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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte einer Frau, die den Hanswurst von der Bühne bannte

Klamauk, Clownereien, derbe Scherze – die Menschen liebten den Hanswurst der deutschen Wanderbühne. Bis eine Schauspielerin der Figur den Garaus machen wollte, erzählen unsere Geschichtskolumnisten.
Ein Hanswurst auf der Stegreifbühne zu Rothenburg. Das Bild entspricht dem Deckengemälde von Gustav Klimt im nördlichen Treppenhaus des Wiener Burgtheaters.

Wer im 18. Jahrhundert ins Theater ging, den erwartete ein Spektakel. Die Schauspielerinnen und Schauspieler zeigten nicht etwa ein langes, einstudiertes Drama, sondern spielten unterschiedliche Stücke aus dem Stegreif. Auf eine Komödie konnte eine Posse folgen, darauf eine Travestie. Dabei wurde getanzt, gesungen und neben Fratzenschneiden waren auch artistische Elemente sehr beliebt. Für diese Art der Improvisationsunterhaltung sorgten wandernde Theatergruppen, die von Stadt zu Stadt zogen, aber auf Grund ihres Lebenswandels einen ziemlich schlechten Ruf genossen.

Der Star der europäischen Wanderbühnen war meist eine lustige Figur: Je nach Tradition wurde sie Clown, Punch, Leporello oder Harlekin genannt. Auf deutschsprachigen Bühnen hieß sie Hanswurst. Es war eine komische, aber vor allem derbe Figur, für die es keine Tabus gab. Der dreiste Hanswurst beleidigte andere, zog sich aus und prügelte sich. Als Erfinder dieser Rolle und ihr berühmtester Darsteller galt Joseph Anton Stranitzky (1676–1726), dessen Hanswurstkomödie oder Hanswurstiade aus der Tradition des Alt-Wiener Volkstheaters hervorging.

Feldzug gegen den Publikumsliebling

Und genau diese Figur, den Publikumsliebling und umjubelten Star der Wandertruppen, wollte Friederike Caroline Neuber – meist kurz die Neuberin genannt – loswerden. Mit ihrer Truppe Neuber'sche Komödiantengesellschaft, die sie 1726 gemeinsam mit ihrem Mann Johann Neuber gegründete hatte, wollte die Prinzipalin ein neues Theater schaffen: Keine Hanswurstiaden mehr, sondern klassische französische Dramen waren ihr Anliegen – aufgeführt in gebauten Theaterhäusern.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Für das Publikum bedeutete diese Idee eine ziemliche Umstellung. Die Zuschauer waren es nämlich gewohnt, sich während der Stücke zu unterhalten, zu essen und zu trinken. Vielfach hielten sich die Theaterbesucher auch nicht auf den Plätzen, sondern gesellten sich zu den Schauspielern auf die Bühne. Doch selbst für die Mitglieder der Wandergruppe war es eine gewaltige Neuerung. Fortan mussten sie an spielfreien Tagen die Texte der Stücke auswendig lernen.

Gefördert wurde Caroline Neuber vom Gelehrten Johann Christoph Gottsched (1700–1766). Die Dramen der neuberschen Theatergruppe begeisterten Gottsched so sehr, dass er seine Unterstützung anbot. Er wollte für Nachschub bei den Stücken sorgen, indem er sie aus dem Französischen übersetzte. Bald schon träumten beide von einer großen Theaterreform. Aber dafür fehlten im Moment noch zwei Dinge: das Publikum und die Poeten. Denn ein deutschsprachiger Shakespeare oder Voltaire war nicht in Sicht.

Friederike Caroline Neuber (1697–1760) | Das Porträt der Neuberin, wie sie auch genannt wurde, entstand nach einem zeitgenössischen Bildnis im 19. Jahrhundert.

Der Hanswurst wird von der Bühne gejagt

Zudem konnte die Theaterleiterin wohl aus wirtschaftlichen Gründen noch nicht ganz auf den Hanswurst verzichten – er blieb weiterhin ein Publikumsmagnet. Doch zumindest auf der Bühne bedachte sie ihn mit Schelte: Denn in einer der berühmtesten Aufführungen der neuberschen Theatergruppe drehte sich alles um den Hanswurst, den die Neuberin sogar selbst spielte. Im Stück wird der Hanswurst vor Gericht gestellt und mit Gelächter und Prügel von der Bühne gejagt.

Dass die Figur weiterhin beliebt war, enttäuschte die Neuberin. Ihre Reformideen, ausbleibendes Publikum und der Verlust eines Aufführungsprivilegs in Leipzig hatten sie zudem in finanzielle Nöte gebracht. Ihr Frust entlud sich sogar einmal auf der Bühne. Beim Abschied aus Hamburg, wo sie mit ihrer Truppe gastierte, kam es zum Eklat, als sie dem Publikum entgegenrief: »Denn von der Schauspielkunst habt ihr sehr wenig Licht, weil’s Euch an Zärtlichkeit, Natur und Kunst gebricht«, deklamierte sie und beleidigte damit die Zuschauer. Die Empörung war groß – und ein weiteres Gastspiel in der Hansestadt unmöglich.

Der Hanswurst schult um aufs Puppentheater

Die chronischen Geldprobleme führten dazu, dass sie in den 1740er Jahren die Wandergruppe schließlich auflösen musste. War der Hanswurst damit rehabilitiert? Nicht wirklich. Es ging ihm nämlich allmählich an den Kragen. In Wien beispielsweise wurde das Stegreiftheater verboten und eine Theaterzensur eingerichtet, was dazu führte, dass der Hanswurst deutlich weniger derb sein durfte. Im späteren 18. Jahrhundert kam er dann vollends aus der Mode, verschwand aber nicht gänzlich: Er ging ins Puppentheater ein. Dort gibt es ihn bis heute – als komische Figur wie das Kasperle.

Die Neuberin hatte eine Theaterreform angestoßen, deren Wandel sie aber nicht mehr erlebte. 1760 starb sie in der Nähe von Dresden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts passierte dann das, was sie sich erträumt hatte: Das Theater wurde während der Aufklärung vom Jahrmarktsspektakel zu einer bürgerlichen Institution. Dichter wie Goethe, Schiller oder Lessing lieferten anspruchsvolle Stücke, Theaterhäuser mit festen Ensembles etablierten sich. Die Wanderbühnen hatten fast vollends an Bedeutung verloren.

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