. Wir haben uns inzwischen wieder getroffen und ich hoffe wirklich, dass es mehr wird. Ich habe das einer Freundin erzählt. Sie meinte: Wenn du beim ersten Date Sex hattest, bist du für den Mann kein Wifey-Material – also keine Frau, mit der er eine ernsthafte längere Beziehung führen könnte. Jetzt frage ich mich: Habe ich einen Fehler gemacht?« (Hannah*, 22, per Mail)
Zuerst einmal: Hannah hat keinen Fehler gemacht. Wenn sich die Entscheidung zu einer sexuellen Aktivität beim ersten Date gut angefühlt hat, ist das toll. Und aus Expertensicht völlig in Ordnung. Warum das so ist, klären wir später. Zunächst verfolgen wir eine andere Spur: Warum ist Hannah so verunsichert, und wie kommt ihre Freundin zu der Überzeugung, dass Sex beim ersten Date darauf schließen lässt, dass daraus keine dauerhafte Beziehung wird?
Die Frage, ob Sex beim ersten Date angemessen ist, beschäftigt viele Menschen in der Dating-Phase. Vor allem Frauen. Alte Glaubenssätze besagen, dass man damit warten sollte. Nicht gleich ins Bett, sonst denkt er, du bist leicht zu haben. Diese Gedanken kommen nicht nur von älteren Menschen. Auch die sozialen Medien sind voll davon. Vor allem Frauen werden in Schwarz-Weiß-Kategorien eingeteilt: Entweder sind sie »Wifey-Material«, also ehetauglich. Oder »Hook-up-Material«, also nur für ein kurzes Vergnügen geeignet. Dass sich Frauen davon verunsichern lassen können, liegt auf der Hand.
Es spielt keine Rolle, ob man beim ersten oder zwölften Date zum ersten Mal Sex hat
Sachlich gibt es dafür keinen Grund. Meine Erfahrung: Für Partnerschaften spielt es keine Rolle, ob man beim ersten oder beim zwölften Date zum ersten Mal Sex hat. Man merkt sehr schnell, ob man Lust auf jemanden hat. Forscherinnen und Forscher aus Irland haben in einem Speeddating-Experiment untersucht, was in unserem Kopf passiert, wenn wir jemanden attraktiv finden. 151 Studierende hatten jeweils fünf Minuten Zeit, ihr Gegenüber kennen zu lernen. Wenn die Studierenden jemanden attraktiv fanden, waren schon innerhalb dieser ersten Minuten deutliche Veränderungen in der Hirnaktivität messbar. Wir müssen also nicht zehnmal daten, um zu spüren, ob wir Lust auf jemanden haben. Der Körper checkt das viel schneller.
Es ist verrückt: In allen möglichen Lebensbereichen raten Fachleute dazu, schnell herauszufinden, wie der andere tickt. Beim Onlinedating wird nach Hobbys, Werten und Einstellungen gefragt. Warum sollte Sex die Ausnahme sein? Wenn wir schon früh in der Kennenlernphase auch über Sexualität sprechen und körperliche Erfahrungen mit einem Menschen machen, kann das ganz wichtige Erkenntnisse liefern. Harmonieren wir auf dieser Ebene? Passen wir körperlich zusammen? Können wir uns gut riechen, mögen wir die Art, wie wir einander berühren? Das ist eine gute Grundlage, um zu entscheiden, ob wir uns weiter treffen wollen. Denn der Körper entscheidet mit, ob eine Partnerschaft funktionieren kann.
Sex beim ersten Date kann Vorteile haben
Halten wir also fest: Es gibt kein Sexverbot beim ersten Date. Wenn Sexualität in einer Beziehung wichtig ist, warum sollte man es künstlich hinauszögern? Im Gegenteil: Sex beim ersten Date kann Vorteile haben. Und sollte beim ersten Sex nicht alles gut laufen, kann man darüber sprechen und sich überlegen, wie man damit umgeht. Gelingt das, wäre das ein gutes Zeichen dafür, dass man auch künftig über Probleme sprechen und sie lösen kann.
