Direkt zum Inhalt

Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte des Fernsprechers, den ein hessischer Lehrer erfand

Was haben eine Geige, eine Stricknadel und eine Hasenblase gemeinsam? Daraus lässt sich ein Telefon bauen, wie unsere Geschichtskolumnisten erzählen.
Der Erfinder Philipp Reis steht in der Scheune hinter seinem Haus und testet sein »Telephon«. Zeichnung von 1925.
Der Erfinder Philipp Reis steht in der Scheune hinter seinem Haus und testet sein »Telephon«. Die Zeichnung ist in dem Buch von Artur Fürst »Das Weltreich der Technik« aus dem Jahr 1925 abgebildet.

Es war Herbst 1861. Philipp Reis stand in seinem Wohnzimmer im kleinen hessischen Ort Friedrichsdorf bei Frankfurt am Main. Vor interessierten Zuhörern präsentierte er einen Apparat, mit dem man Töne und die menschliche Stimme über die Ferne übertragen könne. Reis hatte einen langen Draht aus dem Wohnzimmer über den Zwetschgenbaum im Garten in eine Scheune verlegt, wo sein Schwager als Assistent das Gerät bediente.

Das Publikum im Wohnzimmer sollte sogleich Zeuge des ersten dokumentierten Telefongesprächs der Geschichte werden. Ein Jahr zuvor hatte der Physiklehrer Reis (1834–1874), der in seiner Freizeit leidenschaftlich gerne Modelle für den Schulunterricht bastelte, die Apparatur seinen Kollegen vorgestellt – er nannte das Gerät »Telephon«. Damals hatte es allerdings noch ein großes Manko: Töne und Melodien ließen sich übertragen, aber die menschliche Sprache war nicht zu verstehen.

Ein Physiklehrer baute den Vorläufer des Telefons

Mit seiner Erfindung versuchte Reis, die Funktionsweise des menschlichen Ohrs nachzubilden. Seine Prototypen bestanden aus einem Schalltrichter, auf den er ein Stück Naturdarm gespannt hatte. Auf dieser Art Trommelfell hatte Reis einen Platinstreifen angebracht, im Prinzip das Gehörknöchelchen, das mit einem Stromkreis verbunden war. Schallwellen versetzten die Membran in Schwingung, die durch das Platinplättchen in den Stromkreis übertragen wurde.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Auf der anderen Seite, der Gegenstelle, befand sich eine Kupferdrahtspule, an die eine Stricknadel montiert war. Das sich verändernde Magnetfeld der Spule führte dazu, dass sich die Stricknadel bewegte und so das Tonsignal übertrug. Die »sprechende Stricknadel«, wie Reis sie nannte, war allerdings recht leise, weshalb das Signal verstärkt werden musste. Ein befreundeter Musiklehrer half, dieses Problem zu lösen. Bei einem Besuch hatte der Musiker seine Geige dabei. Und als die beiden Lehrer die Stricknadel auf dem Instrument ablegten, erwies sich die Geige als hervorragender Resonanzkörper.

»Das Pferd frisst keinen Gurkensalat«

Reis bastelte unermüdlich daran, die Übertragungsqualität seines »Telephons« zu verbessern. Jede freie Minute verbrachte er in der kleinen Scheune hinter seinem Wohnhaus und tüftelte an weiteren Prototypen. Für die Vorführung in seinem Wohnzimmer 1861 wählte Reis eine Hasenblase als Trommelfell und eine kleine Holzkiste als Verstärker. In der Scheune las sein Schwager aus einem Buch vor, während Reis mit seinen Gästen im Wohnzimmer gebannt vor dem Empfangsapparat harrte, den sich der Erfinder ans Ohr hielt und das Gehörte wiederholte.

Das Publikum blieb skeptisch. Vielleicht war die Vorführung nur ein Schwindel, und Reis hatte sich mit seinem Schwager abgesprochen? Da kam die Idee auf, einen möglichst sinnlosen Spruch zu übermitteln, wie der Publizist Wolfram Weimer in seiner Biografie über Reis, »Der vergessene Erfinder«, schreibt. Der befreundete Musiklehrer ging daraufhin in die Scheune und sagte den legendären Satz: »Das Pferd frisst keinen Gurkensalat.« Und Philipp Reis? Er war am anderen Ende der Leitung etwas irritiert und wiederholte nur: »Das Pferd frisst.«

Seither gelten diese Worte als erster dokumentierter, fernmündlich übertragener Satz. Etwas besser lief es beim zweiten Spruch des Musiklehrers: »Die Sonne ist von Kupfer.« Reis verstand zwar »Zucker« statt »Kupfer«, aber immerhin konnte er zeigen, dass sich auch die menschliche Sprache übertragen lässt.

Kein Erfolg und keine Anerkennung für Philipp Reis

Angestachelt durch seine Erfolge präsentierte Reis ab 1862 mehrfach seine Apparatur der Öffentlichkeit und ließ auch einige Prototypen herstellen, die er verkaufte und als wissenschaftliche Vorführobjekte dienten. Die Reis-Geräte gelten heute als Vorläufer des Telefons. Einen dieser Prototypen bekam auch Alexander Graham Bell (1847–1922) im schottischen Edinburgh in die Finger, der später das Patent auf das Telefon zugesprochen bekam und die neue Kommunikationstechnik international vermarktete.

Die Reis-Geräte verbreiteten sich zwar in Fachkreisen, aber der große Durchbruch ließ auf sich warten. Und nachdem sich auch kein finanzieller Erfolg der Erfindung abgezeichnet hatte, ließ Reis am Ende der 1860er Jahre die Idee fallen und widmete sich anderen Basteleien. Er starb schließlich mit nur 40 Jahren 1874 an Tuberkulose. So erlebte er nicht mehr, wie seine Erfindung weltberühmt und eine der wichtigsten Techniken des 20. Jahrhunderts wurde.

Der zähe Kampf ums Patent

Zwei Jahre nach dem Tod von Philipp Reis meldete ein Einwanderer aus Schottland in den USA das Telefon zum Patent an. Bell legte damit den Grundstein für das größte Telekommunikationsunternehmen der Welt. Es folgten jahrzehntelange Rechtsstreitigkeiten um das Patent und hunderte Klagen gegen die Bell Telephone Company. Der Unternehmer Elisha Gray (1835–1901) etwa erhob schwere Vorwürfe gegen Bell. Gray hatte sein Telefon-Patent nur zwei Stunden nach ihm eingereicht. Er konnte sich allerdings vor Gericht nicht durchsetzen, ebenso wie ein weiterer Telefon-Erfinder: der italienische Einwanderer Antonio Meucci (1808–1889).

Meucci arbeitete unabhängig von Reis an der direkten Tonübertragung. Sein »Telettrofono« soll er bereits 1860 erstmals öffentlich vorgeführt haben. 1871 ging er mit seiner Erfindung zum US-Patentamt. Jedoch meldete er nur einen Patentvorbehalt an, der jährlich erneuert werden musste. 1874 verzichtete er auf die Verlängerung, und so war der Weg für Alexander Graham Bell frei. Meucci zog ebenfalls vor Gericht, starb aber im Jahr 1889, bevor das Verfahren entschieden war.

Bell, so viel ist sicher, war nicht der Erfinder des Telefons, aber der erfolgreiche Vermarkter, der von den Geräten einiger Telefon-Pioniere profitierte. Einer davon war Philipp Reis, der in seiner Scheune in einem kleinen hessischen Dorf eine Idee vorantrieb, welche die heutige Kommunikation revolutionierte.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.