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Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Koffein

Ja, es ist möglich, durch eine Überdosis Koffein zu sterben. Doch in der Regel ist es nicht der Kaffeekonsum, der eine solche Vergiftung auslöst.
Eine Tasse Espresso mit einer cremigen Schaumkrone steht auf einer Oberfläche, die vollständig mit gerösteten Kaffeebohnen bedeckt ist.
»Jetzt nimmt sie uns auch noch den Kaffee!« Glauben Sie mir, nichts liegt mir ferner! Und ich kann Sie beruhigen: Wenn Sie nicht mehrere Dutzend Tassen pro Tag trinken, sollte ihr akutes Koffein-Vergiftungsrisiko sich in Grenzen halten.
Eines ist sicher: Irgendwann geben wir alle den Löffel ab. Weniger absehbar ist das Wie. Denn es gibt eine schier unendliche Zahl an Wegen, die einen Menschen ins Grab bringen können – manche von ihnen außergewöhnlicher, verblüffender und bizarrer als andere. In der Kolumne »Unwahrscheinlich tödlich« stellen wir regelmäßig solche Fälle vor, von bissigen Menschen über giftige Reisbällchen bis hin zu lebensgefährlichem Sex.

Der Franzose Honoré de Balzac ist vor allem bekannt für seinen Romanzyklus »Die menschliche Komödie«. Es gibt mehrere deutschsprachige Gesamtausgaben des umfassenden Werks, darunter die 1997 vom Insel Verlag veröffentlichte, die 91 Romane und Novellen in 20 Bänden fasst. Wie konnte der Mann nur so viel schreiben – hat es womöglich mit seinem außergewöhnlichen Kaffeekonsum zu tun?

Bis zu 50 Tassen pro Tag soll der Schriftsteller über Jahre hinweg konsumiert haben. Diese Menge an Kaffee enthält ungefähr drei bis sieben Gramm pures Koffein. Das ist mehr als genug, um bei den meisten Menschen eine schwere Vergiftung auszulösen. Typische Symptome einer solchen sind Schlaflosigkeit, Muskelzucken, Herzrasen und neuropsychiatrische Effekte.

Es mag zwar all jene überraschen, die bereits nach einem doppelten Espresso Schweißausbrüche bekommen, aber: Selbst ein derart extremer Kaffeekonsum wie der, den man de Balzac nachsagt, muss nicht akut tödlich sein. Man wird sich sogar schwertun, überhaupt ein Ableben zu finden, das nachweislich auf eine Überdosis an Kaffee zurückgeht. Mir ist das in der Recherche nicht gelungen – allerdings sind mir durchaus Fälle von Personen begegnet, die eine fatale Menge an Koffein zu sich genommen hatten.

Gefährliches weißes Pulver

Einer trug sich vor einigen Jahren in Deutschland zu und führte zum Tod einer 35-Jährigen, die versehentlich zu viel Koffeinpulver geschluckt hatte. Als Nahrungsergänzungsmittel ist das Stimulans vor allem in Kraftsportkreisen beliebt. Eine Messerspitze vor dem Training soll den Stoffwechsel anregen und die Leistungsfähigkeit steigern. Doch statt der empfohlenen 0,2 Gramm (die der Koffeinmenge in drei Espressos entsprechen) nahm die Frau ungefähr neun Gramm ein, also zirka zwei Teelöffel der Substanz. Diese Menge ist etwa in 140 Tassen Espresso enthalten. Schon wenig später bekam sie Herzrasen und ihre Blutzirkulation stockte, kurz darauf musste sie reanimiert werden. Zuerst gelang es den Ärztinnen und Ärzten noch, ihren Kreislauf zu stabilisieren. Doch dann erlitt die Patientin ein weiteres Kreislauf- und Lungenversagen. Diesmal konnte sie nicht wiederbelebt werden. Sie verstarb knapp einen Tag nach der Einnahme der Koffeinüberdosis.

Ähnliche Fälle treten weltweit immer wieder auf – erst 2024 gab es in Deutschland einen weiteren mit tödlichem Ende. Das Opfer war ein 20-jähriger Mann. Auch hier war es Koffein in Pulverform, das ihm zum Verhängnis wurde.

