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IPCC-Bericht: Vom Klima wenig Neues

Die Gletscher schmelzen, die Meeresspiegel schwellen an - und die Temperaturen pausieren. Der Klimawandel zeigt seit 15 Jahren kein einheitliches Bild. Doch abgesagt ist er noch lange nicht. Und es gibt noch mehr Gründe, die Kohlendioxidemissionen rasch zu drosseln.
Daniel Lingenhöhl

Für so genannte Skeptiker ist es ein gefundenes Fressen: Seit 15 Jahren verharren die Durchschnittstemperaturen der Erde relativ auf einem – gehobenen – Niveau. Global gesehen macht sich bei den Oberflächentemperaturen keine weitere Aufheizung bemerkbar, ein Phänomen, das die Klimatologen noch vor Rätsel stellt und für das sie bisher keine umfassende Erklärung parat haben. Das konstatiert auch der am Freitag vorgestellte fünfte (Teil-)Bericht des Weltklimarats IPCC, der sich den physikalischen Grundlagen des Klimawandels widmet. Die bisherigen Klimamodelle hätten eine derart lange Pause nicht prognostiziert, fasst der entsprechende Abschnitt zusammen; mögliche Ursachen sind neben einer verminderten Sonnenaktivität womöglich großräumig veränderte Zirkulationsmuster in den Ozeanen, die sich dämpfend auf die weltweiten Durchschnittstemperaturen auswirken. Seit 1880 hat die weltweite Mitteltemperatur um 0,85 Grad Celsius zugenommen; die letzten 30 Jahre waren zumindest auf der Nordhalbkugel die wärmsten seit mindestens 1400 Jahren.

Doch die Temperaturen bilden nur eine Facette des Klimawandels, viele andere Parameter zeigen weiterhin einen eindeutigen Trend. Ein Großteil der zusätzlichen, durch die steigenden CO2-Konzentrationen verursachten Erwärmung geht demnach direkt in die Ozeane. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass sich beispielsweise die Grönlandsee in der Tiefe stark aufheizt, und auch tiefere Wasserschichten des Pazifiks werden wärmer. Das sorgt für eine thermisch bedingte Ausdehnung des Wasserkörpers, die wiederum einer der Gründe für das Ansteigen der Meeresspiegel ist.

Der IPCC-Text, für den in den letzten Jahren hunderte Forscher aus aller Welt tausende Publikationen gesichtet und bewertet haben, konstatiert folglich eine fortgesetzte Hebung der durchschnittlichen Pegel: Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Meeresspiegel demnach um 20 Zentimeter gestiegen, und sie ist auch in den letzten Jahren weitergegangen – trotz des Stillstands bei den Temperaturen. Bis zum Ende des Jahrhunderts drohen laut IPCC-Zusammenfassung weitere 26 bis 81 Zentimeter Anstieg je nach Emissionsszenario. Diese Schätzung liegt höher als im letzten Bericht, ist allerdings immer noch mit Unsicherheiten behaftet.

Der zweite Grund für die steigenden Pegel ist die Gletscherschmelze in Teilen der Antarktis, auf Grönland und in fast allen Hochgebirgen der Erde. Satellitenmessungen zeigen, dass Grönland im letzten Jahrzehnt etwa sechsmal mehr Eis verloren hat als zwischen 1992 bis 2001. Ebenso verliert die Antarktis netto an Eis, allerdings nicht gleichmäßig. Die Antarktische Halbinsel und die Westantarktis sind davon stärker betroffen, während die riesige Ostantarktis noch ein indifferentes Bild zeigt. Das Schmelzwasser füllt zum großen Teil die Meere und trägt jedes Jahr mehrere Millimeter zu ihrem Zuwachs bei.

Für das Packeis der Arktis trifft dieser Zusammenhang natürlich nicht zu, auch wenn es ebenfalls seit Jahrzehnten schwindet. Verglichen mit letztem Jahr konnte es sich zwar wieder erholen – die eisbedeckte Fläche war 60 Prozent größer als 2012, als ein absolutes Rekordminimum seit Aufzeichnungsbeginn Ende der 1970er Jahre erreicht wurde. Dennoch lagen die Werte immer noch weit unter dem langjährigen Durchschnitt; zudem besteht das Meereis mittlerweile vor allem aus dünnerer, einjähriger Gefrornis und nicht mehr aus mehrjährigem, dickerem Eis: Es hat also auch an absolutem Volumen eingebüßt. Schuld daran sind der Zustrom an wärmerem Ozeanwasser, höhere Lufttemperaturen, eine Zunahme an Stürmen und negative Rückkopplungseffekte zwischen dunklem Meer, größerer Wärmespeicherung und daraus folgendem Tauen. Allerdings bemerkt der Bericht auch, dass das Meereis rund um die Antarktis in den letzten Jahren – in geringerem Umfang – zunahm.

