Direkt zum Inhalt

Unwissenschaftliche Heilsversprechen: Schluss mit dem Quanten-Hokuspokus!

Quantenphysik muss oft als Erklärung für esoterische Heilmethoden herhalten. Kein Wunder: Auch seriöse Medien nutzen magisch-verklärte Begriffe. Dass sprachliche Präzision wichtig ist, damit Wissenschaft nicht von Scharlatanen vereinnahmt wird, kommentiert Katharina Menne.
Eine Person liegt entspannt auf einem Tisch mit einem Handtuch unter dem Kopf. Zwei Hände schweben über dem Kopf der Person, umgeben von einem sanften Lichtschein, was auf eine energetische oder therapeutische Behandlung hindeutet. Die Szene vermittelt Ruhe und Entspannung.
Nur weil »Quanten« draufsteht, ist nicht zwangsläufig Quantenphysik drin. Viele Begriffe und Konzepte aus der Wissenschaft werden für esoterischen Humbug missbraucht.

Wer etwas über die magischen Kräfte der Quantenphysik erfahren möchte, muss sich nicht auf esoterischen Webseiten herumtreiben. Auch auf seriösen Webportalen, in Pressemitteilungen von Universitäten und in überregionalen Tageszeitungen ist etwas vom »Quantenzauber im künstlichen Kristall« zu lesen, vom »magischen Kniff« der Quantenphysik oder auch von der »Quanten-Magie«. Das sind nur ein paar Beispiele von vielen, und dahinter stecken ohne Zweifel wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse. Doch indem sich die Wissenschaftserklärer einer solch mystischen Sprache bedienen, erweisen sie dem gesamten Forschungsfeld einen Bärendienst. Denn: Quantenphysik hat mit Zauber, Magie und Esoterik nichts zu tun. 

Die Welt der allerkleinsten Teilchen erscheint vielen Menschen oft recht fremd und verwirrend. Zugegeben, sie ist auch eigentümlich: Da können Atome, Photonen oder Elektronen in mehreren Zuständen gleichzeitig existieren – und über weite Entfernungen hinweg miteinander in Verbindung stehen. Als wäre das nicht schon unvorstellbar genug, lassen sich Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens plötzlich nicht mehr eindeutig bestimmen. Objekte können in der Quantenphysik gleichermaßen Wellen- wie Teilcheneigenschaften haben und allerlei andere seltsame Dinge tun. Das ist für die Wissenschaftskommunikation, die einerseits exakt und andererseits verständlich berichten soll, im Fall von Quantentechnologien eine besonders große Herausforderung. Wie soll man einem physikalischen Laien begreifbar machen, dass ein Elektron gleichzeitig nach links und nach rechts fliegen kann?

Themenwoche »Quantenphysik neu gedacht«

Die Quantenmechanik war von Anfang an heftig umstritten. Auch 100 Jahre später ist sich die Fachwelt nicht einig: Was verraten die Formeln über die Realität? In dieser Themenwoche hinterfragen wir, was nötig ist, um die wahre Natur der Teilchen zu begreifen. Womöglich braucht es eine völlig andere Herangehensweise.

100 Jahre Quantenmechanik: Dichtung und Wahrheit hinter Heisenbergs Quantenrevolution
Realität: Warum selbst Physiker die Quantenmechanik nicht verstehen
Quanten-Holonomie-Theorie: Eine neue Verbindung von Raum, Zeit und Quantenphysik
Unwissenschaftliche Heilsversprechen: Schluss mit dem Quanten-Hokuspokus!
Nobelpreisträger 't Hooft: »Der Grund, warum es nichts Neues gibt, ist, dass alle gleich denken«
Springers Einwürfe: Die Zukunft der Quanten

Mehr zu den seltsamen Phänomenen aus der Welt der Teilchen und Atome finden Sie auf unserer Themenseite »Quantenphysik«.

Die Quantenphysik erlaubt Situationen, die sich von unserer Alltagserfahrung unterscheiden – und genau das macht sie so schwer erklärbar. Wenn schon Albert Einstein im Zusammenhang mit Quanten den Begriff der »spukhaften Fernwirkung« prägte und Richard Feynman zu Protokoll gab, man könne mit Sicherheit sagen, »dass niemand die Quantenmechanik versteht«, dann muss all das ja wirklich sehr merkwürdig sein.

