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Schröders Mobilitäts-Check: Jeder sei seine eigene Haltestelle

Auf dem Land fahren Busse selten oder gar nicht. Max-Planck-Forscher wollen das jetzt mit ihrem Ecobus-Konzept ändern. Per Smartphone kann man den Bus direkt vor die Tür bestellen. Anders als Uber oder andere Rufsysteme will der Ecobus den öffentlichen Nahverkehr damit aber nicht kannibalisieren, sondern stärken. Testregion ist der Harz.
Ein Ecobus im Einsatz

Als junger Mann trug mein Vater beim Autofahren immer Handschuhe aus weichem Lammleder. Er liebte seine Autos. In den 1960er Jahren fuhr er einen Opel Kapitän mit Weißwandreifen, später dann einen roten Opel Rekord Sprint mit dezenten Rallye-Streifen auf der Seite. Samstags putzte er sein Auto immer unten auf dem Parkplatz, ganz gleich, ob es dreckig oder sauber war. Meine Mutter brachte er damit zur Weißglut. Papa machte so gut wie jeden Weg mit dem Auto. Er genoss es, durch unsere Heimatstadt Kappeln an der Schlei oder in die Nachbarorte zu fahren – in einem Auto, das für seinen Geldbeutel eigentlich immer eine Nummer zu groß war. Natürlich gab es Busse, die nach Eckernförde, Flensburg oder Schleswig fuhren. Mein Vater wusste das auch. Aber ich vermute, dass es ihm niemals in den Sinn gekommen ist, selbst mal den Bus zu nehmen. Und ich glaube, dass es vielen Menschen so geht, die auf dem Land leben. Nichts ist bequemer als das Auto vor der Tür. Kein Warten an der zugigen Haltestelle. Das Auto bringt einen von Tür zu Tür. In der Großstadt ist es anders. Da ist es selbstverständlich, Bus und U-Bahn zu nehmen. Wer halbwegs bei Verstand ist, verzichtet darauf, mit dem eigenen Wagen in die Innenstadt zu fahren und Lebenszeit mit der Parkplatzsuche zu vergeuden. Doch auf dem Land? Es gab für junge Leute nichts Größeres, als mit 18 den Führerschein zu machen, um endlich unabhängig zu sein und allein in die Disko oder sonst wohin fahren zu können.

Insofern bin ich gespannt, ob das Verkehrsprojekt, das Forscher vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation 2018 im Harz gestartet haben, wirklich ein Erfolg wird: der Ecobus. Der Ecobus ist ein Rufbus, den man per Smartphone, über die Website www.ecobus.jetzt oder per Telefon an einen beliebigen Ort bestellen kann. Die Forscher hoffen, dass sie damit die Menschen auf dem Land aus dem privaten Auto locken können – damit sich auf den Straßen weniger Autos drängeln und der Ausstoß von Kohlendioxid verringert wird. Setzte man ihre Rufbus-Idee konsequent um, schätzen die Forscher, ließe sich die Zahl der Privatfahrten mit dem Auto um zwei Drittel verringern. Wenn ich an meinen Vater denke, kann ich kaum glauben, dass das klappt.

Der Ecobus ist ein Pilotprojekt. Seit August 2018 sind im Harz zwischen Clausthal, Goslar und Osterode zehn Kleinbusse mit je acht Sitzplätzen unterwegs. Getreu dem Slogan »Sie sind die Haltestelle« holt der Ecobus die Leute an ihrem Standort ab, um sie ans Wunschziel zu bringen. Da heute jedes Smartphone über GPS verfügt, kann man den Bus auch in entlegene Ecken bestellen – sogar zum Wanderparklatz oder zur Grillhütte. Natürlich ist die Rufbus-Idee nicht wirklich neu – und auch die Privat-Taxis von Uber holen einen auf Bestellung ab. Doch das Konzept der Göttinger ist anders, denn der Ecobus soll den Nahverkehr stärken. Bei herkömmlichen Rufbussen oder den Privat-Taxis von Uber oder dem Konkurrenten Moia ist das Gegenteil der Fall. Sie verlagern die Personenbeförderung ins Auto – wenn es schlecht läuft, ziehen sie dem ÖPNV reihenweise Kunden ab. Das Gegenteil soll der Ecobus bewirken: Weil er praktisch ist wie ein Taxi, nicht teurer ist als die Fahrt mit dem Linienbus und sich ins vorhandene Netz einpasst, könnte er neue Kundschaft locken, so die Kalkulation.

