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Cannabis-Legalisierung: Kiffen wird legal werden

Selbst die Argumente, die vermeintlich ein Verbot der Droge rechtfertigen, sprechen inzwischen eher für die Legalisierung, kommentiert Lars Fischer.
Zwei Pillendosen mit Grünzeug, dahinter füllt ein Arzt ein Rezept aus

"Weder intelligent noch zielführend" sei das Verbot von Cannabis, sagte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, im Interview mit der "Bild". Er prognostiziere ein baldiges Ende der Kriminalisierung. Damit gibt der Funktionär einer Debatte neuen Schwung, die eigentlich längst entschieden sein sollte – denn sogar die Gründe, die vermeintlich ein Verbot rechtfertigen, sprechen für die Legalisierung.

Zuerst einmal bleibt festzustellen, dass das Gefahrenpotenzial von Cannabis lange Zeit drastisch übertrieben wurde; nicht zuletzt wohl auch, um das von Schulz als "willkürlich" bewertete Verbot zu rechtfertigen: Suchterkrankungen treten, wie Fachleute berichten, beim Kiffen deutlich seltener auf als bei anderen Drogen und haben meist geringere soziale und gesundheitliche Konsequenzen für die Opfer. Man darf diese Gefahr nicht unterschätzen, aber der Vergleich mit den legalen Drogen Alkohol und Nikotin zeigt, dass sich die gegenwärtige Rechtslage mit diesem Argument nicht rechtfertigen lässt.

Auch dass die geistigen Einschränkungen beim akuten Konsum zu langfristigen kognitiven Defiziten führen, ist zumindest strittig: Es gibt Studien, nach denen die geistige Leistung im Alter durch Kiffen stärker nachlässt. Andererseits führt Cannabis anscheinend bei den als besonders verwundbar geltenden Jugendlichen weder zu messbar sinkenden Intelligenzquotienten noch zu schlechteren schulischen Leistungen. Die Auswirkungen des Kiffens auf das Gehirn sind komplizierter als gedacht und lassen sich nicht zuverlässig von anderen Einflussfaktoren wie Alkoholkonsum oder dem sozialen Umfeld trennen.

Das Cannabis-Verbot ist medizinisch nicht begründbar

Vor allem aber würde eine Legalisierung die Chance bieten, zwei relativ neue Effekte zu bekämpfen. Zum einen steigt nach Ansicht von Fachleuten die Häufigkeit psychischer Probleme nach Cannabiskonsum seit einigen Jahren deutlich an. Zum anderen drängen synthetische Cannabinoide in den Markt, die weit potenter sind als der Naturstoff und deren Auswirkungen man nicht kennt – oft ist sogar unklar, um was für Stoffe es sich handelt.

Beide Entwicklungen hängen vermutlich zusammen; inzwischen ist bekannt, dass der Hauptwirkstoff von Cannabis, THC, bei entsprechend veranlagten Leuten Psychosen auslösen kann – ein anderer Inhaltsstoff des Krauts, das Cannabidiol (CBD), wirkt dem entgegen. Letzteres verursacht keinen Rausch, so dass viele hochpotente Sorten nur auf hohen THC-Gehalt hin gezüchtet wurden und deswegen kaum CBD enthalten.

Vermutlich sind es vor allem diese neuen Sorten, zusammen mit den THC-ähnlichen synthetischen Cannabinoiden, die für diesen Anstieg verantwortlich sind. Gras ist nicht gleich Gras, und das bietet einen sehr naheliegenden Ansatzpunkt für Gegenmaßnahmen: legales Cannabis, dessen Inhaltsstoffe gesetzlich vorgeschrieben sind und regelmäßig kontrolliert werden.

Sinnvoll wäre vermutlich, das Naturprodukt in spezialisierten Abgabestellen zu verkaufen, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten. Die könnten dann auch gleich die anderen legalen Drogen Alkohol und Nikotin unter ihre Fittiche nehmen, aus exakt den gleichen Gründen. Schließlich stehen diese dem Cannabis in ihren gesundheitlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen in nichts nach.

Freigabe im Interesse aller

Kurioserweise diskutieren Fachleute sogar, Cannabis als "Ausstiegsdroge" einzusetzen – um nämlich zum Beispiel die erheblichen Entzugssymptome bei einer Alkoholabhängigkeit zu lindern. Das ist auch nur die ungewöhnlichste jener medizinischen Anwendungen, für die man Cannabis und seine Inhaltsstoffe diskutiert. Allerdings fasst der Beschluss des Bundestags im Januar 2017 die möglichen Einsatzgebiete recht eng: Andere therapeutische Möglichkeiten müssen ausgeschöpft sein – unabhängig davon, ob die zum Beispiel schwerere Nebenwirkungen haben. Diese Einschränkungen entstammen dem Geiste des Verbots und schaden Patientinnen und Patienten.

Auch der Umstand, dass viele Fragen rund um die Droge noch kaum geklärt sind, ist eher ein Argument für die Legalisierung. Die wissenschaftliche Literatur über legale Drogen ist um ein Vielfaches umfangreicher als jene über das Kiffen – was keinesfalls die jeweiligen Nutzerzahlen repräsentiert, sondern den legalen Status. Eine Legalisierung würde die Forschung an Auswirkungen und Folgen des Cannabiskonsums voranbringen und vor allem auch viele wegen der dünnen Studienlage sehr schlecht belegte Befunde über potenzielle medizinische Anwendungen erhärten oder widerlegen.

Die Zeit des Cannabis-Verbots ist jedenfalls abgelaufen, das zeigt nicht nur die Stellungnahme des BDK-Vorsitzenden, sondern auch der gesellschaftliche Trend der letzten Jahre und Jahrzehnte. Kiffen ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und die restriktive Gesetzeslage verhindert nichts, sondern schafft nur eigene Probleme. Aber die Erfahrungen mit der Legalisierung in anderen Ländern zeigen auch, dass es einige Fallstricke zu vermeiden gilt, wenn das Verbot abgeschafft wird. Schon deswegen sollte man nicht mehr über das "Ob" diskutieren, sondern über das "Wie".

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