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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte des ersten und einzigen Militärputschs in Australien

Der berühmt-berüchtigte Kapitän des Meutereischiffs »Bounty« kam 1806 nach Australien. Dort war William Bligh als Gouverneur bald in eine neue Rebellion verstrickt, erzählen unsere Kolumnisten.
Ein historischer Druck zeigt eine dramatische Szene auf See. Links ist das Heck eines großen Segelschiffs mit dem Namen "Bounty" zu sehen, auf dem mehrere Personen stehen. Rechts davon befindet sich ein kleines Beiboot mit dicht gedrängten Menschen, von denen einige gestikulieren. Der Himmel ist in sanften Pastelltönen gehalten, und das Wasser wirkt ruhig. Die Szene vermittelt eine angespannte Atmosphäre, die auf eine bedeutende historische Begebenheit hinweist.
Auf offenem Meer setzten die Meuterer William Bligh und seine verbliebenen Getreuen aus. Der kolorierte Druck wurde 1790, ein Jahr nach der Meuterei auf der »Bounty«, publiziert.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Am 28. April 1789 wurden William Bligh und 18 seiner Seemänner in einem Beiboot ausgesetzt. Mitten im Südpazifik, mit Proviant für nur wenige Tage. Die Männer waren in einer praktisch ausweglosen Situation. Der nächste erreichbare Hafen lag fast 7000 Kilometer entfernt, auf der Insel Timor. Doch das schier Unglaubliche gelang: Völlig ausgezehrt erreichten sie nach 48 Tagen tatsächlich Kupang, eine Stadt im Westen Timors.

Bligh kaufte dort einen Schoner und kehrte im März 1790 nach England zurück. Die Heimkehr markierte aber noch nicht das Ende der wohl bekanntesten Meuterei der Geschichte. Einige der Aufwiegler gelangten zu den Pitcairn-Inseln, wo ihre Nachfahren noch heute leben. Bligh wiederum war in einem Militärprozess von der Schuld an der Meuterei und dem Verlust der »Bounty« freigesprochen worden. Und so machte er sich daran, die ursprüngliche Mission doch noch zu erfüllen.

Brotfrucht für die Karibik

Die Royal Navy schickte nicht nur Kriegsschiffe aus, um Gebiete zu kolonialisieren, sie ließ auch Pflanzen und Tiere sammeln und erforschte, wo bestimmte Kulturpflanzen ertragreicher angebaut werden konnten. Wirtschaftlich war das äußerst relevant für die Kolonialmächte, die damals mit einer Reihe von tropischen Gewächsen wie Tabak, Indigo oder Kakao große Plantagen aufbauten. Häufig schmuggelte man dafür Setzlinge aus einem Land heraus, um sie in einem anderen Gebiet anzupflanzen. Es gibt zahlreiche solcher Beispiele. Und die Aufgabe der »Bounty« unter der Leitung von Bligh war es, den Brotfruchtbaum in die Karibik zu bringen.

Warum gerade die Brotfrucht? Die Briten ließen auf den karibischen Inseln Zuckerrohr auf Plantagen anbauen. Zur Arbeit zwangen sie vor allem Sklavinnen und Sklaven, die mit Nahrungsmitteln versorgt werden mussten. Die Brotfrucht, die ursprünglich aus Polynesien stammte, war seit Ende des 17. Jahrhunderts in England bekannt. Dort wurde auf Empfehlung der Royal Society beschlossen, die Arbeitskräfte in der Karibik damit zu ernähren, da die eiförmigen Früchte des immergrünen Baums viel Stärke enthalten. Die Brotfrucht sollte für die Karibik das werden, was die Kartoffel für Europa war, fasst es der Historiker Simon Füchtenschnieder in seinem Buch »Meuterei im Paradies « zusammen.

Die berühmteste Meuterei der Seefahrtgeschichte

Die erste Brotfruchtmission war am 23. Dezember 1787 in See gestochen. Über 600 Pflanzentöpfe hatte man auf die »Bounty« geschafft, sogar die Kapitänskajüte wurde mit einem Gewächshaus ausgestattet. Doch die Mission endete in einem Desaster. Nachdem die Crew in Tahiti mehr als 1000 Setzlinge an Bord genommen hatte, machte sie sich am 5. April 1789 auf nach Jamaika.

Sie sollte dort nie ankommen, denn Bligh wurde mit 18 Besatzungsmitgliedern in einer offenen Barkasse ausgesetzt. Die mühsam gesammelten Setzlinge warfen die Meuterer ins Meer.

