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Krebs verstehen: Sarkome – selten, aggressiv, oft spät erkannt

Thomas Gottschalks Diagnose bewegt viele. Seine Offenheit rückt eine seltene, meist spät entdeckte Krebsart ins Licht: Sarkome. Dabei verursachen sie bei Kindern bis zu 15 Prozent aller Krebsfälle.
Im Bild zu sehen sind Liposarkomzellen, hier rot markiert durch Fluoreszenzfärbung.
Sarkome sind seltene, bösartige Tumoren des Binde- und Stützgewebes. Eine häufig auftretende Unterform ist das Liposarkom, das aus Fettgewebe entsteht und oft lange unbemerkt wächst. Im Bild zu sehen sind Liposarkomzellen, hier rot markiert durch Fluoreszenzfärbung.

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Thomas Gottschalk hat Anfang Dezember öffentlich gemacht, dass er an Krebs erkrankt ist. Er leidet an einem sogenannten Sarkom – genauer gesagt einem epitheloiden Angiosarkom. Die extrem seltene und aggressive Tumorart entsteht aus Zellen der Blutgefäße, bei ihm in Harnleiter und Blase. Der Moderator unterzog sich zwei großen Operationen und insgesamt 33 Bestrahlungen. Ob die Therapie erfolgreich war, werden die kommenden Monate zeigen. Die Prognose bei solchen Sarkomen ist oft schlecht: Sie gelten als schwer behandelbar. Immerhin entdeckten die Ärzte die Erkrankungen bei Gottschalk sehr früh – ein Glück, das nicht alle Betroffenen haben.

Als ich als Ärztin an einem Zentrum gearbeitet habe, das auf Sarkome spezialisiert ist, haben meine Patientinnen und Patienten mir immer wieder von ihrem langen Weg bis zur richtigen Diagnose berichtet. Die seltenen Erkrankungen, die sich hinter dem Überbegriff Sarkom verbergen, sind mitunter schwer zu erkennen. Sie verdienen mehr Aufmerksamkeit, die sie durch Gottschalks Offenheit nun bekommen.

Bei Krebs denken die meisten Menschen an bösartige Tumoren in Organen wie Lunge oder Darm. Dort können an äußeren und inneren Oberflächen – etwa von Schleimhäuten und Drüsengewebe – sogenannte Karzinome entstehen.

Die Diagnose für Sarkome erfolgt oft erst spät

Sarkome hingegen gehen vom Binde- und Stützgewebe des Körpers aus – also beispielsweise von Muskeln, Fett, Knorpel oder Knochen. Die Erkrankungen treten selten auf: Nur 1 von 100 Krebserkrankungen bei Erwachsenen ist ein Sarkom. Im Jahr 2020 erkrankten in Deutschland rund 4600 Menschen daran.

Sarkom ist ein Überbegriff für rund 100 verschiedene Krebserkrankungen mit völlig unterschiedlichen Symptomen und Therapien. Die meisten sind Weichteilsarkome, die etwa von Muskeln, Fett oder Bindegewebe ausgehen. Rund zehn Prozent der Betroffenen haben eine erblich bedingte Veranlagung für eine derartige Tumorerkrankung.

Zu den häufigsten Weichteilsarkomen gehören sogenannte gastrointestinale Stromatumoren (GIST). Sie entstehen aus Zellen in der Muskelschicht des Verdauungstrakts, die für dessen Peristaltik zuständig sind. Pro Jahr erkrankt daran etwa 1 von 100 000 Personen in Deutschland. Zum Vergleich: Rund 150 von 100 000 Frauen erkranken jährlich an Brustkrebs. GIST treten vor allem im Verdauungstrakt auf, am häufigsten im Magen. Bekannte Risikofaktoren für die Erkrankung gibt es nicht. Zudem sind Beschwerden oft unspezifisch, bei rund einem Viertel der Betroffenen werden die Tumoren zufällig entdeckt. Früh erkannt, werden sie operiert; in fortgeschrittenen Stadien mit zielgerichteten Medikamenten behandelt

Innerhalb der Gruppe der ohnehin seltenen Sarkome gibt es besonders rare Formen wie das Angiosarkom. Es entsteht aus dem Inneren von Blutgefäßen und kann an verschiedenen Stellen im Körper auftreten. In den USA sind 2020 rund 1100 Personen erkrankt. An Lungenkrebs hingegen mehr als 200 000. Angiosarkome können auch als sehr seltene Spätfolge nach einer Bestrahlung der Brust bei Brustkrebs entstehen. Thomas Gottschalk wiederum leidet an einer noch selteneren Unterform des Angiosarkoms: dem epitheloiden Angiosarkom. Es ist so selten, dass es jährlich weniger als eine Person pro eine Million Menschen trifft.

Sarkome sind Zebras in der Medizin

Medizinstudenten hören in Fallbesprechungen manchmal Sätze wie »Wenn Du Hufe hörst, denk an ein Pferd und nicht an ein Zebra« oder »Häufiges ist häufig, Seltenes ist selten«. Ärztinnen und Ärzte müssen zunächst die häufigsten Diagnosen im Kopf parat haben. Brustschmerzen? Das könnte ein Herzinfarkt sein. Plötzliche Lähmungserscheinungen? Ein Schlaganfall ist am wahrscheinlichsten.

