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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte des Schwangerschaftstests - oder: Vom Urin im Frosch

Von alters her soll der Urin verraten, ob eine Frau schwanger ist. Aber erst ein Frosch sorgte dafür, dass das auch funktionierte. Es wurde zur Katastrophe für Amphibien.
Eine Studentin hält einen Afrikanischen Krallenfrosch (Xenopus laevis) in den Händen.

Urin spielte in der vormodernen Medizin eine besondere Rolle: Die Harnschau, auch Uroskopie genannt, galt lange Zeit als das wichtigste diagnostische Verfahren überhaupt. Mediziner und Heilkundige studierten ganz ähnlich wie heutzutage Weinkenner eingehend Farbe, Geruch und sogar Geschmack des Urins und leiteten daraus ab, was ihren Patienten wohl fehlen mochte. Erkennt man heutzutage (zumindest nach gängigem Klischee) Ärztinnen und Ärzte an ihrem Stethoskop um den Hals, war es viele Jahrhunderte lang das Harnglas, ein bauchiges Glas mit langem und engem Hals.

Der Blick auf den Urin zu Diagnosezwecken ist schon seit der Antike belegt. Auch der Versuch, Schwangerschaften am Urin zu erkennen, ist entsprechend alt. Es ist beispielsweise eine Tradition aus dem alten Ägypten überliefert, bei der Weizen- und Gerstenkörner in Urin eingeweicht wurden. Passierte nichts, lag keine Schwangerschaft vor; keimte die Gerste zuerst, kündigte sich vermeintlich ein Junge an; keimte der Weizen, würde es ein Mädchen werden. Besonders überzeugend ist diese Methode aus heutiger Sicht aber nicht. Es gibt sogar eine Studie aus dem Jahr 1963, die den Effekt von Urin auf das Keimen von Gerste und Weizen getestet hat. Das Ergebnis ist nicht wenig überraschend: Es taugt nicht als Schwangerschaftsfrüherkennung. Auch aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit sind ähnliche Verfahren bekannt.

Die ersten Schwangerschaftstests, die auf den Grundlagen der modernen Medizin beruhten, wurden schließlich in den 1920er Jahren entwickelt. Es waren biologische Tests – und wieder spielte der Urin eine entscheidende Rolle, denn man injizierte ihn den Tieren und beobachtete, was er bei ihnen auslöste. Den Anfang machte 1927 der so genannte Mäusetest nach der Aschheim-Zondek-Reaktion, benannt nach den Berliner Gynäkologen Selmar Aschheim und Bernhard Zondek. Bei dem Test wurde der Urin einer Frau einer Maus unter die Haut gespritzt. Enthält Urin das Schwangerschaftshormon hCG, dann reagieren die Mäuse innerhalb von 48 Stunden mit einem Eisprung. Der Test war wenig alltagstauglich und nicht zu Hause durchführbar, zumal die Mäuse nach den 48 Stunden obduziert werden mussten und damit den Test nicht überlebten.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Wenn der Frosch laicht

Ab den 1940er Jahren stand ein weiterer Schwangerschaftsnachweis zur Verfügung. Beim Hogben-Test, benannt nach dem britischen Zoologen Lancelot Hogben, wurde einem Krallenfrosch (Xenopus laevis) Urin oder ein Blutserum injiziert – daher bekam er den Namen »Froschtest«. Auch hier machte man sich die Reaktion auf das Hormon zu Nutze: Weibliche Krallenfrösche beginnen innerhalb von 12 bis 24 Stunden zu laichen, wenn die getestete Person schwanger ist. Ein entscheidender Vorteil: Die Frösche überlebten diese Prozedur und konnten bald wieder für den nächsten Test eingesetzt werden.

1947 wurde der Froschtest dann weiterentwickelt zum Galli-Mainini-Test, benannt nach dem südamerikanischen Arzt Carlos Galli Mainini. Hier wurden ebenfalls Krallenfrösche benutzt, diesmal aber die Männchen. Injiziert man ihnen den Urin in einen Lymphsack, setzen sie innerhalb von drei Stunden Spermien ab, sofern der Urin Schwangerschaftshormone enthält. Das war zwar immer noch kein Test, den man daheim am Küchentisch durchführte, aber immerhin war nun die Zeit bis zum Schwangerschaftsnachweis stark verkürzt. Auch hier überlebten die Tiere und waren nach zwei Wochen Pause wieder einsatzbereit. Bis in die 1960er Jahre war der Froschtest der wichtigste Nachweis zur Früherkennung einer Schwangerschaft – da er in Apotheken durchgeführt werden konnte, wurden die Krallenfrösche, die häufig aus Südafrika importiert wurden, auch Apothekerfrösche genannt.

Ein Pilz wird weltweit verschleppt

Leider waren die importierten Krallenfrösche oft vom Chytridpilz (Batrachochytrium dendrobatidis) befallen. Durch die Schwangerschaftstests wurden darum nicht nur die Frösche, sondern auch der Pilz weltweit verbreitet. Anders als die Krallenfrösche sind die Amphibien anderer Weltregionen nicht gegen den Krankheitserreger gefeit. Die Chytridiomykose-Epidemie, die der weltweite Froschhandel auslöste, gilt als eine der zentralen Ursachen für das globale Amphibiensterben. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2019 kommt zu dem Schluss, dass der Chytridpilz für den Bestandsrückgang bei mehr als 500 Amphibienarten und das Aussterben von 90 Arten verantwortlich ist. Es ist damit das größte bisher durch einen einzelnen Erreger verursachte Artensterben.

In den 1960er Jahren wurden die Frösche dann abgelöst durch immunologische Tests. Die Wirkung des Schwangerschaftshormons hCG wurde immer besser verstanden, neue Nachweismethoden wurden eingeführt. Wie der Froschtest mussten diese aber von medizinischem Personal durchgeführt werden. Anfangs waren sie auch nicht allzu vertrauenswürdig: Sie schlugen nicht nur an, wenn das Hormon hCG vorlag, sondern auch beim Luteinisierungshormon, das bei Frauen den Eisprung fördert. Dann signalisierten sie eine Schwangerschaft, die gar nicht vorhanden war.

Der Test für den Hausgebrauch, wie man ihn heute kennt, geht auf die amerikanische Erfinderin Margaret Crane zurück. In den 1960er Jahren arbeitete sie als Produktdesignerin für ein Pharmaunternehmen, das Schwangerschaftstests durchführte. Crane erkannte das Potenzial des Tests und sah gleichzeitig die emanzipatorische Bedeutung: Frauen sollten den Test einfach und ohne Erlaubnis eines Arztes, Ehemanns oder Partners machen können. Sie entwickelte 1967 einen Prototyp, doch ihre Vorgesetzten winkten zunächst ab. Sie trieb die Sache aber beharrlich weiter und setzte sich mit ihrer Idee und ihrem Design schließlich durch. Zwei Jahre später wurde das Patent für den ersten Schwangerschaftstest für zu Hause angemeldet. Bis der Urinschnelltest »Predictor« schließlich auf den Markt kam, gingen jedoch noch einige Jahre ins Land. Erst 1977 wurden die Testkits flächendeckend in den USA verkauft.

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