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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte von sieben Masten und einer Ölpest

Die »Thomas W. Lawson« war ein Versuch. Würde ein Siebenmaster die Segelschifffahrt retten? Unsere Geschichtskolumnisten Richard Hemmer und Daniel Meßner über einen Freitag, den 13., am Beginn des fossilen Zeitalters.
Der Schoner »Thomas W. Lawson«
Elegant war die »Lawson« und durchaus imposant. Doch die sieben Masten hielten nicht, was sie versprachen. Ohne Hilfsantrieb war der Schoner nicht mehr zeitgemäß.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Am Freitag, dem 13. Dezember 1907, trafen in einer stürmischen Nacht vor den zerklüfteten Scilly-Inseln zwei Epochen aufeinander. Das unglückliche Ende der einen kostete 17 Menschen das Leben. Der Beginn der neuen zeichnete die Gegend noch Jahre später.

Die »Thomas W. Lawson« war ein gewaltiges Schiff. Mit sieben Masten und einer Länge von 140 Metern zählte sie zu den größten Segelschiffen ohne Hilfsantrieb, die jemals über die Meere schipperten. Als sie 1902 in den USA vom Stapel lief und auf den Namen eines Bostoner Börsenmaklers und Autors benannt wurde, stellte man sich noch vor, dass sie die Weiten des Pazifiks durchmessen würde. Doch die »Lawson« war unhandlich im Hafen, schwerfällig auf See und hatte trotz ihrer Ehrfurcht gebietenden Ausmaße nur eine recht kleine Segelfläche. Und fast am schlimmsten: Sie war langsam.

Daher wurde nichts aus den Fahrten über den Pazifik. Stattdessen fuhr der größte je gebaute Schoner an der US-Ostküste auf und ab. Zunächst mit Kohle beladen und dann mit Kistenöl. Dafür füllte man das Öl erst in Blechkanister und packte je zwei davon in eine Holzkiste, um sie auf dem Schiff besser stapeln zu können. Ab 1906 war das nicht mehr notwendig, denn da wurde die »Lawson« zu einem Segeltankschiff umgebaut. Der neue Plan: Der Siebenmaster sollte Öl nach Europa transportieren.

Und so startete die »Thomas W. Lawson« am 19. November 1907 an der Ostküste der USA zu ihrer ersten Transatlantikfahrt mit dem Ziel London. An Bord waren 18 Seeleute und gut 7,5 Millionen Liter Öl. Die Überfahrt dauerte 24 Tage und brachte die Besatzung um Kapitän George Dow, einen der erfahrensten Segelschiffkapitäne der USA, an ihre Grenzen. Es stürmte heftig, die Mehrzahl der Segel ging im Lauf der Fahrt verloren ebenso wie zwei der drei Rettungsboote. Außerdem schlug eine Luke leck, so dass Wasser ins Schiff eindrang, wie Thomas Hall in seinem Buch »The T. W. Lawson – The Fate of the World's Only Seven-Masted Schooner« erzählt.

Mit über den Atlantik reisten Hoffnungen. Sie war nicht der einzige riesige Frachtsegler, der um 1900 gebaut wurde. Große Windjammer wie die berühmten »Hamborger Veermaster« stammten aus dieser Zeit, aber auch das gleich alte Fünfmast-Vollschiff »Preußen«. Sie sollten dank schierer Größe beim Gütertransport mit den Dampfern konkurrenzfähig bleiben. Es war das letzte Aufbäumen einer Technologie, deren Zeit bereits gekommen schien.

Bei schlechter Sicht in den Ärmelkanal

Bekanntlich wurde nichts daraus. Die Ära der Großsegler schleppte sich genauso langsam, aber sicher ihrem Ende entgegen wie die gebeutelte »Lawson« der britischen Küste. Am 13. Dezember, nach 24 Tagen auf See, war es endlich so weit. Die Crew hatte die Einfahrt in den Ärmelkanal vor Augen. Ein paar Seemeilen voraus lag Bishop Rock, eine Klippe am Rand der Scilly-Inseln und des vielleicht kleinsten bebauten Eilands der Welt dank des darauf errichteten Leuchtturms. Die Gewässer rund um die Scillys sind tückisch. Hunderte Wracks liegen dort. Wer die versteckten Riffe vermeiden wollte, musste das Leuchtfeuer von Bishop Rock auf Backbord liegen lassen, ihn also südlich passieren.

