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Sex matters: Was, wenn mein Partner mich nicht mehr antörnt?

Wenn eine Beziehung in die Jahre kommt, schwindet bei vielen Paaren die Lust aufeinander. Was ist da los? Der Sexualtherapeut Carsten Müller weiß Rat. Eine Kolumne.
Ein junges Paar langweilt sich auf der Couch
Dass die Spannung mit der Zeit schwindet, ist in langjährigen Beziehungen nicht ungewöhnlich. (Symbolbild)

»Was kann ich tun, wenn mein Partner mich nicht mehr antörnt? Und wenn weder Lust auf Sex noch Lust beim Sex aufkommt?« (E-Mail einer Leserin)

Danke, dass Sie diese Frage stellen. Unlust kann nämlich jedes Paar betreffen, das eine längere Beziehung führt. Manchmal nur kurzzeitig, zum Beispiel, wenn jemand krank ist oder großen beruflichen Stress hat. In anderen Fällen kann die Unlust andauern, wird zu einem Riesenthema und erzeugt Leidensdruck.

Fangen wir mit einer typischen Situation an. Ein Paar kommt zu mir in die Praxis. Kein Sex, wachsende Frustration und Unzufriedenheit. Im Einzelgespräch erzählt mir die Frau, dass ihr Mann sie »einfach nicht mehr anmacht«. Im weiteren Verlauf der Stunde kommen wir darauf, dass es überhaupt keine Momente sexueller Lust mehr gibt. Ihre Erklärung, die übrigens für viele Menschen auf der Hand zu liegen scheint, ist das fehlende »Antörnen«.

Für mich ist die Frage: Was heißt »antörnen«? Bezieht es sich auf Äußerlichkeiten? Jemanden attraktiv und sexy zu finden, kann antörnend sein. Aber: Wenn sich im Lauf der Jahre die Körper verändern und die Kilos mehren, bedeutet das zwangsläufig, dass die Attraktivität und damit die sexuelle Lust aufeinander schwinden?

Nein. In den Köpfen mancher Menschen ist das zwar so – doch ich glaube, dass der Fokus auf Äußerlichkeiten gerade in langjährigen Beziehungen andere Themen überlagert. In Umfragen, die sich damit beschäftigen, warum Paare keinen Sex miteinander haben, rangieren die Äußerlichkeiten weit hinten. Nicht mal ein Zehntel aller Menschen beklagen sich darüber, dass ihre Partner nicht attraktiv genug seien. Dagegen sind die Top-Gründe für Unlust andere. Laut einer Onlineumfrage mit mehr als 3800 Menschen, die in einer Partnerschaft lebten, waren Stress und Müdigkeit mit jeweils knapp 40 Prozent die meistgenannten Gründe dafür, keinen Sex miteinander zu haben. Und wie lässt sich das ändern?

Mit der Lust ist es wie mit dem Essen. Ich kann mich an den gedeckten Tisch setzen und mich darüber beschweren, dass die Pizza nicht lecker ist, weil keine Salami darauf liegt. Wenn wir das in den Bereich der Sexualität übertragen, klingt die Salami-Pizza-Situation so: »Ich habe keinen Sex mit meinem Partner, weil er mich nicht antörnt.«

Ich stolpere über diese Formulierung. Wie wäre es mit einem »wir« statt »mein Partner« und »ich«? Es ist vielleicht nur eine sprachliche Nuance, aber der Gedanke dahinter ist wichtig. Wir könnten gemeinsam den Pizzateig zubereiten, miteinander überlegen, was wir mögen, und die Pizza so belegen, dass sie uns schmeckt. So ähnlich ist es beim Sex: Die Vorfreude steigt, wenn man es gemeinsam angeht. Jeder hat gleich viel Verantwortung, und wenn etwas blöd läuft, gibt es keine Schuldzuweisungen. Beide haben die Möglichkeit, die Situation zu gestalten.

