Krebs verstehen : Warum ich »alternative« Krebstherapien nicht lustig finde
Meine Definition von Medizin ist, Patienten nach bestem Wissen und Gewissen zu behandeln – die Grundlage der evidenzbasierten Medizin. Die so genannte Alternativmedizin wendet sich allerdings vom besten Wissen ab. Sie ist damit keine echte Alternative zur Medizin und hat diesen Namen in meinen Augen nicht verdient. Leider gibt es in diesem Bereich viele unseriöse und sogar gefährliche »Behandlungsangebote«, vor allem für Krebspatientinnen und -patienten.
Ich erinnere mich noch an meinen allerersten Arbeitstag als Ärztin. Da ist eine junge Mutter an Krebs verstorben, die sich erst nach einer »alternativen« Therapie in ärztliche Behandlung begeben hat. Leider war die Erkrankung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr heilbar – zum Zeitpunkt der Diagnose war sie es aber. Auch vor Kurzem habe ich einen jungen Patienten mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung betreut, der sich zuvor von einem »Heiler« hat »behandeln« lassen.
Es ist belegt, dass Patientinnen und Patienten, die komplementäre, also zur gewählten Krebstherapie ergänzende Medizin wählen, statistisch gesehen häufiger wirksame Krebstherapien ablehnen und ein höheres Risiko haben, an ihrer Erkrankung zu sterben. Auch in den Medien wird immer wieder über tragische Fälle von Menschen berichtet, die sich »alternativ« haben behandeln lassen und dann gestorben sind, obwohl ihr Krebs womöglich heilbar gewesen wäre. Das zeigt deutlich, dass Behandlungen außerhalb der evidenzbasierten Medizin eben nicht ungefährlich sind. Den Wunsch danach, selbst aktiv zu werden und etwas gegen die Erkrankung zu tun, kann ich gut verstehen. Ich wünsche meinen Patienten aber unter keinen Umständen, dass sie mit unwirksamen »Behandlungen« womöglich ihre Prognose verschlechtern und dafür auch noch viel Geld ausgeben. Krebspatienten haben durch den Arbeitsausfall meist ohnehin erhebliche finanzielle Probleme, und in der Regel wird nur die evidenzbasierte Medizin von den Krankenkassen bezahlt.
Warum ich mich mit Alternativmedizin beschäftige
Seit rund 15 Jahren interessiere ich mich für Pseudowissenschaften. In meinem ersten Studium, einem naturwissenschaftlichen, habe ich dieses Interesse entwickelt. So kommt es, dass ich in meinen 20ern das erste Mal eine Esoterikmesse in München besucht habe. Im Programm las ich von Quantenheilung und Aurafotografie und konnte mich vor Lachen kaum halten. Da muss ich hin, dachte ich.
Schon in der U-Bahn auf dem Weg zur Messe wurde mir klar, dass es falsch von mir war, mich darüber lustig zu machen. Eine Frau sprach mich an und fragte, ob sie meinem Hund Leckerlis geben dürfe. Wir unterhielten uns und stellten fest, dass wir beide zur Esoterikmesse fahren. Als sie hörte, dass ich zum ersten Mal auf die Messe gehe, sagte sie zu mir: »Das ist eine gute Messe, aber es gibt auch unseriöse Angebote, passen Sie gut auf. Einmal habe ich ein paar tausend Euro für eine Fernbehandlung ausgegeben. Dass das Quatsch war, habe ich erst hinterher gemerkt.«
Dass die nette Frau, die meinen Hund fütterte, mich – die zur Belustigung auf die Messe fuhr – warnte, brach mir das Herz. Auf der Messe angekommen, erkannte ich sofort, dass sich fast alles um Gesundheit dreht: wie man Krankheiten verhindern oder sie behandeln kann. Ich saß in einem Vortrag, in dem eine DIN-A4-große Plastikscheibe mit »Quantentechnologie« für mehrere hundert Euro angepriesen wurde. Unter die Matratze gelegt würde sie vor allen möglichen Erkrankungen schützen. »Aurachirurgen« behaupteten, aus der Ferne Krankheiten behandeln zu können – man musste ihnen dafür einfach nur Geld überweisen. In Diskussionsrunden berichteten Besucher von sehr bewegenden Krankengeschichten – und ihrer Enttäuschung über unser Gesundheitssystem. Ich merkte schnell, dass dort viele herzensgute Menschen herumliefen, die Hilfe suchten, nachdem sie sie an anderen Orten nicht gefunden hatten. Daran, das wurde mir klar, ist überhaupt nichts lustig oder gar dämlich. Ich hatte sogar das Gefühl, dass ein großer Teil der Menschen, die diese Angebote vertreiben, selbst daran glaubt.
