Krebs verstehen: Warum wirkt meine Krebstherapie nicht?

Wenn Menschen Krebs bekommen, ist die drängendste Frage: Welche Therapie hilft am besten? In meinem klinischen Alltag arbeite ich mit verschiedenen Behandlungsansätzen. Bei einer Chemotherapie erhalten Krebspatientinnen und -patienten beispielsweise Medikamente, die vor allem schnell wachsende Zellen angreifen und verhindern sollen, dass sie sich weiter teilen. Zielgerichtete Therapien sind auf bestimmte biologische Merkmale von Tumoren ausgerichtet, die für ihr Wachstum entscheidend sind. Immuntherapien wiederum unterstützen das Immunsystem dabei, die Krebszellen zu erkennen und zu bekämpfen. Um zu prüfen, wie gut eine bestimmte Behandlung wirkt, schicke ich die Patienten in regelmäßigen Abständen zur Computertomografie. Die Aufnahmen zeigen dann, ob die Tumoren kleiner geworden sind.
Manchmal schreitet die Krebserkrankung leider trotz Behandlung fort, vor allem wenn die Therapie schon seit längerer Zeit läuft. Manchmal schlägt sie auch von vornherein nicht an. Viele Patienten fragen dann: »Wie kann das sein, ich habe doch die Chemo bekommen?« oder »Bei der letzten CT hat man aber gesehen, dass die Therapie hilft, warum jetzt nicht mehr?«
Krebszellen können resistent sein
Ich muss ihnen dann erklären, dass der Behandlungsansatz leider nicht oder nicht mehr wirkt, weil die Krebszellen Resistenzen dagegen entwickelt haben. Tumorzellen nutzen unterschiedliche Strategien, um sich vor Medikamenten zu schützen. Manche können die Wirkstoffe der Chemotherapeutika einfach wieder aus ihrem Inneren ausschleusen – über molekulare Pumpen. Je länger eine Krebsbehandlung dauert, desto mehr solcher Pumpen stellen sie her. Und sie können sie sich sogar gegenseitig in Paketen, so genannten Exosomen, zuschicken. Andere Krebszellen verändern ihre Umgebung und nutzen das umliegende Bindegewebe oder das Immunsystem als Schutzschild. Eine weitere Strategie ist, Krebsmedikamente in ihrem Inneren so zu verstoffwechseln, dass sie wirkungslos werden.
Ein besonders trickreicher Resistenzmechanismus: Krebszellen können bei Zellteilungen neue Eigenschaften entwickeln. Sie betreiben sozusagen Evolution im Schnelldurchlauf. Dabei können sich jene Strukturen in den Zellen, auf die bestimmte Medikamente abzielen, so stark verändern, dass die Mittel nicht mehr wirken.
Auch so genannte epigenetische Veränderungen können Tumorzellen resistent machen, indem sie verhindern, dass bestimmte Teile der DNA abgelesen werden. Ist dabei beispielsweise ein Gen betroffen, das die Aufnahme eines Medikaments in die Zelle steuert, kann das Mittel nicht mehr wirken.
Therapien wirken nicht überall im Körper gleich gut
Gelegentlich sprechen nur manche Tumorherde im Körper auf eine Krebsbehandlung an. Ich erlebe es leider immer wieder, dass während einer Behandlung beispielsweise die Metastasen in der Leber zwar schrumpfen, die in der Lunge aber weiter wachsen. Dann muss ich entscheiden: Führe ich die Therapie fort oder wechsle ich die Medikamente? Solange das restliche Krebswachstum Patienten nicht akut gefährdet, kann es medizinisch vertretbar sein, die gleichen Wirkstoffe weiter zu verabreichen.
Krebszellen sprechen zudem sehr verschieden auf Therapien an, weil sie ungeheuer vielfältig sind. Selbst innerhalb eines Körpers können sie sich stark unterscheiden. Hat der Krebs gestreut, entwickeln sich die Tumorzellen an den diversen Körperstellen anders. Sie erhalten dabei neue Eigenschaften, auch wenn sie vom selben Ursprungstumor stammen.
»Tumorzellen nutzen unterschiedliche Strategien, um sich vor Medikamenten zu schützen«
Zudem beeinflusst die Menge an Krebszellen im Körper den Behandlungserfolg. Ist ein Tumor bereits fortgeschritten oder metastasiert, lässt er sich mit Medikamenten leider oftmals nicht mehr heilen. Denn selbst wenn nur einzelne Krebszellen Resistenzen entwickeln und die Therapie überstehen, können sie sich vermehren, so dass sich der Krebs erneut ausbreitet.
Kombinationstherapien schützen vor Resistenzen
Die meisten meiner Patienten bekommen nicht nur ein einziges Krebsmedikament, sondern mehrere. Oft sind es zwei oder drei Chemotherapeutika, manche erhalten zusätzlich zielgerichtete Medikamente oder Immuntherapien. Die Mittel greifen gleichzeitig verschiedene Schwachstellen der Krebszellen an, um Resistenzen vorzubeugen. Auch kurze Abstände zwischen Chemotherapien und hohe Dosen können das Risiko verringern, dass Krebszellen sich an die Medikamente anpassen. Vor allem einige Formen von Blutkrebs und bestimmte Tumorerkrankungen in frühen Stadien lassen sich so effektiv behandeln.
Wissenschaftler versuchen genau zu verstehen, wie Krebszellen gegen Medikamente resistent werden, um diese Mechanismen gezielt zu stören. Eine Idee ist, Medikamente mit Wirkstoffen zu kombinieren, die Resistenzmechanismen aufheben. Andere Fachleute entwickeln Systeme, mit denen man vorab testen kann, ob ein Patient wirklich von einem bestimmten Medikament profitieren wird. So ließen sich unwirksame Therapien und unnötige Nebenwirkungen künftig vermeiden.
Ich hoffe sehr, dass die Forschung hier weiterkommt – und ich meinen Patienten seltener die Nachricht überbringen muss, dass eine Krebsbehandlung nicht mehr wirkt.
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