Ganz ehrlich: Ist es auch. Aber die »spukhafte Fernwirkung«, wie Einstein die Quantenverschränkung nannte, lässt sich messen, berechnen und gezielt für technische Anwendungen nutzen. In der Mikroelektronik jedes Smartphones stecken zahlreiche Erkenntnisse aus der Quantenphysik. Die Funktionsweise von Lasern, Transistoren und Atomuhren lässt sich nur mit der Quantentheorie erklären. Und auch wer schon mal in einem Magnetresonanztomografen lag, hatte bereits Kontakt zur Quantenwelt.

Lukrative Geschäftsmodelle

Wenn aber selbst seriöse Quellen über Quantenmagie und zauberhafte Kräfte fabulieren, dann öffnet das den Scharlatanen Tür und Tor. Man muss im Internet nicht lange suchen, um auf Ratgeber und Workshops zum Thema »Quantenheilung« zu stoßen, auf Geräte, die dabei helfen sollen, »energetische Dysbalancen« zu erkennen oder die »mit Hilfe modernster quantenphysikalischer Technologien Probleme lösen, damit sich Gesundheit, Glück und Erfolg wieder einstellen«. In meinem Wohnort hatte eine Buchhandlung neulich ihr ganzes Schaufenster mit solchen pseudowissenschaftlichen Werken dekoriert, in denen aus physikalischer Sicht unhaltbare Methoden mit großen Namen wie Albert Einstein oder Richard Feynman und Begriffen aus der Quantenmechanik wie der Nichtlokalität und der Verschränkung zusammengebracht werden.

Das mag im ersten Moment witzig klingen. Doch schon im zweiten Moment wird es gefährlich. Da geht es nicht nur um unwirksame Hilfsmittel gegen harmlose Leiden. Teilweise werden solche Methoden als echte Alternativen zur medizinischen Diagnostik und Behandlung schwerer Erkrankungen dargestellt. Im schlimmsten Fall wird eine überlebensnotwendige Therapie hinausgezögert oder abgelehnt. Liest man sich bei Amazon die Kundenrezensionen zu den inzwischen mehr als 600 zu dem Thema angebotenen Ratgebern durch, wird einem angst und bange. »Seit ich die Quantenheilung bei mir und anderen mache, hat sich mein Leben verändert!«, ist dort zu lesen. Und: »Die Quantenheilung sollte Ergänzung zu schulmedizinischen Heilmethoden sein.« Viele berichten, dass ihre Schmerzen wie durch ein Wunder verschwunden seien, und empfehlen die einschlägigen Werke uneingeschränkt weiter.

Es mag stimmen, dass es Menschen nach der Lektüre solcher Bücher und nach Anwendung der darin beschriebenen Methoden besser geht. Energiewellen und magische Zustände haben damit aber nichts zu tun. Da werden naturwissenschaftliche Fachbegriffe mit einer esoterischen Gedankenwelt vermengt, um Pseudowissenschaft zu legitimieren. Es ist leicht, daran zu glauben, wenn man es nicht besser weiß. Und nicht zu vergessen: Mit etwas, was fast niemand versteht, kann man gut Geschäfte machen. Ein mehrstündiges Seminar zur Quantenheilung ist für schlappe 270 Euro zu haben – Ratenzahlung möglich.

Das Problem für die seriöse Wissenschaftskommunikation ist nun: Um etwas Unerklärbares erklärbar zu machen, braucht es Metaphern, Bilder und Gleichnisse. Doch jeder Vergleich von Quantenphänomenen mit Alltagsereignissen muss zwangsläufig hinken – eben weil sie der alltäglichen Erfahrung widersprechen. Quantenphysikalische Phänomene sind nur in sehr, sehr kleinen Systemen sichtbar. Sobald wir versuchen, den Quantenzustand eines Teilchens genau zu ermitteln, koppeln wir das Teilchen an die Außenwelt. Statt eines kleinen Systems, das Quanteneigenschaften zeigen kann, hat man dann ein großes Gesamtsystem, das wieder den Gesetzen der klassischen Physik folgt. Und da auch wir Menschen makroskopische Lebewesen sind, gelten für uns die klassischen Regeln.