Das Leben in der Waagschale

Das Problem mit purem Koffein ist die äußerst kleine empfohlene Einzeldosis von 0,2 Gramm. Mit einer normalen Küchenwaage lässt sich diese Menge nicht abwiegen. Die meisten der üblichen Geräte haben Anzeigen mit Grammangaben, und selbst diese Zahlen sind oft nicht so genau, wie sie erscheinen: Sie haben eine gewisse Fehlertoleranz nach oben und nach unten. Bei einem halben Kilo Mehl auf der Waage ist es kaum tragisch, wenn die wahre Masse 499 oder 501 Gramm beträgt. Bei ganz kleinen Messwerten sind solche Abweichungen jedoch bedeutend.

Für Dosen wie beim Koffeinpulver braucht es deshalb speziell geeichte Feinwaagen, deren Fehlerbereich im Milligrammbereich liegt und die ein Gewicht von unter einem Gramm anzeigen können. Wer mit sehr geringen Mengen von Stoffen hantiert, sollte unbedingt in ein solches Gerät investieren.

Für jene, die den schnellen Koffeinkick suchen, gibt es aber eine einfachere Alternative: Vielerorts sind Pillen und Tabletten erhältlich, die gemäß Packungsangabe jeweils 200 Milligramm Koffein enthalten. Auch mit ihnen kommt es gelegentlich zu lebensgefährlichen Überdosierungen, doch diese erfolgen eher selten aus Versehen. Die größere Gefahr für eine unabsichtliche Vergiftung ist und bleibt das Aufputschmittel in Pulverform.

  • Keine einheitliche tödliche Dosis
    Espresso mit schöner Crema | Eine Tasse Espresso enthält ungefähr 65 Milligramm Koffein.

    Die tödliche Dosis von Koffein beträgt bei Erwachsenen etwa fünf bis zehn Gramm. Wie viel es im Einzelfall ist, hängt von mehreren Faktoren ab. Einer davon ist das Blutvolumen, das bei Männern in der Regel größer ausfällt als bei Frauen (was ihnen im Schnitt eine höhere Koffeintoleranz beschert). Eine andere ist der individuelle Stoffwechsel der Person. Eine Tasse Kaffee enthält ungefähr 100 Milligramm – es bräuchte also ungefähr 50 Tassen, um fünf Gramm Koffein zu sich zu nehmen. Allerdings würde wohl niemand so viel Kaffee auf einmal trinken, sondern ihn eher portionsweise über den Tag verteilen. Das bereits konsumierte Koffein gelangt in der Zwischenzeit ins Blut und wird dort stetig abgebaut. Und genau bei dieser Abbaurate unterscheiden Menschen sich stark: Bei manchen ist die Hälfte des Stoffs nach zwei Stunden verstoffwechselt, bei anderen braucht es zwölf Stunden. Durchschnittlich rechnet man mit einer Halbwertszeit von etwa fünf bis sechs Stunden.

    Unklar ist noch, welche Rolle die persönliche Sensibilität bei der toxischen Dosis spielt. Manche Menschen (zu denen diese Autorin sich unglücklicherweise zählt) reagieren kaum auf typische Dosen von Koffein. Sie können etwa um zehn Uhr abends einen doppelten Espresso trinken und kurz danach schlafen gehen. Entsprechend holt der Frühstückskaffee sie auch nicht aus dem Morgentief. Studien deuten darauf hin, dass die Variante eines Gens hinter manchen dieser Effekte steht. Schon eine kleine, natürlich vorkommende Abweichung in ADORA2A könnte dazu ausreichen. Ob und wie das die tödliche Koffeindosis einer Person beeinflusst, ist aber noch unklar. Denn bei Betroffenen landet nicht etwa weniger der Substanz im Blut; vielmehr fehlt dem Stimulans eine der Schlüsselstellen, über die es seine aufputschende Wirkung vermittelt.

Eine Randnotiz zum Schluss: Man darf durchaus daran zweifeln, ob Honoré de Balzac tatsächlich regelmäßig derart exorbitante Mengen Kaffee zu sich nahm. Schließlich sind 50 Tassen zwischen zwei und zwölf Liter, je nachdem, ob man Espresso oder Filterkaffee trinkt. Vermutlich handelt es sich um eine Übertreibung, die signalisieren soll, dass der Schriftsteller schlichtweg ungewöhnlich viel Kaffee trank. Sein früher Tod mit 51 Jahren wird gemeinhin mit seiner Koffeinabhängigkeit in Verbindung gebracht. Sein andauernder Überkonsum blieb also langfristig nicht ohne Folgen.

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