Freistetters Formelwelt: Kein Bedarf an Außerirdischen
Wer in diesem Sommer Urlaub auf der Insel La Palma macht, kann sich dort das Teide-Observatorium ansehen. Es umfasst das »Roque-de-los-Muchachos-Observatorium«, welches mit seinem Spiegeldurchmesser von 10,4 Metern das derzeit größte optische Teleskop der Welt ist. Dass man es auf der Kanareninsel errichtet hat, geht auf die Arbeit des schottischen Astronomen Charles Piazzi Smyth zurück, der im 19. Jahrhundert zeigte, wie gut sich dieser Ort für astronomische Beobachtungen eignet.
Abseits der Astronomie ist Smyth aber vor allem für seine Erforschung der Cheops-Pyramide bekannt. Er stellte dort in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Messungen an und fand erstaunliche Zusammenhänge. Würde man die Höhe der Pyramide mit einer Milliarde multiplizieren, würde dies genau der mittleren Entfernung zwischen Erde und Sonne entsprechen. Aus der Seitenlänge des Bauwerks errechnet sich die Länge des Zeitraums zwischen zwei Sommersonnenwenden – und so weiter: Codiert in den Abmessungen der Pyramide fand Smyth jede Menge bedeutende astronomische Zahlenwerte.
Diese »Pyramidologie« erfreut sich bis heute großer Beliebtheit. »Ist es Zufall, dass die Grundfläche der Pyramide – geteilt durch die doppelte Höhe – die berühmte Ludolfsche Zahl π ergibt«, überlegte etwa Erich von Däniken 1968 in seinem Bestseller »Erinnerungen an die Zukunft« und führt die numerischen Auffälligkeiten auf außerirdischen Einfluss zurück.
Abgesehen davon, dass die Rechnung in der Form sowieso nicht stimmt, kann man seine Frage durchaus mit »Ja!« beantworten. Es ist Zufall. Das demonstrierte 1990 der niederländische Astronom Cornelis de Jager unter anderem mit dieser Formel:
Er hatte damals nicht die Pyramiden oder andere beeindruckende Bauwerke vermessen, sondern sein Fahrrad. In seiner Formel ist Lp der Pedalweg, DK der Durchmesser der Klingel und DL der Durchmesser der Fahrradlampe. Berechnet man daraus den Wert d, entspricht dieser ebenfalls dem mittleren Abstand zwischen Erde und Sonne (ausgedrückt in Einheiten von 100 Millionen Kilometern). Cornelis de Jager hat jedoch nicht behauptet, dass sein Fahrrad unter dem Einfluss von Aliens konstruiert worden sei. Er hat die Formel aufgestellt, um zu demonstrieren, dass man immer »bedeutsame« Zusammenhänge finden kann, wenn man nur lange genug mit den Zahlen herumspielt.
Ich habe das selbst einmal im Rahmen einer Wissenschaftskabarett-Show der »Science Busters« anhand meiner Kaffeetasse ausprobiert und konnte aus ihren Abmessungen unter anderem die Anzahl der Tage eines Jahres, den Abstand zwischen Erde und Sonne und sogar die Höhe der Cheops-Pyramide ableiten.
Solche Zusammenhänge lassen sich immer finden, wenn man Zahlen ausreichend kreativ miteinander kombiniert. Smyths Rechnungen etwa funktionierten nur, weil er (ohne irgendeine archäologische Grundlage) als Längeneinheit das »Pyramindenzoll« mit 2,54 Zentimetern definierte. Sucht man lange genug, findet man auch etwas. Der Zusammenhang allein begründet aber noch keine Bedeutung. Angesichts all der Möglichkeiten, Zahlen zu kombinieren, wäre es eher überraschend, würde man nichts finden.
Was Smyth, von Däniken und all die anderen »Pyramidologen« tun, hat nichts mit echter Wissenschaft zu tun. Man kann nicht einfach so lange suchen, bis man etwas Bestätigendes findet, was man gerne bestätigt sehen würde. Man muss sich auch überlegen, welche Aussagekraft die »Bestätigung« hat – im Fall der Pyramide eben absolut keine. Aus ihren Abmessungen kann man alles ableiten, was man möchte. Das macht die Pyramidologie komplett beliebig – und damit vollständig wertlos, um etwas Konkretes über die Welt zu lernen.
Anm. d. Red.: In der ersten Version haben wir das genannte Observatorium auf den Teide und die Insel Teneriffa verlegt. Das war falsch. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Schreiben Sie uns!
2 Beiträge anzeigen