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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte des »à la carte« – Warum wir essen gehen

Dass wir ins Restaurant gehen und aus einer Speisekarte wählen, verdanken wir der Französischen Revolution.
Abendessen in einem Pariser Restaurant

Neulich hat uns jemand von einem Sternerestaurant in Hamburg erzählt, bei dem es für alle Gäste genau ein Menü gibt und alle gemeinsam an einem langen Tisch sitzen. Das hat uns ein bisschen an die frühe Neuzeit erinnert, denn bis ins 19. Jahrhundert war unter europäischen Adligen der »Table d'hôte« üblich: Zu einer festen Essenszeit setzten sich die Herrschaften gemeinsam an den Tisch (»table«) des Gastgebers (»hôte«). Wurde französisch serviert, trug das Personal alle Gänge gleichzeitig auf, wurde russisch serviert, brachte man die Gänge einzeln an den Tisch. Auch in den Wirtshäusern und Gaststätten war eine freie Menüwahl nicht üblich. Wer essen gehen wollte, bekam ein Tagesmenü zum Festpreis.

»Die Karte, bitte!«

Was es daher nicht gab, war eine Speisekarte – und Einzeltische. Denn die moderne Restaurantkultur, wie wir sie heute kennen, war noch nicht erfunden. Wann das erste Restaurant eröffnet hat, wissen wir leider nicht, aber es deutet einiges darauf hin, dass es in Paris war. Und der erste Spitzenkoch kam – keine Überraschung – ebenfalls aus Paris: Marie-Antoine Carême, auch bekannt als »Koch der Könige und König der Köche«. Von ihm sind Kochbücher und zahlreiche Rezepte überliefert. Er arbeitete am französischen Hof zur Zeit Napoleons – als das Essengehen in Paris schon üblich war.

Denn das À-la-carte-Essen verdanken wir der Französischen Revolution von 1789. Die Köche und das Küchenpersonal suchten nach dem Sturz des Adels ein neues Betätigungsfeld – und fanden im aufstrebenden Bürgertum ein hungriges Publikum. Nicht nur in Paris: Das erste Restaurant in Hamburg zum Beispiel eröffnete 1794. Betrieben wurde es vom ehemaligen Koch von Marie-Antoinette. Die französische Königin war ein Jahr zuvor in Paris mit der Guillotine hingerichtet worden. Ihr wird übrigens der Satz zugeschrieben, dass ihr Volk doch Kuchen essen solle, wenn es kein Brot gäbe. Wie so oft bei historischen Zitaten gilt auch hier: Sie klingen super, aber stimmen meistens nicht. Zumindest gibt es in den historischen Quellen keinerlei Hinweis darauf, dass sie das tatsächlich irgendwann einmal gesagt hat.

Von der Gewürzküche zum Eigengeschmack

Apropos Kuchen: Der wurde zu einem wichtigen Menüpunkt beim Essen à la carte. Denn erst um 1800 etablierte sich beim gemütlichen Schmausen auch das Verzehren einer süßen Nachspeise. Anlass genug, neue Formen von Süßspeisen zu kreieren. Der bereits genannte Koch Marie-Antoine Carême betrieb übrigens eine eigene Konditorei in Paris und setzte mit seiner Patisserie neue Maßstäbe – aufwändige Torten und Blätterteiggebäck wie das Mille-feuille zählten zu seinen Spezialitäten.

Sturm auf die Bastille 1789 | Kupferstich des französischen Malers Jean-Louis Prieur von 1817

Süß gegessen wurde zwar schon vor der Einführung der süßen Nachspeise, aber anders: Die Küche der frühen Neuzeit wird als Gewürzküche bezeichnet – das heißt, Gerichte mit viel Aromen und exotischen Gewürzen kamen auf den Tisch. Beliebt waren Hauptgerichte mit süß-sauren Soßen. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts änderte sich nicht nur die Zubereitung des Essens, sondern auch das Geschmacksbild wandelte sich. Es wurde pikanter, und die Gäste legten mehr Wert auf den Eigengeschmack der Zutaten. Das 19. Jahrhundert war dann auch die Zeit, in der die meisten Nationalgerichte entstanden – so zubereitet, wie wir sie heute noch kennen.

In dieser Zeit wurde ebenfalls eine Zutat erfunden, die heute in keiner Küche fehlt: die Bouillon, eine stark konzentrierte Fleischbrühe als Grundlage für alle Suppen und Soßen. Vorher waren Suppen eher teigig. Man dickte sie mit Brot zu einer breiigen Masse ein. Die Bouillon schätzte man als gesund und nahrhaft im Gegensatz zur höfischen Küche. Das Bürgertum diskreditierte diese als Inbegriff der Dekadenz. Dabei war die neue Restaurantkultur nicht weniger dekadent. Das Essengehen à la carte konnte sich eigentlich nur die bürgerliche Elite leisten.

Essen gehen wird zum Lifestyle

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der Restaurants stark zu. Es etablierte sich eine bürgerliche Esskultur, bei der der Genuss von Speisen und Getränken im Vordergrund stand. Essen gehen wurde zum Lifestyle – und ist es bis heute geblieben. Es ist also noch gar nicht so lange her, dass wir in ein Restaurant gehen, einen eigenen Tisch bekommen, individuell bedient werden und aus einer Speisekarte wählen. Und weil sich essen gehen inzwischen nicht nur die Wohlhabenden und Adligen leisten können, geht der Trend in der Sterneküche offensichtlich wieder zum »Table d'hôte«.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche eine Geschichte aus der Geschichte auf ihrem Podcast »Zeitsprung«. Auf »Spektrum.de« blicken sie ebenfalls in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.

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