Direkt zum Inhalt

Springers Einwürfe: Klimawandel auf Youtube

Onlinevideos zeigen nicht nur drollige Katzen, private Sangeskünste oder wie man sich hübsch macht. Sie verbreiten auch nützliches Wissen – und blühenden Unsinn.
Wichtige Währung in sozialen Netzwerken - die Zahl der Likes

Netzforscher analysieren gern ausgiebig die sozialen Medien Twitter und Facebook, um Aufschluss darüber zu gewinnen, wie sich Meldungen und Meinungen verbreiten. Währenddessen gibt es kaum Erkenntnisse über die vom Videoportal Youtube transportierten Inhalte.

Nach seiner Gründung 2005 galt das Portal eher als Spielwiese für Selbstdarsteller, als Filmclip- und Musikarchiv. Doch mit der Zeit stiegen die Besucherzahlen (»Views«) bei zunächst fürs Fernsehen produzierten Wissenschaftsvideos, bei Vorlesungsmitschnitten, aber auch bei eigens für Youtube gefilmten Fachkursen in schwindelnde Höhen. Und spätestens seit der Webvideoproduzent Rezo mit einem knapp einstündigen, zur Europawahl im Mai 2019 ins Netz gestellten Video bald an die 16 Millionen Besucher erreicht hat, muss auch die politische Öffentlichkeit erkennen: Youtube ist als Meinungsmedium ernst zu nehmen.

Der wirkungsmächtigste Abschnitt in Rezos Video bezieht sich auf den Klimawandel. Rezo stellt einerseits den Konsens der einschlägigen Forschung heraus, welche die anthropogene Erderwärmung einhellig als Tatsache betrachtet, und zeigt andererseits, wie manche Politiker den menschlichen Einfluss bezweifeln oder sich aus der Affäre ziehen, indem sie bloße Lippenbekenntnisse zu einer aktiveren Klimapolitik ablegen.

Wie stellt sich der Klimawandel überhaupt auf Youtube dar? Der Frage ist der Soziologe und Kommunikationsforscher Joachim Allgaier von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen im Fachblatt »Frontiers in Communication« systematisch nachgegangen.

Anhand von zehn Suchbegriffen – von »Climate« und »Climate Engineering« über »Climate Hacking« bis zu »Chemtrails« – filterte Allgaier die jeweils 20 am häufigsten geklickten Clips heraus und analysierte diese 200 Videos inhaltlich gemäß ihrem Bezug zum Forschungsstand. Überraschenderweise widersprach die Mehrheit der Stichprobe (107 Videos) dem wissenschaftlichen Konsens: 16 Videos leugneten glattweg den menschengemachten Klimawandel, und 91 verbreiteten Verschwörungstheorien – insbesondere die Behauptung, finstere Mächte manipulierten das Erdklima durch so genannte Chemtrails, die als Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel erscheinen.

Insgesamt hielten sich die Besucherzahlen bei Videos, die den anthropogenen Klimawandel als Realität behandelten, und bei solchen, die ihn leugneten, mit je rund 17 Millionen die Waage. Allerdings erfassen Allgaiers Zahlen nur den Stand bis zum Jahr 2015. Allein das Rezo-Video von 2019 mit seinen fast 16 Millionen Views würde den früheren Gleichstand von Pro und Kontra kippen.

Somit lässt sich aus der RWTH-Studie sogar eine gute Nachricht herauslesen. Sehr viele Youtube-Videos zum Klimawandel sind professionell gemacht, vertreten den Mainstream der Forschung und werden häufig angeklickt. Das weckt die Hoffnung, dass der wissenschaftliche Konsens im Videoportal mit der Zeit die Oberhand gewinnt; dazu kann offenbar schon ein einzelner Youtuber, der so lebhaft und schlüssig argumentiert wie Rezo, entscheidend beitragen.

Freilich enthält die Studie ebenfalls eine schlechte Nachricht. Wie Allgaier zeigt, geraten relativ neue Suchbegriffe wie »Climate Engineering«, »Climate Modification« und »Geoengineering« gleich in den Sog von pseudowissenschaftlichen Spekulationen und Verschwörungstheorien vom Chemtrail-Typ. Ob es gelingen kann, diese noch vieldeutigen, auch wissenschaftlich umstrittenen Begriffe in Youtube-Filmen seriös zu diskutieren, muss die Zukunft zeigen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.