Das angestrebte Drive-by-Demand-Konzept ist zudem wirtschaftlicher – gerade auf dem Land, wo Busse eh nur selten fahren. Und in den wenigen, die unterwegs sind, sehe ich meist nur ein paar Leute sitzen. »Geisterbusse« nennt die Nahverkehrsbranche diese unrentablen Leerfahrten. Noch weniger Fahrgäste gäben den Geisterbussen vermutlich den Rest. Die Göttinger haben mir erzählt, dass in der indischen Stadt Bangalore heute Leerfahrten der Privat-Taxis einen Großteil des Verkehrs ausmachen – Fahrer, die für Uber oder das indische Pendant Ola auf dem Weg zu ihrem nächsten Fahrgast sind. Das Ergebnis dieses Trends: nicht weniger, sondern mehr Verkehr. Der Ecobus soll es anders machen. Zwar stammt die Idee von den Max-Planck-Forschern, die Busse aber werden von den Nahverkehrsunternehmen in Ostniedersachsen betrieben. Der Ecobus wird damit als Lückenfüller in das Bus- und Bahnnetz eingebunden, er dient als Zubringer zu den Strecken, die schon da sind, und ist nicht als Konkurrent unterwegs, der Fahrgäste klaut. Wer bislang mit dem Auto vom Dorf zum Bahnhof nach Goslar fährt, dort seinen Wagen abstellt und mit der Bahn weiterreist, kann jetzt den Ecobus nehmen, der ihn mitsamt Gepäck zu Hause aufpickt. Eine echte Alternative.

Ich habe den Ecobus vor ein paar Tagen ausprobiert. Der Busfahrer hat mir erzählt, dass es bereits Stammkunden gibt. Alte Leute, aber auch viele Jugendliche, die am Wochenende unterwegs sind. Ein paar Männer haben sich neulich samt Holzkohle, Fleisch und Salaten zu einer Grillhütte im Grünen fahren lassen. Während wir auf der Bundesstraße durch den Wald kurvten, habe ich an meinen Vater gedacht und mich gefragt, ob der Ecobus ihn überzeugt hätte – wahrscheinlich nicht. Der Opel wäre bequemer gewesen. Und selbst die Parkplatzsuche hat meinen Vater nie schrecken können. Zumal es auf dem Land ohnehin genügend Parkplätze gibt.

Die Forscher aber sind zuversichtlich, dass sich der Ecobus durchsetzt. Etwa 1000 registrierte Nutzer gibt es bereits. Für mich klingt das nicht nach viel. Doch die Forscher sagen, dass die zehn Busse gut ausgebucht seien. Zehn Busse seien eigentlich zu wenig. Mitunter müsse man derzeit sogar mehr als eine Stunde warten, bis der Bus endlich vorbeikomme. Der Andrang sei so groß.

Für die Forscher ist das der Beweis, dass ihre Idee sticht. Sie hoffen, dass der Fuhrpark wächst, dass mehr Busse fahren, die die Fahrgäste schneller aufpicken. Ob es dazu kommt, weiß noch niemand. Die Nahverkehrsunternehmen seien interessiert, heißt es. Aber Pilotprojekte haben es an sich, dass man nie sicher sein kann, wie es nach Projektende weitergeht. So auch in diesem Fall. Bislang hat sich noch niemand dazu bekannt, den Ecobus zu einer festen Einrichtung zu machen. Ich fände das großartig. Denn mit Überlandbussen verband mich viele Jahre lang eine Hassliebe. Ich wollte kein Auto fahren und musste manches Mal einen Geisterbus nehmen. So fast allein im Bus fühlte ich mich oft wie am Ende der Welt. Und wenn ich dann irgendwo an einer Haltestelle ausstieg, bedeutete das keineswegs, dass ich schon am Ziel war. Manchmal stand noch ein Fußmarsch an. Und wenn es regnete, war ich wirklich am Ende der Welt. Wie schön wäre es gewesen, mit einem Smartphone den Ecobus rufen zu können. In diesem Sinne wünsche ich dem Ecobus von ganzem Herzen Erfolg und dass er auch hartgesottene Autofahrer hinter ihrem Lenkrad hervorzulocken vermag. Nicht nur im Harz, sondern allüberall in deutschen Landen.

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