Als die »Thomas W. Lawson« sich nachmittags den Scilly-Inseln näherte, war die Sicht bereits äußerst schlecht. Ein Sturm zog auf. Das wäre für sich genommen noch nicht problematisch gewesen, hätte die Mannschaft nicht gleichzeitig ihre Position falsch berechnet. Man wähnte sich viel weiter südlich. Als es kurzzeitig aufklart, bemerken sie ihren Fehler: Bishop Rock steht an Steuerbord! Offenbar waren sie zu früh in den Kanal eingebogen. Nun haben sie sich bereits mitten in das kleine Archipel hineinmanövriert. Auch der Leuchtturmwärter sichtet das Schiff und feuert Signalraketen ab. Seenotretter der umliegenden Inseln legen ab. Als zwei von ihnen die »Lawson« erreichen, weigert sich Kapitän George Dow jedoch, die Mannschaft von Bord gehen zu lassen und das Schiff aufzugeben. Er lässt stattdessen Anker werfen und holt einen Lotsen an Bord. Der soll jetzt den Großschoner aus der Bredouille führen.

Ein Tag wie ein schlechtes Omen

Kein ganzes Jahr zuvor war in den USA ein Roman erschienen, kein Meisterstück, eher das Werk eines literarisch ambitionierten Amateurs. Darin nimmt sich ein Börsenmakler vor, an einem gewissen Tag des Jahres die New Yorker Wall Street in einen ruinösen Crash zu jagen. Seine Wahl, so verrät es schon der Titel des Buchs, fällt auf ein bis dahin völlig unauffälliges Datum: auf einen Freitag, den 13. Zum ersten Mal hatte jemand den Freitag mit der alten Unglückszahl 13 in Verbindung gebracht und zum schwarzen Tag erklärt. Der Mythos vom Vorboten des Pechs war geboren. Der Autor des Werks war selbst Börsenmakler und Schiffsinvestor. Sein Name: Thomas W. Lawson.

Als am Samstag, dem 14., die Sonne über den Scilly-Inseln aufgeht, sind 16 Seeleute und der Lotse ertrunken. Irgendwann in der Nacht waren die Ankerketten der »Lawson« gerissen. Das Schiff trieb dann auf die Felseninsel Shag Rock zu, lief auf Grund, wurde mehrfach gegen die Felsen geschleudert. Anschließend versank es. Die Rettungsboote und der bestellte Dampfschlepper hatten zu diesem Zeitpunkt längst selbst Zuflucht gesucht.

Die Besatzung war auf Anordnung ihres Kapitäns in die Masten geflüchtet, doch im Chaos des Sturms und der gebrochenen Takelage hatten die Männer offenbar keine Überlebenschance. Nur zwei Bordmitglieder konnten sich retten, darunter der Kapitän, der sich an ein Riff klammerte.

Die Britischen Inseln erleben die erste Ölkatastrophe

Als das Schiff an den Klippen zerbrach, erkannte die Menschheit erstmals, was es bedeutet, wenn Millionen Liter Öl ungehindert ins Meer fließen. Zwar waren bereits seit Beginn des Erdölzeitalters um die Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder einmal größere Mengen Öl in Flüsse oder an Küsten gelangt. Dennoch gilt der Untergang der »Lawson« heute als erste Ölpest in Europa, die auf Grund ihrer Folgen für die Natur auch als solche wahrgenommen wurde.

Das meiste Öl wurde auf der Insel Annet angespült, wo zahlreiche Vögel umkamen. Ein Inselbewohner berichtete: »Es war eine furchtbare Zeit. Alles schien nach dem Öl zu stinken. Die Gischt an den Fenstern lief noch lange Zeit in öligen blauen Schlieren herunter, und selbst jetzt, wo 18 Monate vergangen sind, können wir es manchmal noch riechen.«

Spätestens mit dem Untergang der »Lawson« – und der Havarie der »Preußen« drei Jahre später – war klar, dass mehr Masten und mehr Leinwand den Frachtseglern kein zweites Leben schenken würden. So markiert die Nacht vor den Scilly-Inseln einen Wendepunkt der Geschichte: Von nun an wurden die Segelschiffe immer kleiner. Und die Ölkatastrophen immer größer.

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