Krebs verstehen: Wie wirkt eine mRNA-Impfung gegen Krebs?
Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
Das Immunsystem ist in der Lage, Krebs zu erkennen und zu zerstören. Leider können sich Krebszellen davor schützen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versuchen, das Immunsystem gegen Krebs scharfzumachen – unter anderem mit so genannten therapeutischen Impfungen.
Während der Sars-CoV-2-Pandemie wurden mRNA-basierte Impfungen gegen das Virus zugelassen. Große Studien mit vielen Probandinnen und Probanden konnten zeigen, dass mRNA-Impfungen funktionieren und sicher sind. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie relativ einfach und günstig herstellbar sind.
In der Krebsforschung wird bereits seit vielen Jahren untersucht, ob mRNA-Impfungen als Therapie gegen Krebs eingesetzt werden könnten. Durch die Impfungen soll das körpereigene Immunsystem gegen Krebs aktiviert werden. Krebs entsteht aus unseren eigenen Körperbausteinen, den Zellen. Verändern diese sich bösartig, ändern sie auch ihr Aussehen. Denn fast alle Körperzellen zeigen auf ihrer Oberfläche, was in ihrem Inneren vor sich geht. Das können Sie sich ähnlich wie ein Schaufenster eines Kleidungsgeschäfts vorstellen: Die kleinen Körperbausteine präsentieren Teile aus ihrem Inneren an Schaufensterpuppen. Zellen, die mit Krankheitserregern infiziert oder bösartig verändert sind, haben ein ungewöhnliches Sortiment. Sie werden deshalb vom Immunsystem erkannt.
Leider sind diese Vorgänge tatsächlich viel komplizierter und funktionieren aus verschiedenen Gründen nicht immer. Krebszellen entwickeln viele Wege, um sich vor dem Immunsystem zu schützen. Seit langer Zeit versuchen Forschende weltweit, die natürliche Krebsabwehr des Körpers zu unterstützen. Auf diese Weise sind unter anderem so genannte Immuntherapien entstanden.
mRNA liefert Bauplan für Arbeiter der Zelle
In klinischen Studien werden im Moment therapeutische mRNA-Impfungen gegen Krebs untersucht. Sie sind noch keine etablierten Therapien und müssen erst noch unter Beweis stellen, dass sie wirksam und sicher sind. Jedoch ist die Technologie sehr vielversprechend.
Um verstehen zu können, wie sie funktionieren, hilft es, noch ein bisschen mehr über die Zellen des Körpers zu wissen: In Zellen müssen verschiedenste wichtige Aufgaben erledigt werden, zum Beispiel muss Sauerstoff transportiert oder Nährstoffe in Energie umgewandelt werden. Diese Arbeit erledigen Proteine. Ihre Bauanleitung ist in unserer DNA verschlüsselt und sehr kostbar für die Zellen. Sie liegt deshalb sicher verschlossen in einer Art Tresor, dem Zellkern. Sollen in einer Zelle neue Proteine hergestellt werden, wird eine Kopie der wertvollen Bauanleitung angefertigt, die den sicheren Zellkern verlassen kann. Bei der Kopie handelt es sich um so genannte messenger-RNA – die mRNA. Sie wird im Zellinneren in die Proteine übersetzt, die benötigt werden.
mRNA-Impfstoffe sollen das Immunsystem scharf gegen Krebszellen machen
Fast alle Zellen zeigen kleine Stückchen der Proteine aus ihrem Inneren auf ihrer Oberfläche. Dadurch erkennen andere Zellen (speziell Immunzellen) von außen, was in ihnen vor sich geht. Krebs entsteht durch Veränderungen im Erbgut, durch diese Änderung im Bauplan werden dann auch andere Proteine gebildet. Stückchen dieser veränderten Proteine, so genannte Neoantigene, zeigen Krebszellen auf ihrer Oberfläche – also im Schaufenster. Immunzellen können sie als fremd erkennen.
