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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte, warum Bayern heute nicht österreichisch ist

Der Wittelsbacher Karl Theodor herrschte über Bayern – und wollte es wieder loswerden. Mehrfach. Aber es sollte ihm einfach nicht gelingen, wie unsere Geschichtskolumnisten erzählen.
Der röhrende Hirsch ist auf einer Postkarte aus dem Jahr 1905 abgebildet.
Der röhrende Hirsch ist auf einer Postkarte aus dem Jahr 1905 abgebildet. Sieht so bayerische Idylle aus?

Es war Februar 1799, der habsburgische Gesandte Graf Josef von Seilern eilte in die Münchner Residenz. Dort lag Kurfürst Karl Theodor von Bayern im Sterben. Der 75-Jährige hatte während eines Kartenspiels einen Schlaganfall erlitten und sein baldiges Ableben wurde erwartet. Seilern wollte sich von dem Wittelsbacher verabschieden – und einen Auftrag erfüllen. Er hatte ein brisantes Dokument seines Kaisers Franz II. dabei: einen Vertrag, der den Habsburgern die bayerische Erbfolge sichern sollte. Bayern sollte endlich österreichisch werden.

Seilern hoffte, den Kurfürsten in einem letzten wachen Moment zu erwischen, damit der Monarch den Vertrag noch unterschreiben würde. Doch der Gesandte kam nicht zu Karl Theodor durch. Dessen Ehefrau Maria Leopoldine verweigerte ihm den Besuch. Damit scheiterte der Übernahmeversuch der Österreicher an jener Frau, die eigentlich die habsburgische Thronfolge in Bayern garantieren sollte.

Den Wittelsbachern gingen die Thronfolger aus

Dabei wäre Karl Theodor das neue Kurfürstentum liebend gern losgeworden. Bayern war ihm zwei Jahrzehnte zuvor zugefallen. Der Grund: Die Wittelsbacher waren in zahlreiche Linien aufgeteilt. Die beiden mächtigsten regierten in der Pfalz und in Bayern. Im 18. Jahrhundert allerdings gingen der Adelsfamilie die Thronfolger aus. Sie hatte alle Mühe, ihre Herrschaft zu behaupten. Daher sollten Hausverträge das Problem lösen: Falls es keine Erbberechtigten mehr gab, galt es, Linien zusammenzuführen.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Dieser Fall trat 1777 ein. Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz in Mannheim übernahm die Herrschaft der bayerischen Linie, nachdem Maximilian III. Joseph kinderlos starb. Über Nacht entstand mit dem Kurfürstentum Pfalz-Bayern der drittgrößte Länderkomplex des Heiligen Römischen Reichs. Nun liefen fast alle Wittelsbacher Linien beim Mannheimer zusammen. Bis auf eine kleine Nebenlinie – auf die wir noch zu sprechen kommen. Doch Karl Theodor, der über 50-jährige Kurfürst, haderte mit der Entwicklung. In den Hausverträgen war nämlich festgelegt, dass er seinen geliebten Regierungssitz in Mannheim Richtung München verlassen musste.

Kaum dort angekommen, versuchte er deshalb, die bayerischen Landesteile wieder loszuwerden. Der Habsburger Kaiser Joseph II. in Wien stand schon bereit. Der österreichische Monarch erhob ohnehin Ansprüche auf Niederbayern und die Oberpfalz – und marschierte kurzerhand mit seinen Truppen ein. Das wiederum rief den preußischen König Friedrich II. auf den Plan, der kein Interesse daran hatte, dass die Habsburger ihren Einfluss im Reich vergrößerten. Er ließ seine Truppen in Böhmen einmarschieren. Es begann der Bayerische Erbfolgekrieg. Ein Jahr später, 1779, einigten sich die Kriegsparteien schließlich am Verhandlungstisch. Das Ergebnis: Die Habsburger erkannten die Wittelsbacher Hausverträge an und erhielten von Bayern das Innviertel, das heute im Nordwesten Oberösterreichs liegt.

Der Kurfürst wurde Bayern einfach nicht los

Der Konflikt schwelte in den nächsten Jahren vor sich hin, bis Karl Theodor 1785 auf eine neue Idee kam. Er schlug dem Habsburger Kaiser ein Tauschgeschäft vor: die Habsburgischen Niederlande – sie befinden sich heute in Luxemburg und Belgien – gegen das Kurfürstentum Bayern. Der Kaiser war einverstanden und sicherte Karl Theodor für das neue Reich »Burgund« einen Königstitel zu.

Kurfürst | Karl Theodor von der Pfalz und Bayern (1724–1799) in einem Gemälde von Anton Hickel aus dem Jahr 1780. Dem Monarchen war 1777 Bayern zugefallen, haben wollte es der Kurfürst aber nicht.