William Bligh (1754–1817) | Der Kapitän der »Bounty« überlebte die Meuterei seines Schiffes, erlebte aber gut 15 Jahre später einen erneuten Aufstand: die Rum-Rebellion. Das Bildnis zeigt den Mann im Jahr 1814.

Mehr als ein Jahr nach seiner Rückkehr in die Heimat, im August 1791, machte sich Bligh erneut auf den Weg, die Brotfruchtmission zu Ende zu führen. Entgegen zahlreichen Gerüchten wollte er beweisen, dass er ein guter Kommandant war. Denn in England tobte ein Kampf um sein Image, das zwischen genialem Navigator und tyrannischem Kapitän schwankte.

Diesmal gelang, was drei Jahre zuvor durch die Meuterei vereitelt worden war: Bligh und seine Crew verschifften zahlreiche Brotfruchtbaum-Setzlinge in die Karibik, bis sie im August 1793 nach Abschluss der Mission wieder zurück nach England kamen.

Eine Kolonie am anderen Ende der Welt

Wenige Jahrzehnte zuvor hatte die Kolonialisierung Australiens begonnen, als der britische Seefahrer James Cook im Juni 1770 erklärte, er habe das Land rund um die Botany Bay unter dem Namen New South Wales für seinen König Georg III. in Besitz genommen. Die ersten Siedler trafen 1788 ein. Es waren mehr als 700 Strafgefangene, die nach Australien deportiert wurden. Im Lauf der nächsten Jahrzehnte sollten noch hunderte Schiffe folgen – insgesamt kamen fast 50 000 Frauen und Männer aus England nach New South Wales.

Am Anfang war die Lage schwierig. Die Menschen hatten große Mühe, sich mit Viehzucht und Ackerbau selbst zu versorgen. Bald übernahm ein Mann namens Major Francis Grose (1758–1814), der Kommandeur des New South Wales Corps, die Führung in der Kolonie. Er nutzte die Gunst der Stunde, als das Amt des Gouverneurs gerade unbesetzt war. Grose schaffte die zivile Selbstverwaltung der Kolonie ab und führte eine Art Militärdiktatur ein. Das Land wurde großteils an Offiziere verteilt. Außerdem erlaubte er den Handel mit Rum. Der Alkohol wurde bald zum wichtigsten Zahlungsmittel in New South Wales. Groses Regiment war binnen Kurzem bekannt als das Rum-Corps, das die Kolonie schamlos ausbeutete. Alle Versuche, seine Macht zu brechen, misslangen. Mehrere Gouverneure scheiterten daran.

Hier kam William Bligh ins Spiel. Im Jahr 1806 wurde er als Gouverneur nach Australien beordert, um den Handel mit Rum zu unterbinden und die Offiziere in ihre Schranken zu weisen. Es dauerte nicht lange, bis die Situation eskalierte. Die Profiteure des korrupten Systems fürchteten um ihre Macht. Als Bligh den einflussreichen Siedler und Großgrundbesitzer John Macarthur (1767–1834) verhaften ließ, nahm Major George Johnston (1764–1823), der amtierende Kommandeur des Rum-Corps, das zum Anlass, den Aufstand gegen den von der Krone eingesetzten Bligh zu wagen.

Erst eine Meuterei, dann eine Rebellion

Johnston trat auf Bligh zu und forderte ihn auf, zurückzutreten und sich freiwillig in Arrest zu begeben. Bligh lehnte ab. Und so standen am 26. Januar 1808 ungefähr 400 Soldaten des New South Wales Corps mit Bajonetten bewaffnet vor Blighs Amtssitz. Er wurde verhaftet, und die Rebellen unter der Führung von Johnston übernahmen kurzerhand die Regierung. Die Kolonie war die nächsten Jahre unter militärischer Verwaltung. Erst ein Machtwort aus England bereitete der Rebellion ein Ende. Das New South Wales Corps wurde zurückbeordert und durch ein Infanterieregiment ersetzt. Bligh wurde ebenfalls heimbeordert, Johnston und Macarthur in England der Prozess durch ein Militärgericht gemacht.

Als William Bligh am 7. Dezember 1817 im Alter von 63 Jahren in London verstarb, war er der Nachwelt vor allem als Kapitän der »Bounty« bekannt, dabei war er noch in eine weitere geschichtsträchtige Rebellion geschlittert: die Great Rebellion oder Rum-Rebellion, den ersten und einzigen Militärputsch in der Geschichte Australiens.

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  • Quellen
Füchtenschnieder, S., Meuterei im Paradies, 2024

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