Leiden Patienten also an sehr seltenen Erkrankungen wie Sarkomen, ist es möglich, dass Ärzte diese Erkrankung noch nie in ihrem Berufsleben gesehen haben. Ein Hausarzt behandelt zwar pro Jahr mehrere Tausend Patientinnen und Patienten, aber in seinem ganzen Berufsleben im Schnitt nur rund zwei mit Weichteilsarkomen. Was die Diagnose zusätzlich erschwert: Manche Sarkome an den Weichteilen oder Knochen machen sich mit Schmerzen oder unklaren Schwellungen bemerkbar. Doch viel häufiger stecken hinter Schmerzen im Rücken Verspannungen, etwa durch Bewegungsmangel. Ursache für Schwellungen an Armen oder Beinen sind hingegen oft Lipome, gutartige Tumoren des Fettgewebes.

So kommt es, dass bei vielen Patientinnen und Patienten Sarkome erst nach Wochen oder sogar Monaten diagnostiziert werden. Bestehen Beschwerden schon länger oder verschlimmern sich, sollten sie weiter abgeklärt werden, etwa mit einer bildgebenden Untersuchung wie Ultraschall oder MRT. Fällt in den Bildern etwas auf, das ein Sarkom sein könnte, sollte in einem spezialisierten Zentrum eine Gewebeprobe entnommen werden. Spezialistinnen für Pathologie untersuchen sie dann unter dem Mikroskop. Erhärtet sich der Verdacht, senden sie die Probe zu sogenannten Referenzpathologien. Auch hier gilt: Wer öfter Sarkome unter dem Mikroskop beurteilt, kann die Diagnose mit größerer Sicherheit stellen.

Sarkome bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen

Im Unterschied zu Erwachsenen treten Sarkome bei Kindern vergleichsweise oft auf: Sie stellen hier rund zehn bis fünfzehn Prozent aller Krebserkrankungen. Dazu zählen etwa Osteosarkome und Ewing-Sarkome, die vom Knochen ausgehen und vor allem im Kindes- und Jugendalter auftreten. Die absoluten Zahlen sind allerdings ebenfalls sehr niedrig. So erkranken pro Jahr von einer Million Kindern weniger als vier an einem Osteosarkom, dem häufigsten bösartigen Knochentumor im Kindesalter. Typisch dafür sind Schmerzen, die zunächst oft auf zurückliegende Stürze oder Spielunfälle zurückgeführt werden. Früh entdeckt, können die meisten Kinder durch eine Kombination aus Chemotherapie und OP geheilt werden. In fortgeschrittenen Stadien sinken die Überlebenschancen jedoch deutlich. 

Sarkome erfordern spezielle Therapieverfahren

Die operative Behandlung von Sarkomen ist komplex. Deshalb ist es entscheidend, dass sich Patientinnen und Patienten in spezialisierten Zentren behandeln lassen. Ein Beispiel ist die sogenannte Rotationsplastik, die manchmal notwendig wird, wenn ein bösartiger Tumor im Oberschenkelknochen entfernt werden muss. Bei Krebsoperationen werden Tumoren in der Regel einschließlich einer umgebenden Sicherheitszone herausgeschnitten, damit keine Tumorzellen im Körper zurückbleiben. Im Fall des Oberschenkels kann das bedeuten, dass das gesamte Bein amputiert werden muss. Eine Alternative ist, nach Entfernung des kranken Oberschenkels den gesunden Unterschenkel um 180 Grad gedreht an der Hüfte zu verankern. Die Ferse dient dann als Kniegelenk, an dem eine Prothese angebracht werden kann. Auch andere Sarkome wie das Chondrosarkom im Beckenbereich, das von Knorpelgewebe ausgeht, erfordern hochkomplexe Operationen, die nur Spezialisten durchführen sollten.

Eine weitere besondere Behandlungstechnik, die es nur an spezialisierten Zentren gibt und bei bestimmten Sarkomen zum Einsatz kommt, ist die sogenannte regionale Tiefenhyperthermie. Dabei werden Sarkome des Weichgewebes im Körperstamm, an Armen, Beinen oder im Bauchbereich durch elektromagnetische Wellen auf 40 bis 43 Grad Celsius erwärmt. Die Behandlung erfolgt parallel zu einer Chemotherapie, deren Wirkung durch die Wärme verstärkt werden soll. Ziel ist es, die Tumoren zum Schrumpfen zu bringen, sodass sie anschließend operiert werden können.

Trotz solch aufwendiger Therapien lassen sich Sarkome vor allem in fortgeschrittenen Stadien leider oft nicht heilen. Mehr Forschung ist notwendig, um die Erkrankungen künftig besser behandeln zu können. Ich empfehle Betroffenen, über Websites wie OncoMap spezialisierte Sarkomzentren in ihrer Nähe zu suchen, sich bei der Deutschen Sarkom-Stiftung über Behandlungsmöglichkeiten zu informieren und sich mit anderen Erkrankten zu vernetzen. Sarkome sind selten. Deshalb tut es gut, zu wissen, dass man nicht allein ist und von den Erfahrungen anderer profitieren kann. 

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