All dies – und weitere Aspekte wie das Tauen sibirischer Permafrostböden oder Verschiebungen bei den Vegetationszeiten – deuten die beteiligten Wissenschaftler als Folge des fortgesetzten Klimawandels, der durch freigesetztes Kohlendioxid und andere Treibhausgase verursacht werde. Im Mai 2013 hatte die atmosphärische CO2-Konzentration zumindest zeitweilig einen Wert von 400 ppm (parts per million) überschritten – ein Wert, wie er seit mehreren hunderttausend Jahren nicht mehr erreicht worden war. In den nächsten Jahrzehnten erwarten die Wissenschaftler angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung und der fortgesetzten Nutzung fossiler Energieträger eine weitere Zunahme mit den entsprechenden klimatischen Folgen. Je nach Klimasensitivität des Kohlendioxids – also des Grads, zu dem es zur Erderwärmung beiträgt – könnten die Temperaturen bis 2100 um weitere 1,5 bis 4,5 Grad Celsius steigen. Natürliche Faktoren wie die Sonnenaktivität oder Vulkanausbrüche für den Temperaturanstieg der letzten Jahrzehnte schließen die beteiligten Klimatologen hingegen aus: Ihre Wirkung liege nur zwischen minus 0,1 und 0,1 Grad Celsius. Trotz geringer Sonnenaktivität in den letzten Jahren sei keine Abkühlung feststellbar; das zeige, dass sie nur einen geringen direkten Einfluss auf die momentanen Trends nehmen.

Auch die offenen Fragen der Klimaforscher geht der Bericht an: Welche Rolle spielen die Wolken – wirken sie überwiegend kühlend oder doch aufheizend? Wie groß ist der Einfluss der hohen Aerosolfrachten in Ost- und Südasien, die tendenziell die Temperaturen dämpfen? Wie beeinflusst die Sonnenaktivität die Wolkenbildung und damit indirekt die Temperaturen? In diesen Punkten sieht der IPCC selbst noch großen Forschungsbedarf.

Diese Fragen sollten Politiker nun aber ebenso wenig wie die Temperaturpause als Begründung nutzen, um die weltweiten Kohlendioxid-, Methan oder Lachgasemissionen nicht einzudämmen. Die Gletscherschmelze in den Anden oder im Himalaja beispielsweise gefährdet die Wasserversorgung von über einer Milliarde Menschen. Große Mengen Kohlendioxid werden von den Ozeanen geschluckt und verursachen dort eine rasche Versauerung, die es vielen Kalk bildenden Organismen wie Korallen oder Muscheln unmöglich macht, sich daran anzupassen. Korallenriffe schützen jedoch Küsten und "erwirtschaften" über Tourismus und Fischerei Milliardensummen. Sinkende pH-Werte bilden für viele Meeresforscher daher eine der größten langfristigen Sorgen für das Ökosystem Ozean und die angrenzenden Küsten. Ähnliches gilt für steigende Meeresspiegel, die tief liegende Küstengebiete wie in Bangladesch oder Teilen Chinas unmittelbar gefährden, während sie in industrialisierten Staaten den Anpassungsbedarf vergrößern.

All diese klimabedingten Prozesse finden gegenwärtig bereits statt und bilden sich nicht nur in Computermodellen ab, die viele Kritiker der Klimaforschung als verzerrtes Abbild der Realität darstellen. Und auch wenn der IPCC insgesamt wenig Neues berichtet, allein schon diese bisherigen Folgen des Klimawandels sind Grund genug, endlich die Reduzierung der Treibhausgasemissionen mit Verve anzugehen. "Wir führen gerade ein gewaltiges Experiment mit unserem Planeten durch", mahnt der Klimaforscher Mojib Latif. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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