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Krebs verstehen: Wenn Krebs nicht mehr heilbar ist

Die Diagnose »unheilbarer Krebs« bedeutet nicht, dass es keine Optionen mehr gibt, Patienten oder Patientinnen zu helfen, erklärt die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
Porträt einer älteren Frau ohne Haare, die im Bademantel am Fenster steht und dabei die Augen geschlossen hat
Wenn eine Krebserkrankung unheilbar ist, kann eine palliativmedizinische Behandlung begonnen werden. Diese kann die Lebensqualität von Betroffenen deutlich erhöhen (Symbolbild).

Es gibt mehr als 100 Arten von Krebs, die in verschiedenen Ausbreitungsstadien auftreten und unterschiedlich schnell voranschreiten – Krebs ist nicht gleich Krebs. Deshalb hat man viele Möglichkeiten, eine Krebserkrankung zu behandeln. Bei Lymphdrüsen- oder Blutkrebs kann in manchen Fällen beispielsweise eine alleinige Chemotherapie schon den Krebs besiegen. Natürlich begegnen mir als Ärztin auch Patientinnen und Patienten mit zum Teil nicht mehr heilbaren Krebserkrankungen. Doch diese Diagnose bedeutet keinesfalls, dass wir nichts mehr tun können. In vielen Fällen ist eine Therapie möglich, durch welche die oder der Erkrankte Monate oder vielleicht sogar Jahre an Lebenszeit gewinnt. In anderen Fällen empfehle ich eine palliative Behandlung, die Beschwerden lindern kann.

Nicht heilbare Krebserkrankungen verlaufen unterschiedlich

Rund 50 0000 Menschen in Deutschland erkranken jährlich an Krebs und die Erkrankung fordert etwa 230 000 Tote pro Jahr. Krebs ist oftmals dann nicht mehr heilbar, wenn er sich im Körper ausgebreitet hat. Eine Mehrheit der Krebspatientinnen und -patienten stirbt nicht am Ursprungstumor, sondern an Tochtergeschwülsten. Jedoch gibt es auch Krebserkrankungen, die ohne Vermehrung im Körper tödlich verlaufen können, dazu gehören unter anderem bestimmte Hirntumoren. Die Lebenserwartung bei nicht heilbaren Krebserkrankungen unter Therapie unterscheidet sich dramatisch und kann zwischen wenigen Wochen und vielen Jahren liegen.

Manchmal geht eine initial heilbare Krebserkrankung in eine nicht heilbare über oder kehrt nach Ende einer Therapie wieder. Ein Teil der Erkrankten leidet allerdings bereits zum Zeitpunkt der Diagnose an einer nicht mehr heilbaren Krebsform. Das bedeutet in den meisten Fällen nicht, dass sie kurze Zeit, also Tage oder wenige Wochen später versterben. Ich habe solche Fälle zwar leider schon erlebt, aber sie sind selten. In der Regel haben Betroffene und ihre Angehörigen Zeit, sich mit der Diagnose und den Behandlungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen.

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Krebstherapien können das Leben um Monate oder Jahre verlängern

In vielen Fällen stehen bei nicht heilbaren Krebserkrankungen Therapien zur Verfügung, die das Leben verlängern und Beschwerden lindern können. Sie können das Krebswachstum im Körper über Wochen, Monate oder sogar Jahre bremsen. Es handelt sich dabei vor allem um Therapien, die im ganzen Körper wirken, etwa Chemotherapien, zielgerichtete Therapien oder Immuntherapien.

Behandlungen an bestimmten Körperstellen, wie zum Beispiel Bestrahlungen, können Beschwerden lindern und Komplikationen verhindern. Sie werden häufig eingesetzt, wenn Tumoren Schmerzen bereiten oder lokale Probleme wie Knochenbrüche oder Nervenschädigungen drohen. Sie können das Tumorwachstum an Ort und Stelle bremsen. Auch endoskopische oder kleine chirurgische Eingriffe können Symptome lindern und das Leben verlängern. Dazu gehören zum Beispiel Magensonden, die es erleichtern, Nahrung aufzunehmen, oder Stents, die beispielsweise sichern, dass Gallenflüssigkeit aus den Gallengängen abfließen kann, oder einen verlegten Atemweg freihalten. Große Operationen, die Tumoren verkleinern und damit das Leben verlängern sollen, kommen selten und nur bei bestimmten Krebsarten zum Einsatz.

Therapien bei nicht heilbaren Krebserkrankungen werden häufig als »palliativ« bezeichnet. Damit ist gemeint, dass das Ziel der Krebstherapie keine Heilung, sondern ein Bremsen ist. Bestimmte Krebsformen schreiten sogar so langsam voran, dass man sie zunächst auch nur beobachten und den Zeitpunkt des Therapiebeginns hinauszögern kann.

