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Rodung des Hambacher Forstes: Legal, aber nicht legitim

Der feine Unterschied zwischen legal und legitim - er könnte in der Auseinandersetzung um die Rodung des Hambacher Walds nicht größer sein. Zwar bewegen sich der Energiekonzern RWE und die nordrhein-westfälische Landesregierung noch im gesetzlichen Rahmen, doch legitim ist ihr Handeln längst nicht mehr. Das Beharren der beiden Akteure, die vor über 40 Jahren eingeschlagene Route nicht zu verlassen, verstößt angesichts der Heißzeitstudie gegen jede ökologische und ökonomische Vernunft.
Abbau von Braunkohle im Rheinischen Revier

Es ist eigentlich nur noch ein kleiner Streifen Wald, der entlang der Abbruchkante des Hambacher Tagebaus noch die Stellung hält. Vom Hitzesommer ist auch er ausgetrocknet: Gelbe Spätsommerblätter liegen am Boden. Das dünne Waldband von gerade einmal 200 Hektar ist der Rest eines ursprünglich mehr als 5000 Hektar großen Waldgebiets, das Stück für Stück für den Abbau des denkbar schmutzigsten Energieträgers gerodet wurde: der Braunkohle.

Der Hambacher Wald ist binnen weniger Tage nicht nur lokal, sondern sogar international zum Symbol für eine unentschlossene, wenn nicht sogar tragische Klimapolitik Deutschlands geworden. In der jüngsten Auseinandersetzung um die Rodung des letzten Rests des Hambacher Forsts fallen rasch jede Menge Widersprüche auf – zum Beispiel die Behauptung, dass die Kohle unter dem Forst einen beträchtlichen Teil der nordrhein-westfälischen Energieversorgung abdecken würde: So sollen jährlich im Tagebau Hambach rund 40 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert werden, mit denen der Energiekonzern RWE 22 bis 25 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugen will. Damit werde rund 15 Prozent des Strombedarfs in NRW abgedeckt, ist etwa bei »Spiegel Online« oder dem »Handelsblatt« zu lesen.

Das ist zwar rechnerisch richtig, doch das bedeutet nicht, dass die Kohle unter dem Wald tatsächlich benötigt wird. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) weist auf eine aktuelle Studie hin, an der sie mitwirkte: Demnach ist die Versorgungssicherheit im deutschen und europäischen Stromsystem auch bei einem beschleunigten Kohleausstieg weiterhin gewährleistet. Deshalb sei die Nutzung des Hambacher Forsts energiewirtschaftlich nicht für die Versorgungssicherheit notwendig. Auch müssten für den Tagebau Garzweiler II fünf Dörfer nicht mehr dem Tagebau weichen. In der Studie heißt es: »Der Braunkohletagebau in Hambach beschränkt sich in dem schnellen Ausstiegspfad auf 230 Millionen Tonnen, insbesondere für die Kraftwerke Neurath und Niederaußem. Durch die Verringerung der benötigten Kohlemenge könnte auch auf die Rodung des wegen Naturschutzes schützenswerten Hambacher Waldes verzichtet werden.«

Auch das Timing der Räumungsarbeiten irritiert: Mitte Oktober wird das Oberverwaltungsgericht entscheiden, ob der Wald aus Naturschutzgründen erhalten werden muss. Die DIW-Studie führt an, dass der Hambacher Wald alle Kriterien erfülle, um nach der EU-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat ins ökologische Netz »Natura 2000« aufgenommen zu werden. Er besteht nämlich teilweise aus dem naturschutzrechtlich besonders wertvollen Maiglöckchen-Stieleichen-Hainbuchenwald, in dem mehr als 100 Vogelarten, 10 Fledermausarten, Amphibien und Haselmäuse vorkommen. Diese Vielfalt gebe es nur noch in wenigen der ältesten Wälder in Mitteleuropa.

Protest im Hambacher Forst | Der Hambacher Forst entzweit die deutsche Zivilgesellschaft. Viele Menschen können nicht nachvollziehen, dass der Wald für den Braunkohleabbau weichen soll.

Genau einen Monat vor der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aber gab das nordrhein-westfälische Innenministerium den Räumbefehl: 51 Baumhäuser, die Aktivisten in den vergangenen Jahren quer durch den Wald aufgebaut haben, sollen von der Polizei in teils lebensgefährlichen Aktionen »aus Brandschutzgründen« geräumt werden. Das NRW-Bauministerium argumentierte, dass unter anderem Rettungsleitern fehlten. Nicht nur für die Baumbesetzer, auch für die Polizeigewerkschaften war das ein wenig überzeugendes Argument. Sie forderten die Landesregierung und RWE auf, die Räumung so lange zu vertagen, bis eine politische Lösung im Rahmen der Kohlekommission gefunden ist. Sie soll bis Ende des Jahres einen Plan für den Kohleausstieg in Deutschland erarbeiten.

