Freistetters Formelwelt: Das Geheimnis unserer Welt

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Vor Kurzem hatte ich das Vergnügen, in Regensburg das Haus zu besuchen, in dem Johannes Kepler am 15. November 1630 gestorben ist. Heute befindet sich dort ein kleines, aber sehr informatives Museum, das einen guten Überblick über Keplers Zeit, Leben und Werk bietet. Aus mathematischer Sicht könnte man dutzende Kolumnen mit der Arbeit von Kepler füllen: die keplerschen Gesetze, die keplersche Fassregel, die keplersche Vermutung und so weiter.
Persönlich finde ich aber ein Thema spannender, bei dem sich Kepler geirrt hat. Ich habe es kürzlich in einem anderen Kontext wieder getroffen, bei dem es um diese Formel geht:
Stellen wir uns einen Kreis mit dem Radius 1 vor. Diesem Kreis schreiben wir ein gleichseitiges Dreieck ein, dem selbst wieder ein Kreis eingeschrieben wird. In diesen neuen Kreis setzen wir ein Quadrat und darin einen weiteren Kreis. In diesen Kreis kommt ein Fünfeck – und so geht es immer weiter. Eingeschriebene Kreise wechseln sich mit regelmäßigen Vielecken ab, deren Seitenanzahl schrittweise erhöht wird. Die geometrischen Figuren rücken dabei immer weiter zusammen und wenn man das Spiel bis ins Unendliche treibt, erhält man einen »innersten Grenzkreis«, dessen Radius durch obige Formel gegeben ist. Die mathematische Bedeutung dieser Konstante ist begrenzt, aber ihre Geschichte ist interessant. Genauer gesagt: die Geschichte, auf die diese Zahl verweist.
Der niederländische Mathematiker und Physiker Christoffel Jacob Bouwkamp hat 1964 einen Artikel veröffentlicht, der den simplen Titel »An infinite product« trägt. Darin stellt er die obige geometrische Konstruktion vor und verweist auf das populärwissenschaftliche Buch »Mathematics and the Imagination« aus dem Jahr 1940, in dem erste Berechnungen zum Radius des Grenzkreises gemacht wurden. Bouwkamp selbst hat die Methoden verbessert und mathematisch analysiert. Trotzdem ist die Zahl heute als Kepler-Bouwkamp-Konstante bekannt, obwohl Johannes Kepler mit der Berechnung nichts zu tun hat.
Lässt sich das Weltgeheimnis knacken?
Von ihm stammt aber das 1596 veröffentlichte Buch »Mysterium Cosmographicum« (deutsch: Das Weltgeheimnis). Der Titel ist passend, denn Kepler wollte tatsächlich klären, warum die Welt so ist, wie sie ist. Mit Welt meinte er das Sonnensystem. Über die Natur des restlichen Universums konnte man mit den damaligen Methoden kein verlässliches Wissen erlangen und natürlich waren damals, abgesehen von Sonne, Erde und Mond nur die Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn bekannt. Aus Keplers Sicht gab es also fünf Planeten. Und er wusste natürlich auch, dass es fünf platonische Körper gibt, also regelmäßige Polyeder.
Für ihn war dies kein Zufall, sondern tatsächlich das Weltgeheimnis: Eine Kugel umschließt einen Würfel, der eine weitere Kugel einschließt, in deren Innerem sich ein Tetraeder befindet. Darin befindet sich eine weitere Kugel, die einen Dodekaeder einschließt und die Konstruktion geht entsprechend mit einem Ikosaeder und einem Oktaeder weiter. Die Größe der Kugeln, deren Abstand voneinander durch die verschachtelten Polyeder vorgegeben wird, entsprechen laut Kepler den Größen der Umlaufbahnen der Planeten. Das Fundament der Welt ist also reine Geometrie.
Im Rahmen der damaligen Messgenauigkeit war das keine schlechte Konstruktion. Heute wissen wir natürlich, dass die Idee falsch war. Aber es war eine Idee, die Kepler zur Entdeckung seiner Gesetze der Planetenbewegung inspiriert hat. Und vor allem war es eine mutige Idee: Im 16. Jahrhundert war es noch längst nicht selbstverständlich, die Welt rational und wissenschaftlich erklären zu wollen. Auch wenn Keplers verschachtelte Geometrie der falsche Ansatz war, der Weg, den er eingeschlagen hatte, war definitiv richtig. Die Kepler-Bouwkamp-Konstante trägt ihren Namen also durchaus zu Recht.
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