Viele Krebserkrankungen lassen sich selbst in fortgeschrittenen Stadien bei laufender Therapie noch über Monate oder sogar Jahre stabil halten. Ich behandle einige Patientinnen und Patienten, die schon seit Jahren mit Krebs leben.

Manchmal ist am meisten damit geholfen, den Krebs nicht mehr zu bekämpfen

Leider haben die beschriebenen Therapiemöglichkeiten einen Preis. Sie können unter anderem zu schweren Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall oder Schädigungen feiner Nerven in den Händen und Füßen führen und sie erhöhen das Risiko für schwer verlaufende Infektionen. Auch müssen Erkrankte für die Therapien und Kontrolluntersuchungen in engmaschigen Abständen immer wieder in ärztliche Behandlung kommen. Betroffene, die sich in Therapie befinden, sehen in der Regel mindestens einmal wöchentlich einen Arzt oder eine Ärztin.

Der Nutzen einer Krebstherapie sollte also nicht nur anhand der gewonnenen Lebenszeit, sondern auch anhand der Lebensqualität bemessen werden. Hierbei wäge ich als behandelnde Ärztin immer mit meinen Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen gemeinsam kritisch ab, ob Nutzen und Nebenwirkungen der Krebstherapie noch in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, und empfehle womöglich eine palliativmedizinische Behandlung. Dazu habe ich beispielsweise erst kürzlich einem über 80-jährigen Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung geraten. Ich habe gemerkt, dass die ständigen Arztbesuche und Nebenwirkungen seine Lebensqualität so sehr reduzieren, dass ich ihm mit meiner Therapie nichts Gutes mehr tue.

Ich habe Patienten während einer palliativmedizinischen Behandlung aufblühen sehen

Bei einer palliativmedizinischen Behandlung wird der Patient oder die Patientin intensiv von einem Team aus speziell ausgebildeten Ärzten und Pflegern versorgt. Sie verzichten auf medizinische Maßnahmen, die nicht direkt die Beschwerden lindern. Erkrankte müssen dann nicht mehr zu Untersuchungen und Therapien erscheinen und nehmen keine Medikamente mehr ein, die nicht der Beschwerdenlinderung dienen. Häufig führt alleine das dazu, dass sich Betroffene besser fühlen: Denn Nebenwirkungen von Therapien und häufige Arztbesuche fallen weg. Beschwerden wie Schmerzen, Unruhe, Angst, Luftnot oder Übelkeit können die Palliativmediziner durch Medikamente meistens sehr gut kontrollieren. Ich habe schon häufig erlebt, wie Patientinnen und Patienten im Rahmen einer palliativen Behandlung noch einmal richtig aufgeblüht sind.

Meiner Erfahrung nach kann es Erkrankten und ihren Angehörigen vor allem seelische Erleichterung bringen, wenn sie palliativmedizinisch betreut werden. Ständige Therapien mit Komplikationen und Nebenwirkungen haben dann ein Ende. Ebenso permanente Untersuchungen und die Hoffnung auf eine Verbesserung der Erkrankung, die immer wieder enttäuscht wird. Ein ganzes Team kümmert sich intensiv um die Linderung von Beschwerden. Eine solche Betreuung kann dazu führen, dass Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen zur Ruhe kommen können.

Vor allem lassen sich im Rahmen einer palliativmedizinischen Behandlung sehr viele Ängste auflösen. Einer meiner Patienten kam nach einem Beratungsgespräch mit einer sehr erfahrenen Palliativmedizinerin zu mir, das ich für ihn in die Wege geleitet hatte. Er bedankte sich bei mir, weil das Gespräch ihm viele Sorgen genommen hatte.

Oftmals kann die Betreuung über ambulante Palliativdienste zu Hause stattfinden. Erkrankte werden dann regelmäßig vom Palliativteam besucht, bekommen Medikamente und erhalten eine 24-Stunden-Notfall-Telefonnummer. So müssen sie nicht die Sorge haben, dass keiner für sie da ist, falls es ihnen plötzlich akut schlecht geht. Wenn eine palliativmedizinische Behandlung begonnen wird, bedeutet das außerdem nicht, dass die erkrankte Person umgehend versterben wird. Eine solche Begleitung kann über Wochen oder sogar Monate andauern und die Lebensqualität deutlich erhöhen. Ist eine derartige Versorgung zu Hause nicht möglich oder nicht erwünscht, kann eine palliative Behandlung auch auf einer Palliativstation oder in einem Hospiz erfolgen.

In meinen Augen sollte eine palliativmedizinische Anbindung möglichst frühzeitig erfolgen. Wenn absehbar ist, dass eine Krebserkrankung auch unter Therapie nicht mehr über einen langen Zeitraum stabil gehalten werden kann, können erste Beratungsgespräche stattfinden. So haben Erkrankte und ihre Familien Zeit, die Möglichkeiten kennen zu lernen, und bekommen eine Vorstellung davon, was sie erwartet. Und vielleicht können ihnen – wie meinem Patienten – viele Ängste genommen werden.

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