Vorsicht, Denkfalle!: Wie Imitation Sympathie erzeugt

Es ist jammerschade, dass wir uns nicht sehen können, liebe Leserin und lieber Leser! Sonst könnten wir den psychologischen Effekt, den ich Ihnen heute näherbringen will, gleich leibhaftig testen. Der besagt: Ein Gegenüber, das meine Körperhaltung und meine Gesten imitiert, wirkt auf mich sympathischer als ohne diese Mimikry. Umgekehrt ahmen wir Menschen, die wir spontan mögen, unbewusst eher nach. So entsteht eine Art Feedback-Schleife, in der körperlicher und emotionaler Gleichklang einander verstärken.
Woher man das weiß? Nun, Studien haben es gezeigt. Doch das ist zugleich die Krux an der Sache. Denn Studien zeigen viel, wenn die Forschertage lang sind. Will sagen: Der Chamäleon-Effekt tritt in Experimenten zwar durchaus signifikant zutage. Das heißt allerdings nicht unbedingt viel und taugt noch lange nicht als Sympathiebooster beim Speeddating.
Zunächst einmal muss die Imitation unbemerkt bleiben; denn drängt sich der Verdacht auf, der andere äffe einen nach, stellen sich schnell ganz andere, unharmonische Gefühle ein.
Noch wichtiger aber ist: Wie alle psychologischen »Gesetze« ist der Chamäleon-Effekt in der Regel schwach. Schließlich ist die Körpersprache nicht der einzige und vermutlich auch nicht der stärkste Sympathiefaktor. Mehr als die Körperhaltung, in der man etwas sagt, spielt womöglich doch eine Rolle, was man sagt – wer hätte das gedacht!
Wie das x das y beeinflusst
Die sogenannte Effektstärke verrät, wie stark ein Faktor x, etwa das Imitieren von Bewegungen, die Variable y (Sympathie) beeinflusst. Ich erspare uns hier die Details der Berechnung, nur so viel: Es gibt verschiedene Maße für die Effektstärke, und eines der gebräuchlichsten wird mit »d« abgekürzt. Dieser statistische Parameter liegt in der experimentellen Psychologie allgemein selten über 0,3 – weshalb man ihn oft vernachlässigt und nur das davon relativ unabhängige Signifikanzniveau angibt.
So war es auch in der einschlägigen Chamäleonstudie von Tanya Chartrand und John Bargh. Jedenfalls hielt sich die Wirkung der Mimikry in Grenzen: Mit Imitation ging es auf einer Beliebtheitsskala von 1 bis 9 durchschnittlich rauf bis 6,6, ohne aber auch bis 5,9. Das ist schon recht subtil.
Ein einfacher Vergleich verdeutlicht das Problem: Der Einfluss des Geschlechts auf die Körpergröße wird etwa von Melissa Hines von der University of Cambridge auf ein d von gut 1,72 geschätzt. 1,72! Folglich ist ein zufällig ausgewählter Mann sehr wahrscheinlich größer als die erstbeste Frau, die uns begegnet. Nur ist selbst das, wie jeder weiß, keineswegs garantiert!
Auch ich würde nicht allzu viel darauf wetten, dass mir nicht ein Michael von 1,76 Meter neben der Christina mit ihren 1,82 Metern über den Weg läuft – das stolze d von 1,72 hin oder her.
Und nun überlegen Sie einmal, wie sehr sich beim Zusammentreffen zweier Menschen eben ausgerechnet die Imitation – und nicht die Stimmlage, Frisur, der Kleidungsstil, Körpergeruch oder, du meine Güte, Worte im Sympathiewert niederschlagen!
Wir sollten die Macht mysteriöser Psychotricks nicht überschätzen. Entgegen gut verkäuflicher Coaching-Tipps beschreiben sie keine absolut verlässlichen Kausalitäten, so sehr wir auch nach solchen »Geheimwaffen« dürsten. Dass wir uns mit subtilen Mitteln die Sympathie von anderen erschleichen könnten, erscheint verlockend. Doch wie wäre es stattdessen mit dem Naheliegenden: nett lächeln, zuhören und ab und zu ein Kompliment einstreuen!?
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