Quanten sind nicht mystisch, sondern messbar

Es ist daher absolut unphysikalisch, zu behaupten, man könne »durch die Steuerung von Energie, auch Quanten genannt, jede Körperzelle so beeinflussen, dass diese sich selbst heilt«, wie es im Klappentext eines einführenden Werks zur »Quantenheilung« heißt. Zum einen sind die Begriffe »Energie« und »Quanten« nicht synonym, und zum anderen sind selbst Körperzellen viel zu groß, als dass die Gesetze der Quantenmechanik auf sie einen messbaren Einfluss hätten. Hier wird einfach willkürlich mit quantenphysikalischem Vokabular agiert.

Wir müssen so über die Quantenphysik reden, dass man sie, wenn man sie schon nicht versteht, zumindest nicht missverstehen kann!

Nun lässt sich kaum fordern, dass physikalische Laien den mathematischen Formalismus der Quantenmechanik erlernen sollen. Nicht umsonst wird Quantenmechanik an der Universität üblicherweise erst im vierten Semester des Physikstudiums gelehrt – und selbst dann nicht ohne parallele Vorlesungen in höherer Mathematik.

Der einfachste Ausweg wäre zu sagen, dass nicht alle Menschen die Phänomene der Quantenphysik verstehen müssen, um sie im Alltag zu nutzen. Immerhin hat praktisch jeder heute ein Handy in der Tasche, aber kaum jemand weiß, wie die einzelnen Bauteile funktionieren. Das jedoch wird gerade nicht dabei helfen, Menschen vor den falschen Versprechungen der Quantenheiler zu bewahren. Es geht vielmehr um etwas anderes: Wir müssen so über die Quantenphysik reden, dass man sie, wenn man sie schon nicht versteht, zumindest nicht missverstehen kann! Es braucht neue, weniger verfängliche Sprachbilder in der Wissenschaftskommunikation, um sich stärker von der Esoterik und ihren Anhängern zu distanzieren.

Denn es zeigt sich: Die Zustimmung zu pseudowissenschaftlichen Überzeugungen etwa bei Schülern hängt stark davon ab, wie viel Vertrauen sie in öffentliche und Forschungsinstitutionen haben und wie viel sie wissen – über wissenschaftliche Methoden im Allgemeinen und die Quantenmechanik im Speziellen. Zu diesem Ergebnis kam eine Umfrage unter 1119 italienischen Schülerinnen und Schülern im Jahr 2022, die im Fachmagazin »Physical Review Physics Education Research« veröffentlicht wurde. Ohne fachlichen Hintergrund fällt es den Kindern und Jugendlichen offenbar schwer, zwischen richtigen Behauptungen und plausiblen, aber falschen Behauptungen zu unterscheiden.

Es ist wichtig, die Quantenphysik aus dem Reich der Wunder zurückzuholen – dorthin, wo sie hingehört: in die Welt der überprüfbaren Fakten. Ihre Phänomene sind nicht mystisch, sondern messbar. Wissenschaftler befolgen festgelegte Regeln, entwickeln Theorien und führen Experimente durch, um auf früheren Erkenntnissen aufzubauen und diejenigen Theorien zu widerlegen, die neuen Daten nicht standhalten. Fundierte Studien sind wiederholbar, überprüfbar und funktionieren unabhängig von dem, der sie durchführt. Wissenschaft muss nicht geheimnisvoll klingen, um faszinierend zu sein. Im Gegenteil: Je klarer sie kommuniziert wird, desto weniger Raum bleibt für Scharlatanerie. Und vielleicht ist das größte Wunder der Quantenphysik am Ende gar nicht ihre vermeintliche Magie – sondern die Tatsache, dass sie trotz all ihrer Absurdität funktioniert. Präzise, zuverlässig und ganz ohne Hokuspokus.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

1 Beitrag anzeigen

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.