Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte einer Königinmutter und ihres Kampfs um den Schemel

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März 1900, in der westafrikanischen Stadt Kumasi. Frederick Hodgson trat vor die versammelten Oberhäupter der Asante. Der Gouverneur der britischen Goldküste wollte wissen, warum er nicht auf dem Goldenen Schemel sitze. Es war ein Affront sondergleichen. Der Goldene Schemel war nicht einfach ein Möbelstück, sondern das heiligste Symbol der Asante. Der Stuhl verkörperte die Seele ihrer Nation. Nicht einmal ihr Großkönig nahm darauf Platz. Hodgsons Forderung verletzte den Glauben, das Recht und die Tradition der Asante. Doch die Würdenträger schwiegen. Dann, in der Nacht, formte sich Widerstand: Yaa Asantewaa, die Königinmutter von Ejisu, erhob ihre Stimme.
Die Asante (oder Aschanti), die noch heute einen großen Teil der Bevölkerung Ghanas ausmachen, gehören zur Gruppe der Akan in Westafrika. Ihre Wanderungen hatten sie ab dem 11. Jahrhundert aus dem Tschad in ein waldreiches Gebiet geführt, das sich im heutigen Ghana und der Elfenbeinküste erstreckt. Aus Jägern und Sammlern waren Ackerbauern geworden, aus kleinen Siedlungen Dörfer, aus Dörfern ein Netz von Herrschaftsgebieten. Der Name Asante – »wegen des Krieges« – deutet an, dass sich die Gruppe im Kampf gegen andere zusammengeschlossen hatte, insbesondere gegen die Dankyira.
Den Zusammenhalt garantierte vor allem der Gründungsmythos der Asante. So habe im 17. Jahrhundert der Priester und Gesetzgeber Okomfo Anokye einen goldenen Schemel vom Himmel herabschweben lassen und ihn an Osei Tutu übergeben, den ersten Asantehene, den Großkönig der Asante. Anokye ließ die Schemel der anderen Akan-Herrscher vergraben und erklärte den Goldenen Stuhl zum Symbol, das alle anderen überrage. Die Herrschaft Osei Tutus war somit spirituell legitimiert. Zum einzig wahren König erhoben, besiegte Osei Tutu um 1700 die Dankyira, vereinte dutzende Gebiete und machte Kumasi zur Hauptstadt. Der Schutz des Goldenen Schemels wurde zur obersten Pflicht: Ohne ihn, so die Warnung, würde die Nation zerfallen.
Eine Besonderheit der Asante war, dass die Thronfolge über die mütterliche Linie lief. In einer Welt, in der sich eine Vaterschaft nicht zweifelsfrei prüfen ließ, sorgte diese Regel für Klarheit. Im Zentrum der Herrscherfamilie stand daher die Königinmutter. Sie wählte den König, beriet ihn, knüpfte Koalitionen und schützte den Fortbestand der Dynastie. Starb ein König, trat nicht sein Sohn die Erbfolge ab, sondern oft der Sohn seiner Schwester. Frauen hatten dennoch keinen Anspruch auf den Königstitel, aber sie gebaren die Könige und sicherten so die Zukunft der Linie.
Der Reichtum der Asante lockte die Kolonialisten
Wie in vielen westafrikanischen Königreichen bildete Gold die Grundlage der Macht. Anfangs aus Flussläufen und später aus Minen gewonnen, finanzierte es Waffen, Handel und den Bau von Palästen. Das Handwerk machte den beinahe unermesslichen Reichtum sichtbar. Etwa in Form des berühmten Webstoffs Kente, der bei den Asante einst Rang und Klan codierte. Goldschmiede fertigten Schmuck, Schwerter und Embleme. Kumasi beeindruckte Besucher mit seinen sauberen Straßen, verputzten Häusern, Messingdächern und vergoldeten Fenstern. Die Stadt prunkte mit Wohlstand und Souveränität – bis sie zum Ziel kolonialer Ansprüche wurde.
Im 18. Jahrhundert drängten die Briten von der Küste ins Landesinnere, um den Handel und die Goldminen unter ihre Kontrolle zu bringen. Anfangs lief es für die Kolonialisten allerdings nicht so gut. 1824 fiel ihre Streitmacht bei Nsamanko, und der britische Gouverneur, genauer gesagt sein Schädel, endete als Kriegstrophäe. Diese eine Niederlage hielt den Vormarsch der Briten jedoch nicht auf. Nach mehreren Kriegen erreichten ihre Truppen 1874 Kumasi, plünderten den Palast, sprengten den Bau und brannten die Stadt nieder. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit war gebrochen. Das Reich bestand zwar fort, doch unter Aufsicht der Kolonialbehörden.