Und genau hier setzen therapeutische mRNA-Impfungen gegen Krebs an. Sie sollen das Immunsystem gegen die veränderten Proteinstrukturen auf Krebszellen scharfmachen. Grob vereinfacht funktionieren sie folgendermaßen: Einer Patientin oder einem Patienten wird ein Stück Tumormaterial entnommen. Wissenschaftler untersuchen dann die Erbgutveränderungen und überlegen, welche davon zu besonders auffälligen Proteinen auf den Zellen führen. Dann stellen sie im Labor mRNAs her, die den Bauplan für Teile der veränderten Krebsproteine tragen. Es gibt auch mRNA-Impfungen, die den Bauplan für Proteinstückchen enthalten, die in bestimmten Krebszellen häufig vorkommen. Sie müssen nicht individuell angepasst werden.
Wird nun ein Mensch mit einem mRNA-Vakzin geimpft, nehmen gesunde Körperzellen, vor allem so genannte antigenpräsentierende Zellen die mRNA auf. Im Zellinneren dient sie dann als Bauanleitung zur Proteinherstellung. Da die verimpften mRNAs nur den Bauplan für nicht funktionsfähige Teile der Krebsproteine enthalten, schaden sie der Zelle nicht und können keinen Krebs auslösen. Die veränderten Proteinstückchen werden dann an den Schaufensterpuppen an der Zelloberfläche ausgestellt und sind für das Immunsystem als fremd erkennbar. Dadurch, dass nach der Impfung plötzlich viele Zellen die veränderten Strukturen an ihrer Oberfläche tragen, werden Immunzellen besonders auf diese Merkmale aufmerksam gemacht. Das Ziel ist, dass die Immunzellen nun im Körper ausschwirren und alle Zellen zerstören, die diese Merkmale tragen.
Die Nebenwirkungen fallen im Idealfall dann ähnlich aus wie bei gewöhnlichen Impfungen. Schwere Nebenwirkungen wie etwa nach einer Chemotherapie wären deutlich seltener. Die mRNAs werden in den aufnehmenden Zellen schnell wieder abgebaut und können dem eigentlichen Erbgut, der DNA, nichts anhaben.
Aktuelle Studienergebnisse sind viel versprechend
Wie gut therapeutische mRNA-Impfungen gegen Krebs im Menschen tatsächlich funktionieren, muss noch weiter erforscht werden. Aktuell laufen weltweit einige Studien, in denen solche Therapien untersucht werden. Dass die Kombination einer wie oben erklärt individualisierten mRNA-Impfung mit einer Immuntherapie die Zeit bis zum Rückfall der Erkrankung bei Patienten mit fortgeschrittenem Melanom verlängern konnte, berichteten kürzlich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Kongress der amerikanischen Gesellschaft für Krebsforschung.
In einer anderen Studie mit Patientinnen und Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs erhielt eine Gruppe nach einer Operation nur eine klassische Chemotherapie und die andere Gruppe eine Chemotherapie mit Immuntherapie und individualisierter mRNA-Impfung. Durch die Impfung entstand eine Vielzahl von Immunzellen, die bestimmte Oberflächenmerkmale des Bauchspeicheldrüsenkrebses erkennen konnten.
Dass die Impfungen in diesen Studien mit Immuntherapien kombiniert werden, hat einen einfachen Grund: Immuntherapien blockieren Stoppschilder, die Krebszellen nutzen, um sich vor dem Immunsystem zu schützen. Wird gleichzeitig die Bremse des Immunsystems gelöst und auf bestimmte Oberflächenmerkmale von Krebszellen aufmerksam gemacht, könnte das zu einer besonders starken Immunreaktion führen. Es gibt allerdings auch Studien, in denen therapeutische mRNA-Impfungen ohne Immuntherapie getestet werden. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob therapeutische Vakzine das Potenzial haben, Standardtherapien gegen Krebs zu werden.
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