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Grams' Sprechstunde: Kuschel-Masern gibt es nicht

Die Masern gehören auch in Deutschland ausgerottet - und es wäre so einfach. Was hält uns auf?
Impfpass

Neulich hörte ich mit den Kindern eine alte Folge »Benjamin Blümchen«: Der arme sprechende Elefant bekam die Masern. Die Masern hören sich in der ganzen Folge irgendwie total niedlich an: Man kriegt ein paar lustige rote Punkte, die sich auch mit Spucke nicht abwischen lassen, ist zwei bis drei Wöchelchen krank, wird schön gepflegt – darf allerdings keine Zuckerstückchen essen! – und ist ein bisschen müde. Und irgendwie habe ich mich über dieses Bild geärgert. Denn offensichtlich denken immer noch viel zu viele Menschen über Masern genau wie früher einmal Benjamin Blümchen: Es ist alles nicht so schlimm. Früher, sagen zu viele, haben wir das doch auch überlebt, als es noch keine Impfungen gab! Wir waren halt ein bisschen krank, haben uns dann ein wenig abgeschlagen ins Bett gelegt, zwei, drei Wochen Ruhe, vielleicht musste der Raum verdunkelt werden, vielleicht gab es ein bisschen Fieber. Aber sonst: Gemütlich die Zeit vertrödeln, und danach ist alles wieder so wie vorher.

Aus diesem Blickwinkel heraus versteht man dann vielleicht nicht, warum sich jetzt alle groß aufregen, wenn die Zahl der Masern-Erkrankungen wieder steigt, und es eben doch nicht gelingt, die Erreger weltweit auszurotten.

Dazu ein paar Fakten: Ungefähr 110 000 Menschen sind im Jahr an den Masern gestorben, die meisten davon waren Kinder. Ungefähr 6,7 Millionen Menschen sind weltweit erkrankt. In Deutschland ist mit circa 1000 Maserfällen die Zahl der Erkrankten fast dreimal so hoch wie noch im Jahr zuvor. Gleichzeitig sind viele kleine Kinder nicht ausreichend geimpft, und auch bei Erwachsenen fehlt oft die zweite Impfung, die erst den vollständigen Impfschutz verspricht. Der »nationale Aktionsplan zur Eliminierung der Masern« ist nicht erfüllt worden – wieder einmal nicht.

Woran liegt das? Zum einen sicher am immer noch verharmlosenden Bild von Masern, siehe Benjamin Blümchen. Zum anderen ist die Masernimpfung wahrscheinlich auch Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden. Wäre die Impfung nicht so wirksam, so würden wir im eigenen Umfeld häufiger Masernerkrankungen miterleben – und ihre möglichen Folgen bei kompliziertem und katastrophalem Verlauf: Tod, schwere Gehirnhautentzündung, Lähmungen, Behinderungen, Lungenentzündung, Mittelohrentzündung und schwere Hörstörungen, etcpp. Sieht man das nie, kann man sich leicht in Sicherheit wiegen, vergessen, unsere Kinder zu schützen (und nebenbei alle anderen mit, die nicht geimpft werden können). Stattdessen impft man nicht, oder nicht vollständig – und trägt damit zur weiteren Verbreitung des Virus bei.

Die Masern sind eine höchst ansteckende, bisweilen tödlich verlaufende Erkrankung. Etwa ein Viertel der Erkrankten muss im Krankenhaus behandelt werden – und kann nicht kuschelig zu Hause im Bett liegen. Auch in der Benjamin Blümchen Folge stecken sich schließlich der Elefant selbst und sogar der Sprecher des Hörspiels an. Eigentlich ein Sinnbild dafür, wie ansteckend die Krankheit wirklich ist. Denn kommt eine ungeschützte Person mit dem Masernvirus in Kontakt, wird sie zu 99 Prozent an den Masern erkranken – also eigentlich immer. Bei den Masern handelt es sich definitiv nicht um eine harmlose Kinderkrankheit, wie man das früher eben dachte. Man kann daran immer noch sterben! Und etwa jedes tausendste erkrankte Kind entwickelt eine Masern-Enzephalitis. Die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ist eine gefürchtete Spätkomplikation nach Maserninfektion. Diese Entzündung des Gehirns hinterlässt bleibende Schäden, schwere Behinderungen und führt unweigerlich zum frühen Tod. Schlimm ist auch, dass die Ansteckungsgefahr besteht bereits ein bis zwei Tage vor dem Auftreten der typischen ersten Symptome besteht. Hier können also Ungeimpfte bereits unbemerkt angesteckt werden!

Wirklich harte Impfgegner sind zum Glück weiterhin nur zwei bis vier Prozent der Bevölkerung. Da eine notwendige Durchimpfungsrate von 95 Prozent, diese Komplettverweigerer durchaus tragen könnte, ist es an uns allen anderen, die Impflücken zu schließen. Dann sind nicht nur wir selbst vor dem Virus geschützt, wir schützen damit auch andere, die aus medizinischen oder persönlichen Gründen nicht geimpft werden können, wie Krebserkrankte, Kleinstkinder und Immunsupprimierte. Immerhin: In 37 von 53 europäischen Staaten ist es gelungen, die Masern auszurotten. Das geht eben, wenn genügend Menschen geschützt sind, denn das Virus kann sich nur von Mensch zu Mensch verbreiten – kommt es zu selten durch, so stirbt es aus.

Also: Hopp, schnell noch mal in den eigenen Impfpass gucken und gegebenenfalls die zweite Impfung abholen! Bei unseren Kindern sollten wir darauf achten, dass die zweite Impfung möglichst vor dem zweiten Geburtstag erfolgt. Und die Gelegenheit sich gemütlich ins Bett zu kuscheln, bietet die Jahreszeit ja ganz risikofrei. Von den vielen Keksen dabei mal abgesehen.

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