1888 wurde Prempeh I. zum neuen Großkönig der Asante erhoben. Er war jung, entschlossen und überzeugt davon, den Respekt der britischen Kolonialmacht und erneute Souveränität gewinnen zu können. Ganz ohne Waffengewalt, sondern mit Diplomatie. Er tolerierte sogar christliche Missionare und schickte 1895 Gesandte nach London – vergeblich. Ohne in London Gehör gefunden zu haben, kehrte die Gesandtschaft unverrichteter Dinge zurück. Die Entscheidung der Briten war nämlich längst gefallen: 1896 marschierten Soldaten nach Kumasi, um Prempeh I. festzunehmen. König und Königinmutter mussten vor der britischen Flagge niederknien, ihre Kronen ablegen, ihre Sandalen ausziehen und Entschädigungen zahlen – so sah die Choreografie der Unterwerfung aus. Prempeh bot Geld und Geiseln, was den Briten aber nicht genügte. Unter dem Vorwand, er habe lang zurückliegende Kriegsentschädigungen noch nicht beglichen, wurde er ins Exil auf die Seychellen geschickt.
Der Sturz des Königs hinterließ in der Identität der Asante eine tiefe Wunde.
Der Krieg um den Goldenen Schemel
Hodgson legte den Finger in ebenjene Wunde mit seinen Worten vom März 1900. Mit seiner Forderung nach dem Schemel erniedrigte der Gouverneur die Asante, negierte ihre Traditionen und ihre Geschichte. Das aber war sein Ziel. Mit seinem Auftritt wollte er sie endgültig brechen.
Während die Anführer schwiegen, erhob in der Nacht Yaa Asantewaa, Großmutter des ins Exil verschickten Prempeh I., das Wort. Sie verurteilte die Demütigung und appellierte an die Ehre und das Pflichtbewusstsein der Asante. Wenn die Männer nicht kämpfen würden, so sagte sie, dann würden die Frauen es tun. Ihre Worte zeigten Wirkung: Innerhalb kürzester Zeit sammelte sich ein Heer von über 20 000 Kriegerinnen und Kriegern.
Am 2. April 1900 eröffneten die Asante das Feuer auf das britische Fort in Kumasi, blockierten Straßen und verschanzten sich im Wald. Yaa Asantewaa führte den Widerstand. Ob sie auch selbst zu den Waffen griff, ist unklar, ihre Stellung als Anführerin stand jedoch außer Zweifel, wie der ghanaische Historiker Albert Adu Boahen (1932–2006) in seinem Buch über Yaa Asantewaa berichtet. Über Monate hinweg konnten die Asante Gouverneur Hodgson und seine Soldaten im Fort festsetzen. Das Blatt wendete sich erst, als es dem Gouverneur gelang zu entkommen. Er kehrte mit Verstärkung und einer Geheimwaffe der Briten zurück: der Maxim Gun, dem ersten vollautomatischen Maschinengewehr der Geschichte.
Die Briten zerschossen die Stellungen der Asante und brachten ihre Schützengräben zum Einsturz. Im November 1900 nahmen sie Yaa Asantewaa und ihre Offiziere gefangen und deportierten auch sie auf die Seychellen.
Militärisch war der Aufstand verloren, symbolisch war er ein Sieg. Der britische Plan war nämlich gescheitert. Yaa Asantewaa hatte den Goldenen Schemel zuvor tief im Wald vergraben lassen, wo er unentdeckt blieb. Erst 1921 tauchte das Herrschaftssymbol wieder auf, als Arbeiter ihn fanden. Zwar raubten sie die wertvollsten Teile des Stuhls, doch das Herz der Asante schlug wieder.
Yaa Asantewaa starb am 17. Oktober 1921 im Exil. 1924 durfte Prempeh I. zurückkehren, zwei Jahre später übernahm er den Titel Kumasihene, der ihn mit eingeschränkter Macht ausstattete. 1929 erlaubten die Briten, auch die im Exil Verstorbenen heimzubringen. Yaa Asantewaa erhielt daher ein Jahr später in Kumasi ein feierliches Begräbnis. Die Kolonialverwaltung stellte sie zwar weiterhin als Unruhestifterin dar, doch für die Asante blieb sie die Hüterin des Goldenen Schemels.
Die Mutter der Nation
Mit der Unabhängigkeit Ghanas 1957 begann man, ihr Andenken öffentlich zu bewahren. Museen widmeten der Königinmutter Ausstellungen, Statuen wurden errichtet, ihre Gefängniszelle in Kumasi zur Gedenkstätte erklärt. Der erste Präsident des unabhängigen Ghanas, Kwame Nkrumah (1909–1972), selbst kein Angehöriger der Asante, nannte sie die Mutter der Nation. Aus der regionalen Heldin war eine nationale Ikone geworden.
Der Krieg um den Goldenen Schemel ist daher mehr als nur eine Fußnote der Kolonialgeschichte Westafrikas. Er zeigt, wie bedeutsam Symbole für eine Gesellschaft sind. Der Goldene Schemel stand nicht (nur) für Reichtum, sondern auch für den Zusammenhalt der Asante. Obwohl das Königreich den Kampf gegen die Briten verloren hatte, verhinderte Yaa Asantewaa den Untergang seiner Identität. Es sollte diese Kontinuität sein, die Ghana später in die Unabhängigkeit führte.
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