Gleichzeitig ist es wichtig, sich über die eigenen Erwartungen an das erste Date klar zu sein. Treffen wir uns nur, um Sex zu haben? Oder kann daraus mehr werden? Wer klare Vorstellungen hat, sollte sie auch mitteilen. Wenn Hannah zum Beispiel vor ihrem Date kommuniziert hat, dass sie grundsätzlich an einer Partnerschaft interessiert ist, kann die andere Person das mit ihren eigenen Vorstellungen abgleichen und kommunizieren, wenn da etwas nicht zusammenpasst – sie hätte sogar die Verantwortung dafür, finde ich.
Reden hilft auch beim Kennenlernen, bevor es zum Körperkontakt kommt. Kannst du dir vorstellen, dass wir uns heute küssen? Was kannst du dir sonst noch vorstellen? Sex beim ersten Date braucht diese verbale Ebene, weil wir den anderen noch nicht gut genug kennen, um etwaige nonverbale Signale sicher deuten zu können. Wir wissen nicht, ob ein intensiver Blick sexuelles Interesse oder nur Neugier signalisiert. Worte helfen, Missverständnisse zu vermeiden.
- Die Kolumne »Sex matters«
Was ist guter Sex? Was hält mich davon ab? Und wie schaffe ich es, meine Vorstellungen umzusetzen? Diesen und weiteren Fragen widmet sich der Sexual- und Paartherapeut Carsten Müller in dieser Kolumne (hier in Bild und Ton). Seit 2013 berät er in seiner Duisburger Praxis zu Fragen rund um Sexualität und Partnerschaft. Auch Sie möchten ein Thema für die Kolumne vorschlagen? Dann schreiben Sie eine E-Mail an: Liebe@spektrum.de
- Wer kann weiterhelfen?
Die Kolumne soll dazu anregen, über eigene Bedürfnisse und Grenzen nachzudenken. Sie ersetzt weder eine ärztliche Beratung noch das persönliche Gespräch mit einem Therapeuten. Wenn man allein nicht weiterweiß, kann es helfen, mit jemandem zu sprechen, der sich auskennt. Im deutschsprachigen Raum gibt es zahlreiche Therapie- und Beratungsangebote – hier eine Auswahl:
Eine Übersicht über Beratungsstellen geben die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Organisation pro familia. Mit Sextra bieten Teams von pro familia Beratung per Onlineformular und Mail. Therapeutenlisten – geordnet nach Name oder Postleitzahl – führen etwa die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung, die Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft sowie das Institut für Sexualtherapie. Jugendliche finden Hilfe auf sexundso.de.
Ein weiterer Vorteil von Sex beim ersten Date: Es gibt keinen Erwartungsdruck. Das kann eine große Erleichterung sein. Viele Menschen, die eine Weile zusammen sind, planen den ersten Sex regelrecht. Und dann muss er bitte richtig toll sein. Die nächste Kategorie ist dann schon: total mies. Grautöne sind oft nicht vorgesehen. Die romantische Erwartungshaltung ist maximal, das Enttäuschungspotenzial riesig. Warum also nicht einfach das machen, worauf beide Lust haben – und sich dabei bewusst sein, dass gemeinsame Sexualität etwas ist, das sich entwickeln kann und wird?
Ich finde, Hannah hat genau das Richtige getan. Sie hat eine authentische Entscheidung getroffen, statt alten, starren Regeln zu folgen. Sie ist gut damit gefahren und hat gemeinsam mit dem Mann, um den es geht, die Chance, eine Beziehung wachsen zu lassen. Mit dem Bewusstsein: Wir hatten von Anfang an lustvollen Sex. Meine Empfehlung an alle, die in einer ähnlichen Situation sind: Trauen Sie sich, Ihren Gefühlen zu folgen. Sprechen Sie offen miteinander. Lassen Sie die Dating-Polizei außen vor. Der direkte Weg zum Sex ist okay. Und oft eine richtig gute Idee.
* Name geändertUnd jetzt sind Sie dran!
Zum Thema Dating gibt es massenweise Glaubenssätze: Der Mann muss die Frau ansprechen. Er bezahlt die Drinks oder das Essen. Die Frau darf beim ersten Date nicht mit ihm nach Hause gehen, und sie darf sich nicht direkt nach dem Date wieder bei ihm melden. Und so weiter. Überlegen Sie, welche Glaubenssätze für Sie eine Rolle spielen. Schreiben Sie drei auf und finden Sie Alternativen, die sich für Sie gut anfühlen.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben