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Mäders Moralfragen: Jeder Mensch ist gleich viel wert

Sollten die Krankenkassen einen Bluttest bezahlen, der in der Schwangerschaft das Down-Syndrom diagnostiziert? Wir sollten lieber darüber diskutieren, wie wir Familien unterstützen können.
Eine Jubilarin mit Down-Syndrom auf ihrer Geburtstagsfeier

Ein Paar erwartet ein Kind und möchte sicher sein, dass es gesund ist. Doch es gibt viele mögliche Krankheiten und Komplikationen bei der Geburt. Sie treten zwar selten auf, aber sie lassen sich nicht alle ausschließen. Daher sollte es selbstverständlich sein, dass die Gesellschaft zusammenhält und Eltern mit kranken oder besonders pflegebedürftigen Kindern unterstützt. Das sollte schon damit beginnen, dass Eltern nach der Diagnose einer genetischen Krankheit, die ihre Lebensplanung über den Haufen wirft, nicht alleingelassen werden.

Doch auf diese Solidarität vertrauen nicht alle, daher wird nun über vorgeburtliche Tests diskutiert. Einer steht dabei im Vordergrund: Er testet bei Frauen ab der zehnten Schwangerschaftswoche das ungeborene Kind auf das Down-Syndrom (Trisomie 21). Dazu ist nur eine Blutprobe der Mutter nötig. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Krankenkassen will in den nächsten Monaten darüber entscheiden, ob dieser Test zur Kassenleistung wird. Im April diskutierte auch der Bundestag über dieses Thema; derzeit arbeiten die Abgeordneten Vorschläge aus, berichtet die Deutsche Presse-Agentur (dpa).

Solidarität sollte selbstverständlich sein

In dieser Debatte argumentieren die Befürworter mit dem Recht der Eltern: Der Bluttest erkennt das Down-Syndrom ziemlich zuverlässig, sagt der Hersteller, so dass eine Entwarnung den Eltern Sicherheit gibt. Und weil es sich um einen Bluttest handelt, sind die Nebenwirkungen nicht so groß wie bei einer Fruchtwasserpunktion, die in seltenen Fällen eine Fehlgeburt auslösen kann. Indem man den Eltern die Kosten für den Test aufbürdet, erschwert man den Zugang zu dieser zugelassenen medizinischen Dienstleistung. Mit welchem Recht darf man das tun?

Bei 2 bis 3 von 1000 untersuchten Frauen schlägt der Test jedoch an, weil tatsächlich ein Down-Syndrom vorliegt oder weil es sich um einen falschen Alarm handelt. In diesen Fällen werden die Ärzte voraussichtlich zu einem zweiten Test raten, um das Ergebnis abzusichern. Und dann? Die Kritiker des Tests wenden ein, dass sich die meisten Frauen für eine Abtreibung entscheiden dürften, wenn die Diagnose eines Down-Syndroms feststeht. Weil sich eine Trisomie 21 nicht behandeln lässt, »ist die einzige Handlungsalternative zur Geburt des Kindes mit Behinderung der Schwangerschaftsabbruch«, argumentiert das Netzwerk Pränataldiagnostik gemeinsam mit anderen Verbänden in einer Stellungnahme. Daher habe der Bluttest »ein hohes Diskriminierungspotenzial«. Und nicht nur das: Der Test »wird die Erklärungsnöte der werdenden Eltern noch erhöhen, die sich gegen diesen Test und andere gezielte vorgeburtliche Untersuchungen beziehungsweise für ihr Kind mit Behinderung entscheiden«, schreiben die Verbände.

Damit sind wir wieder bei der Frage der Solidarität. Die öffentliche Debatte fokussiert sich zwar auf konkrete Anlässe: Als der Test vor einigen Jahren auf den Markt kam, wurde darüber diskutiert, ob das Bundesforschungsministerium die Entwicklung des Tests hätte fördern dürfen. Und heute wird die Debatte an der Frage festgemacht, ob die gesetzlichen Krankenkassen die 129 Euro für den Test übernehmen müssen. Doch eigentlich müsste es um eine andere Frage gehen: Warum befürchten so viele Menschen, dass sich Eltern mit einem Kind mit Down-Syndrom für ihr Kind rechtfertigen müssten? Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass die Gesellschaft ihnen von Anfang an Unterstützung anbietet, falls das Kind eine besondere Betreuung benötigt?

Ein nachahmenswertes Projekt

Solche Angebote gibt es. Um ein Beispiel zu nennen: Vor einigen Wochen habe ich die Bildungs- und Erholungsstätte Langau im Allgäu besucht, als dort viele Familien über Ostern Urlaub machten. Auf der Langau kommen weder Kinder mit Behinderung noch ihre Geschwister zu kurz. Ehrenamtliche kümmern sich rührend um die Kinder mit Behinderung und versuchen sie am Spaß teilhaben zu lassen, als sei alles ganz selbstverständlich. Sie springen mit ihnen auf dem Trampolin oder fahren in die Berge und lassen sich bei den Aktivitäten von einem Rollstuhl nicht aufhalten. Sie machen das nicht, weil sie sich dazu verpflichtet fühlen, erklärt mir der Leiter der Einrichtung, Peter Barbian, sondern weil sie selbst dadurch bereichert werden.

Die Langau zeigt also im Kleinen, wie eine Gesellschaft funktionieren könnte, in der alle etwas geben können und alle gleich viel wert sind. Und sie zeigt, dass es in der Debatte um den Bluttest nicht nur um Menschen mit Behinderung geht, sondern um uns alle: Wie wir mit anderen Menschen umgehen, sagt auch etwas darüber aus, wie wir uns selbst sehen.

PS: Ich war übrigens auf der Langau, weil eine Kollegin an der Hochschule der Medien das Konzept dieser Einrichtung in einem Dokumentarfilm bekannt machen möchte und meine Studierenden dafür in den nächsten Wochen Geld sammeln werden – in einer Crowdfunding-Kampagne mit dem Titel »Begegnung Leben«.

Die Moral von der Geschichte: Der Wert eines Menschen hängt nicht an seiner Leistung in einzelnen Bereichen. Weder sollte man andere danach einschätzen noch sich selbst.

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