Wie können wir Situationen schaffen, die uns antörnen? Um Paaren dabei zu helfen, frage ich sie, was heute anders ist als früher. Denn in der Antwort kann schon die Lösung stecken. »Wir finden unsere Körper nicht mehr so flott wie vor 20 Jahren – dann lass uns schauen, ob wir den Raum anders gestalten oder das Licht verändern.«

Es wird zwar nichts mehr wie früher. Trotzdem ist der Blick zurück hilfreich. Ein möglicher Gesprächseinstieg: »Hey, ich möchte mir dir darüber sprechen, wie wir wieder sexuelle Momente miteinander haben.« Wie viel Raum zum Antörnen gibt es überhaupt noch? Wie voll ist der Alltag? Gibt es noch Zeit, die wir nur für uns haben?

Fragen Sie. Das Thema ist sowieso schon da, auch wenn's noch nicht ausgesprochen ist. In der Regel haben beide Antennen dafür und merken genau, dass es etwas gibt, über was man reden sollte. Bei einem guten Essen, einem gemeinsamen Abend, auf den sich beide vorbereiten können. Wie war das damals mit unserer sexuellen Lust, in welchen Situationen hatten wir eigentlich Sex? Wer hat den ersten Schritt gemacht? Warum kommt es heute nicht mehr dazu?

Für Lust braucht es Raum und emotionale Verbundenheit

Antörnen in langjährigen Beziehungen funktioniert anders als bei frisch Verliebten. Lust entsteht nicht auf Knopfdruck. Es braucht Raum dafür, und es braucht eine emotionale Verbundenheit. Die Psychologin und Paartherapeutin Laura Vowels von der University of Southampton hat gemeinsam mit einer US-Kollegin erforscht, wie Liebe und Sexualität zusammenhängen. 90 heterosexuelle Paare bekamen 30 Tage lang jeden Morgen einen Fragebogen, in dem sie über ihre sexuellen Aktivitäten berichteten. Die Forschenden fragten, ob sie Sex miteinander hatten und wie groß die emotionale Verbundenheit war. Das Resultat der Studie: Wer sich liebevoll verbunden fühlte, hatte mehr Lust auf Sex.

Noch ein wichtiger Aspekt: Wie steht es um Fantasien? Haben sich in den Köpfen neue Wünsche entwickelt? In Einzelgesprächen erzählen Menschen mir häufig von ihrem Bedürfnis nach »dirty talk«. Dazu wird es aber nicht kommen, wenn der Partner nichts davon weiß. Es hilft, konkrete Wünsche zu äußern. Jeder Mensch möchte, dass seine Bedürfnisse wahrgenommen werden. Wenn meine Wünsche eine Rolle spielen, törnt das an.

Lust entsteht eher am Küchentisch als im Schlafzimmer. Oder sie entsteht eben nicht – wenn ich zum Beispiel von der Person, mit der ich Tisch und Bett teile, genervt bin. Wenn es Verletzungen gibt, über die nie gesprochen wurde. Wenn Paare nicht mehr kommunizieren und keine Antennen füreinander haben. Dann sind wir bei Beziehungsthemen. Dann geht es darum, sich die Partnerschaft anzuschauen. Was sind Dinge, die nerven, und was sind Highlights? Es geht darum, einen gemeinsamen Blick auf das Leben zu schaffen. Denn das bringt Verbundenheit – und törnt an.

Und nun sind Sie dran: Was hat sich geändert?

Finden Sie drei Dinge, die sich in Ihrer Beziehung verändert haben. Fragen Sie sich: Wie war es am Anfang der Beziehung, und wie ist es jetzt? Überlegen Sie, ob Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin darüber sprechen möchten. Auch Dinge, die Sie zufrieden machen, dürfen besprochen werden – weil das wie ein kleines Schulterklopfen für die Beziehung ist und ein wohltuendes Gefühl von Verbundenheit herstellt.

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