Krebs verstehen: Wieso sind manche Krebserkrankungen nicht heilbar?

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
In meinem Alltag als Ärztin in der Onkologie höre ich oft Sätze wie »Meine Tante hat ihren Krebs auch überstanden, obwohl es anfangs schlecht aussah« oder »Mein Nachbar hat es nicht geschafft, obwohl die Ärzte optimistisch waren«. Patienten vergleichen ihre Situation häufig mit der anderer Erkrankter. Der Austausch mit anderen kann Betroffenen zudem Kraft und Trost spenden. Doch ich erlebe auch, dass solche Vergleiche verunsichern: Weshalb verläuft die eigene Erkrankung so aggressiv, während ein Bekannter schnell gesund wurde? Kann ich den optimistischen Prognosen der Ärzte wirklich trauen, wenn ich gerade einen geliebten Menschen an Krebs verloren habe?
Auch mir fällt es immer wieder schwer zu akzeptieren, wie unterschiedlich Krebserkrankungen verlaufen können. Wenn ich Patienten in der Nachsorge sehe, die seit Jahren tumorfrei sind, frage ich mich, wieso das nicht bei allen gelingt. Wie kommt es, dass die Prognosen von Krebserkrankungen so unterschiedlich sind?
Krebs ist nicht gleich Krebs
Die Antwort liegt darin, dass Krebs kein einheitliches Krankheitsbild ist. Der Begriff umfasst mehr als 200 Erkrankungen, die an verschiedenen Körperstellen aus unterschiedlichen Zelltypen entstehen und teils nicht unterschiedlicher sein könnten. Je nachdem, durch welche konkreten Veränderungen Zellen bösartig werden, verhalten sie sich ganz verschieden.
Manche Krebsarten wachsen rasant. Beim Burkitt-Lymphom – einer seltenen Art von Lymphdrüsenkrebs – verdoppeln sich die Krebszellen innerhalb von nur 25 Stunden. Es gehört zu den am schnellsten wachsenden Krebserkrankungen und kann in kurzer Zeit lebensgefährlich werden. Doch die rasche Zellteilung ist zugleich ihre Achillesferse: Sich schnell teilende Zellen sind besonders anfällig für Chemotherapeutika, die genau hier ansetzen. Darum kann die Mehrzahl der Patienten geheilt werden. Eine andere Form von Lymphdrüsenkrebs – das Hodgkin-Lymphom – mit einer mittleren bis hohen Zellteilungsrate ist sogar in rund 90 Prozent der Fälle heilbar.
Andere Krebsarten wachsen dagegen viel langsamer, etwa die chronische lymphatische Leukämie. Rund die Hälfte der Betroffenen benötigen nie eine Therapie, weil sie spät im Leben erkranken und der Krebs so allmählich fortschreitet, dass er keine Beschwerden verursacht. Viele Patienten haben dadurch eine normale Lebenserwartung. Die langsame Zellteilung macht die Erkrankung allerdings auch unempfindlicher gegenüber Chemotherapeutika. Zwar lässt sich die Krankheit über viele Jahre kontrollieren, heilbar ist sie jedoch meist nicht.
Obwohl es sich also bei all diesen Erkrankungen um Lymphdrüsenkrebs handelt, könnten sie kaum unterschiedlicher verlaufen.
Solche Unterschiede gibt es auch bei anderen Krebsarten: Die meisten Prostatakrebspatienten leben zehn Jahre nach der Diagnose noch. Bauchspeicheldrüsenkrebs kann hingegen in vielen Fällen nicht geheilt werden. Hier wachsen die Krebszellen schnell und streuen früh über Blut- und Lymphgefäße. Die Tumoren bilden außerdem ein so genanntes Stroma um sich herum – eine Art Schutzwall, der Chemotherapeutika und Immunzellen abhält. Zudem treiben genetische Veränderungen im Tumorerbgut die unkontrollierte Zellteilung zusätzlich an.
Ob eine Krebserkrankung heilbar ist oder nicht, hängt maßgeblich davon ab, wo im Körper sie sich befindet
Auch der Ort des Tumors ist entscheidend
Ob eine Krebserkrankung heilbar ist oder nicht, hängt noch dazu maßgeblich davon ab, wo im Körper sie sich befindet. Glioblastome etwa sitzen in einem lebenswichtigen Organ: dem Gehirn. Die bösartigen Tumoren wachsen diffus ins Hirngewebe hinein, so dass nach einer Operation meistens entartete Zellen zurückbleiben. Die Blut-Hirn-Schranke verhindert zudem oft, dass Krebsmedikamente in ausreichender Menge an der Geschwulst ankommen.
Entscheidend ist auch, ob sich ein Tumor bereits im Körper ausgebreitet hat, also in welchem Stadium er sich befindet. Einzelne oder sehr wenige Metastasen im Körper lassen sich in einigen Fällen operativ entfernen oder bestrahlen. Haben sich jedoch viele Tochtergeschwülste an entfernten Körperstellen gebildet, ist eine Heilung fast nie möglich. Lokale Therapien wie Operationen oder Bestrahlungen helfen dann nur selten, da die in Computertomografien sichtbaren Tumorwucherungen meist bloß die Spitze des Eisbergs sind. Selbst wenn man einen Tumor entfernt, können an anderen Stellen plötzlich neue Tumoren wachsen. Deshalb setzen wir bei ausgebreiteten Krebserkrankungen Therapien ein, die im ganzen Körper wirken: etwa Chemotherapeutika oder Immuntherapien. So kann beispielsweise das Seminom, eine Art von Hodenkrebs, sogar im fortgeschrittenen Stadium mit Chemotherapie geheilt werden. Manche Krebszellen können sich mit der Zeit aber an die Medikamente anpassen und Resistenzen entwickeln.
Nicht immer ist die Therapie möglich
Für einige Krebsarten gibt es hochwirksame Medikamente. So können wir bei bestimmten Lungenkrebsarten Therapien anwenden, die spezielle Eigenschaften der Tumorzellen gezielt ausnutzen, beispielsweise so genannte ALK-Translokationen.
Doch nicht jede Therapie eignet sich für alle Patienten. Akute Leukämien lassen sich zum Beispiel mit hoch dosierten Chemotherapeutika und Stammzelltransplantationen behandeln. Diese Therapien können aber schwere Nebenwirkungen haben und Komplikationen verursachen, vor allem bei alten Patienten oder solchen mit bereits geschwächten Organen. Ist es wahrscheinlicher, einem Patienten mehr zu schaden als zu helfen, kann ich die Behandlung nicht durchführen.
Prävention und Früherkennung retten Leben
Selbst wenn wir nicht alle Krebserkrankungen heilen können, sinkt die Krebssterblichkeit in der EU insgesamt. Das liegt auch an neuen Therapien. Noch mehr als über neue Krebsmedikamente freue ich mich allerdings über jeden, der gar nicht erst mein Patient wird.
Prävention und Früherkennung sind nämlich wichtige Faktoren. Ein Beispiel: Darmkrebs ist nach Lungenkrebs die zweithäufigste Krebstodesursache. Bei einer Darmspiegelung kann man Tumoren nicht nur frühzeitig entdecken, sondern auch Tumorvorstufen entfernen. Sie ist demnach zum einen eine Früherkennungsmaßnahme, zum anderen kann sie Krebs auch verhindern.
Ein gesunder Lebensstil – das heißt nicht rauchen, keinen Alkohol trinken, körperlich aktiv sein und ausgewogen essen – senkt das Krebsrisiko signifikant. Fachleute schätzen, dass so fast die Hälfte aller Krebstodesfälle vermeidbar wären.
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