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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte eines Arztes, der vor Langem die Suchmaschine erfand

Wer heute einen Job oder eine Wohnung sucht, nutzt meist eine Suchmaschine. Im 17. Jahrhundert gab es zwar noch kein Internet, aber wer damals suchte, dem wurde erstmals geholfen, erzählen unsere Kolumnisten.
Symbolbild aus dem 17. Jahrhundert für ein Adressbüro.

Durch das Überangebot an Daten im Netz fällt es uns wohl nicht leicht nachzuvollziehen, wie Menschen in vormodernen Gesellschaften an Informationen kamen. Etwa bei der Arbeitssuche. Wer in der frühen Neuzeit einen Job brauchte, musste sich entweder auf sein persönliches Umfeld verlassen oder bei Vertretern der jeweiligen Berufsgruppe vorstellig werden – bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Dann nämlich konnten Arbeitssuchende auf eine neue Form der Informationsvermittlung zurückgreifen: eine Art menschliche Suchmaschine beziehungsweise eine Anzeigenwebsite wie die Craigslist.

Alles begann mit Théophraste Renaudot (1586–1653). Der Doktor der Medizin arbeitete unter anderem als Leibarzt für den französischen König Ludwig XIII. und wurde von Kardinal Richelieu gefördert, der die französische Politik in dieser Zeit maßgeblich bestimmte. Vor allem ist der Erste Minister Frankreichs aber wohl als Bösewicht in der Geschichte um die »Drei Musketiere« bekannt.

Théophraste Renaudot (1586–1653) | Der Arzt begründete 1630 nicht nur das Adressbüro, sondern brachte im Jahr darauf auch die erste Zeitung Frankreichs heraus.

Renaudot hatte von Richelieu den Auftrag, sich um die Bekämpfung der Armut in Paris zu kümmern; in einer Phase, in der sich die wirtschaftliche Lage zunehmend verschlechterte. Renaudot ging davon aus, dass viele der Mittellosen nur deshalb in einer Notlage steckten, weil sie kaum Hilfsangebote ausfindig machen konnten. Und so eröffnete der Leibarzt 1630 in Paris das »Bureau d'adresse«. Anders als der Name vielleicht vermuten lässt, ging es beim Adressbüro nicht um das bloße Sammeln von Anschriften. Es war eine Dienstleistungseinrichtung, bei dem gegen Gebühr eine Information vermittelt wurde.

Die Suchmaschine der Neuzeit war anonym und für jedermann zugänglich

Wie funktionierte das »Bureau d'adresse«? Wer zum Beispiel eine Arbeit oder eine Unterkunft suchte, ging zum Adressbüro, ließ sein Gesuch gegen eine kleine Gebühr in ein Register eintragen und hinterlegte seine Kontaktdaten. Brauchte jemand eine neue Wohnung, dann erhielt die Person gegen Bezahlung einen Auszug aus dem Register. Die Gebühr war gering, sie betrug drei Sous, außer für bedürftige Menschen – ihnen wurde sie erlassen.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Diese Art der Informationsvermittlung war neu: Im Pariser Adressbüro wurde Wert auf Diskretion gelegt. Name und Wohnort der Suchenden lagen nicht öffentlich aus, sondern die Angestellten gaben sie nur heraus, wenn Aussicht auf einen Geschäftsabschluss bestand. Was heute selbstverständlich klingt, war damals umstritten: Plötzlich gab es eine Dienstleistung, die für alle zugänglich und noch dazu anonym war. Persönliche Netzwerke und Klientelbeziehungen verloren ihre Bedeutung, wie Anton Tantner beschreibt. Der Historiker hat in seiner Habilitationsschrift die Geschichte der Adressbüros im frühneuzeitlichen Europa aufgearbeitet. Nicht jedermann war damals glücklich über das neue Angebot. Und so kursierten immer wieder Gerüchte, das Adressbüro würde der Prostitution Vorschub leisten oder die Kriminalität fördern.

Wenn wir Renaudot glauben wollen, war seine Anlaufstelle ein voller Erfolg. Bis 1647 sollen 80 000 Arbeitsstellen vermittelt worden sein. Nicht nur das: Selbst König Ludwig XIII. habe zu den Kunden gezählt. Mit Hilfe des Adressbüros fand er laut Renaudot ein isabellfarbenes Pferd, eines mit goldgelber Fellfarbe. Überhaupt war der Verkauf von Tieren keine Seltenheit – an anderer Stelle wurde ein junges Dromedar »zu einem vernünftigen Preis« an den Käufer gebracht.

Warum die Fragämter in Vergessenheit gerieten

In anderen Ländern entstanden in den folgenden Jahren ebenfalls derartige Informationsvermittlungsagenturen. Zuerst in London mit dem »Intelligence Office«, dann auch in Berlin und in der Habsburger Monarchie, wo das Adressbüro in Wien als Frag- und Kundschaftsamt bekannt war. Heute kennt kaum einer noch Adressbüros, Adresscomptoirs, Berichthäuser oder Intelligenzämter. Ein Grund: Sie waren privatwirtschaftlich organisiert, weshalb die Register und Korrespondenzen schlecht archiviert wurden. Außerdem verloren die Adressbüros im 19. Jahrhundert zunehmend ihre Bedeutung. Letztlich gingen sie, wie Anton Tantner erklärt, in den Zeitungsredaktionen auf. Insbesondere nachdem die Anzeigen immer häufiger in den so genannten Kundschaftsblättern oder Intelligenzblättern abgedruckt wurden.

Renaudot wird häufig auch als Begründer des französischen Journalismus tituliert. Weniger wegen der Adressbüros, sondern weil der umtriebige Arzt nicht nur eine Klinik, ein Pfandhaus und eine Kunstgalerie eröffnete, sondern seit 1631 auch Herausgeber der »La Gazette de France« war – der ersten Zeitung Frankreichs.

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