Der Glaube an eine alternative Therapie ist bei manchen groß
Seitdem habe ich die Messe noch mehrfach besucht – nicht, um mich lustig zu machen, sondern um zu sehen, welche scheinbaren Therapien und diagnostischen und präventiven Maßnahmen dort angeboten werden. Und zwar, um Patienten, die sich für so etwas interessieren, besser verstehen zu können – und besser über diese Themen sprechen zu können.
Doch leider ist der Glaube an »alternativen« Verfahren in Deutschland so groß, dass meine Überzeugungskraft trotzdem nicht immer groß genug ist. Vor Kurzem hat mir eine Patientin mitgeteilt, dass sie ihre Krebstherapie für ein paar Monate unterbrechen will, um in einer Klinik etwas anderes als »Schulmedizin« auszuprobieren. Die Klinik wirbt damit, Patienten komplementär – also zusätzlich zur Krebstherapie – mit Homöopathie, therapeutischem Fasten, Neuraltherapie, Ordnungstherapie oder ausleitenden Verfahren zu behandeln. Sogar die so genannte Hyperthermie bietet die Klinik an, ein Verfahren, das ich von der Uniklinik kenne. Dabei werden Körperbereiche, in denen der Krebs sitzt, erwärmt. Ziel ist es, dass sich die Blutgefäße weiten und so die Chemotherapie besser ankommt. In der Klinik bedeutet Hyperthermie allerdings eine Wärmebehandlung ganz ohne Chemotherapie. Ich bezweifle nicht, dass diese Methode entspannend sein kann, nur gibt es keinen Beleg dafür, dass sie eine Krebserkrankung bremsen kann. Die Behandlung dort wird sogar von Ärzten durchgeführt. Komplementärmedizin in ärztlicher Hand unterstütze ich eigentlich – nur wird die Therapie im konkreten Fall der Patientin nicht komplementär, sondern alternativ zu einer evidenzbasierten Therapie stattfinden, was ich sehr enttäuschend finde.
Ich bin eine große Freundin davon, Patienten und Patientinnen Pausen von der Therapie zu ermöglichen, um ihre Lebensqualität zu verbessern. Das gilt aber für Zeiträume, in denen die Erkrankung gerade stabil ist. Bei besagter Patientin war das leider nicht der Fall. Sie erklärte mir, dass ein befreundeter Arzt ihr gesagt hätte, dass sie in der Zeit schon nicht sterben werde. Leider bin ich nicht so optimistisch. Zumindest wird sie dort von medizinischem Fachpersonal behandelt, und sollte sich der Zustand der Patientin verschlechtern, wird sie zurückgeschickt – so hoffe ich.
Auf der Esoterikmesse habe ich jedoch kein medizinisches Fachpersonal getroffen. Bis heute kann ich nicht fassen, dass es in Deutschland legal ist, scheinbare Gesundheitsprodukte mit Falschbehauptungen zu bewerben und zu vertreiben, ohne dass es irgendeinen Nachweis über einen Nutzen und eine Unschädlichkeit gibt. Und zum großen Teil ohne eine medizinische Ausbildung abgeschlossen zu haben. Deshalb bin ich froh, dass es die evidenzbasierte Komplementärmedizin und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt gibt, die untersuchen, welche Verfahren Krebstherapien sinnvoll und wirksam ergänzen. Nur so kann man als Arzt seinen Patienten seriöse Empfehlungen geben, was ihnen zusätzlich zu ihrer Behandlung helfen könnte.
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