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Freistetters Formelwelt: Klein, aber oho!

Der "Große Satz von Fermat" ist extrem prominent. Doch es lohnt sich, auch einen Blick auf einen anderen Satz des großen Mathematikers Pierre de Fermat zu werfen.
Viele kleine Zahlen

Jeder hat den "Satz von Pythagoras" in der Schule gelernt: a2 + b2 = c2. Wer sich ein wenig intensiver mit der Mathematik beschäftigt hat, der kennt sicher auch die Verallgemeinerung dieser Gleichung, die im 17. Jahrhundert von Pierre de Fermat formuliert wurde: Die Gleichung an + bn = cn hat keine Lösung, wenn a, b, c und n positive ganze Zahlen sind und n größer als 2 ist. Dieser "Große Satz von Fermat" ist unter anderem deswegen so berühmt, weil es mehr als 350 Jahre dauerte, seine Gültigkeit zu beweisen. Die großen Mathematiker der letzten Jahrhunderte sind daran gescheitert, und der erst 1994 gefundene Beweis ist so kompliziert, dass er fast 100 Seiten Text umfasst.

Über den Satz von Fermat wurden populärwissenschaftliche Bücher geschrieben, Fernsehdokumentationen gedreht, und Andrew Wiles, der britische Mathematiker, der den lang gesuchten Beweis endlich fand, wurde mit Auszeichnungen überhäuft. Viel weniger öffentliche Aufmerksamkeit wurde einer anderen mathematischen Behauptung von Fermat gewidmet. Neben dem "großen" Satz von Fermat gibt es nämlich auch noch einen "kleinen", der folgendermaßen lautet:

Der kleine fermatsche Satz

In dieser Formel ist a eine beliebige ganze Zahl und p eine Primzahl. Der dreifache horizontale Strich in der Mitte ist kein falsch geschriebenes Gleichheitszeichen, sondern beschreibt etwas, was in der Mathematik "Kongruenz" genannt wird. Um herauszufinden, ob zwei Zahlen kongruent sind, braucht man noch eine zusätzliche ganze Zahl, den so genannten "Modul". Kongruenz besteht genau dann, wenn die beiden Zahlen bei der Division durch den Modul denselben Rest haben.

Fermats kleiner Satz besagt also, dass eine ganze Zahl a, die man zur Potenz p erhebt, kongruent zur ursprünglichen ganzen Zahl a ist. Berechnet man zum Beispiel die dritte Potenz von 4, dann ergibt das 64. Der Rest einer Division von 64 durch 3 ist 1; genauso wie der Rest einer Division von 4 durch 3. Beide Zahlen sind also wirklich kongruent.

Die Rechnung unter Verwendung eines Moduls und die Definition der Kongruenz mag ein wenig gezwungen erscheinen. Tatsächlich verwenden wir genau diese Prinzipien aber ständig in unserem Alltag. Blicken wir zum Beispiel um 20 Uhr auf eine normale Wanduhr, dann steht der Stundenzeiger dort auf der 8. Wir sind so sehr daran gewöhnt "20 Uhr" mit "8 Uhr abends" gleichzusetzen, dass uns die mathematischen Grundlagen gar nicht mehr auffallen. Die besteht auch hier aus einer Kongruenz der beiden Zeitangaben in Bezug auf den Modul 12. Teilt man 20 durch 12, ist der Rest 8; genauso wie bei der Division von 8 durch 12.

Fermats kleiner Satz musste bei Weitem nicht so lange auf einen Beweis warten wie sein großes Gegenstück. Der erste publizierte Beweis stammt aus dem Jahr 1736 und wurde von keinem Geringeren als dem großen Mathematiker Leonhard Euler gefunden. Und auch wenn Fermats kleinem Satz eine öffentliche Prominenz wie dem großen Satz versagt geblieben ist: In der Mathematik ist er von großer Bedeutung. Er bildet beispielsweise die Grundlage des "Miller-Rabin-Tests", mit dem entschieden werden kann, ob eine ungerade natürliche Zahl eine Primzahl ist oder nicht. Bei kleinen Zahlen ist das noch recht schnell durch ein paar einfache Rechnungen möglich. Bei modernen Kryptografieverfahren (zum Beispiel bei denen, die unsere Kommunikation im Internet verschlüsseln) werden allerdings sehr, sehr große Primzahlen benötigt, und dort wird heute immer noch oft der auf Fermats kleinem Satz basierende Algorithmus eingesetzt.

Als ich mich in meiner Jugend für Mathematik zu interessieren begann, hatte ich keine Ahnung von Fermats kleinem Satz. Ich habe die Bücher über die spannende Geschichte von Fermats großem Satz verschlungen; war fasziniert von den vielen fehlgeschlagenen Versuchen, ihn zu beweisen, und dem langen und mühsamen Weg, den Andrew Wiles gegangen ist. Heute freue ich mich, dass ich mittlerweile auch den weniger prominenten kleinen Satz kennen gelernt habe.

Die beiden Sätze von Fermat vereinen all das, was die Mathematik für mich so spannend und wichtig macht. Sie beschäftigen sich mit Zusammenhängen zwischen Zahlen, einer komplett abstrakten Disziplin, die fast schon näher an der Philosophie steht als an der Naturwissenschaft. Trotzdem ist der eine Satz heute die Grundlage vieler realer Anwendungen und Produkte; der andere Satz hat über die Jahrhunderte hinweg die Menschen inspiriert und tut das bis heute noch. Abstrakte Mathematik, angewandtes Wissen und inspirierende Geschichten: Mehr kann man sich von ein paar mathematischen Symbolen kaum wünschen.

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