Doch wieder hatte jemand etwas dagegen und vereitelte die Pläne. Diesmal kam der Widerstand aus der eigenen Familie: Karl II. August, aus der letzten verbliebenen Nebenlinie Pfalz-Zweibrücken. Er rief Preußenkönig Friedrich II. zu Hilfe, der mit dem Fürstenbund eine Allianz gegen Österreich schmiedete. Die Habsburger zogen zurück. Das Tauschgeschäft war geplatzt.

Trotz mehrfacher Versuche wurde Karl Theodor Bayern einfach nicht los. Doch 1794 ergab sich eine weitere Chance. Seine Frau Elisabeth-Auguste war gestorben, einen legitimen Thronerben gab es jedoch nicht. Also machte sich der 70-Jährige auf die Suche nach einer neuen Ehefrau – auch weil er verhindern wollte, dass die Zweibrücker, die den Tausch mit den Habsburgern verhindert hatten, nach seinem Tod die Herrschaft in Kurpfalz-Bayern übernehmen würden.

Die Habsburger standen wieder bereit: Wenn sie nicht durch ein Tauschgeschäft an Bayern herankommen würden, dann vielleicht über die Thronfolge, sagte sich der Kaiser und schlug als künftige Ehefrau Maria Leopoldine vor aus der Habsburger Nebenlinie Österreich-Este. Sie war gerade einmal 17 Jahre alt, als sie von den Heiratsplänen erfuhr – und soll entsetzt gewesen sein. Zwar beugte sie sich den höfischen Konventionen, aber ihren Eltern hat sie die Heirat wohl nie verziehen. Vielleicht erklärt das auch, warum sie, als ihr Mann 1799 im Sterben lag, dem habsburgischen Gesandten den Weg versperrte.

Maria Leopoldine vereitelte die Pläne ihrer Familie

Nach der Hochzeit 1795 hatte sich die Lage zugespitzt. Der Pfalz-Zweibrücker Thronerbe Karl II. August starb, sein jüngerer Bruder Max Joseph übernahm. Er war Herzog ohne Land, denn die französischen Revolutionstruppen hatten das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken besetzt. Und wer sich fragt: Genau, dieser Max Joseph sollte ab 1806 als erster König Maximilian I. in Bayern auf dem Thron sitzen.

Ohne die Unterstützung von Karl Theodors neuer Ehefrau wäre ihm das vielleicht nicht gelungen, wie die Historikerin Sylvia Krauss-Meyl in ihrer Biografie »Das Enfant Terrible des Königshauses: Maria Leopoldine, Bayerns letzte Kurfürstin« darlegt. Maria Leopoldine war schnell auf Distanz zu ihrem Mann gegangen und machte klar, dass mit Nachkommen aus dieser Verbindung nicht zu rechnen ist. Auch die Hoffnung der Habsburger, über die Kurfürstin auf das Erbe von Karl Theodor Einfluss nehmen zu können, zerschlug sich: Sie sympathisierte offen mit der Zweibrücker-Nebenlinie.

Als im Februar 1799 Karl Theodor dann im Sterben lag, wollten sich sowohl die Habsburger als auch die Pfalz-Zweibrücker die Macht in Bayern sichern. Maria Leopoldine wurde sofort aktiv. Sie informierte den designierten Thronfolger Max Joseph: »Im wichtigsten Augenblick meines Lebens wende ich mich an Sie«, schrieb sie in einer Depesche und stellte sich unmissverständlich auf seine Seite: »Jetzt bin ich Ihre Untertanin, und ich bin stolz darauf.«

Neuer König dank einer Frau

Als der Habsburger Gesandte Seilern in der Residenz erschien, stellte sie sich ihm persönlich entgegen. Eine friedliche Übernahme Bayerns war damit für die Habsburger vom Tisch und einen weiteren Bayerischen Erbfolgekrieg wollte der Kaiser angesichts der Bedrohung durch die französischen Truppen nicht riskieren. So kam es, dass die letzte verbliebene Nebenlinie der Wittelsbacher die Herrschaft in Bayern übernahm.

Und Maria Leopoldine? Sie blieb in Bayern und wurde zu einer der reichsten Frauen des Landes. Zum einen durch die jährlichen Zuwendungen, die sie vom bayerischen Hof bekam, zum anderen begann sie ein neues, unabhängiges Leben. Für ihren Stand, ihr Geschlecht und jene Zeit außergewöhnlich wurde sie Unternehmerin. Sie betrieb eine Landwirtschaft, kaufte mehrere Brauereien, auch Immobilien und stieg in den Aktienhandel ein. Sie starb 1848 mit über 70 Jahren bei einem Kutschenunfall auf dem Weg von München nach Salzburg.

Und was geschah mit Bayern? Bayern blieb Bayern – und wurde 1806 sogar Königreich.

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