Dies führt zur nächsten Frage: Warum geht RWE in die Konfrontation? Die bereits erwähnte DIW-Studie kommt zu dem Schluss, dass Nordrhein-Westfalen mit zirka 140 Millionen Tonnen Kohlendioxid »der mit Abstand größte CO2-Emittent« unter den Bundesländern ist. Außerdem stellt sie fest, dass nur mit der Reduzierung der Braunkohlekraftwerke in Deutschland das sektorale Klimaschutzziel für 2020 sowie für 2030 zu erreichen ist. Bei einem schnellen Ausstieg dürften nur noch die zwei modernsten Blöcke in Niederaußem bis 2030 betrieben werden.

Ist die Politik RWE ausgeliefert?

Ohne die Kooperation von RWE hat Deutschlands Klimapolitik ein Problem. Vermutlich geht es dem Konzern darum, die Kosten für den schnellen Kohleausstieg mit einer harten Haltung in Hambach in die Höhe zu treiben. Dass die aktuellen Räumungsarbeiten Teil des Verhandlungskalküls sind, legen auch ein gestern von Greenpeace veröffentlichtes Rechtsgutachten und eine fachtechnische Analyse nahe. Demnach könnte der Betrieb im Hambacher Tagebau in diesem Jahr durchaus noch ohne Rodung fortgeführt werden.

Einen Preis nannte RWE-Konzernchef Martin Schmitz vergangenen Donnerstag im ZDF: Würde der Wald stehen bleiben, würde das für sein Unternehmen einen Verlust von vier bis fünf Milliarden Euro verursachen. Vier bis fünf Milliarden Euro unter anderem für Stabilisierungsmaßnahmen der Abbruchkante – und für die Nichtverwertung eines Energieträgers, der für die Versorgungssicherheit des Landes nicht mehr notwendig ist. Der aber gleichzeitig dafür sorgt, dass die Braunkohlekraftwerke in NRW zu den größten Kohlendioxidproduzenten gehören.

Die von Schmitz genannten Verluste gehen auch von einem bestimmten zu erzielenden Gewinn aus. Wie der Kohlepreis sich in den nächsten Jahren entwickeln wird, lässt sich aber angesichts der rasant fallenden Preise für regenerative Energien nicht sagen. Eine aktuelle Untersuchung namens »2020 Vision«, die auf der Global-Climate-Action-Konferenz in San Francisco vorgestellt wurde, geht davon aus, dass der Preisverfall fossiler Energien weitergeht. Bereits 2020 würden Solar- und Windkraft in allen Weltregionen billiger sein als fossile Brennstoffe.

Außerdem ist in Investorenkreisen zunehmend von der »Carbon Bubble« die Rede. Wenn immer mehr Investoren den Energiekonzernen den Rücken zuwenden, die noch auf fossile Energieträger setzen, dann implodiert das Geschäft möglicherweise früher, als den Verhandlern in der Kohlekommission lieb ist. Die RWE-Aktien jedenfalls fallen seit Beginn der Räumungsarbeiten – entgegen dem allgemeinen DAX-Trend. Ob ein direkter Zusammenhang besteht, ist aber unklar.

Wann reagiert endlich die Politik?

Darüber hinaus dreht sich der Konflikt um die Frage, wie schnell und wie entschlossen Politiker auf die Klimakrise reagieren wollen. Welche Priorität räumen die Parteien der Energiewende und dem Klimaschutz ein? Wie schnell können sie Kompromisse schließen, wenn sich die Haltung der Bevölkerung zu dem Thema verändert? Die Förderungsgenehmigung für das Hambacher Loch hat der Konzern beispielsweise bereits seit 1977. Noch beruft sich die Politik auf bestehende Genehmigungen und alte Leitentscheidungen, obgleich sich die Vorzeichen seit damals drastisch geändert haben. Denn seit zwei Jahren gibt es den Klimavertrag von Paris und damit das Versprechen der Industrienationen »so bald wie möglich« Klimaschutzmaßnahmen einzuleiten. Das beinhaltet nicht nur die Förderung von CO2-neutralen Energieträgern, sondern auch das schnellstmögliche Abschalten von schmutzigen Kraftwerken.

Die Kohlekommission sucht nun nach einem sozialverträglichen Ende der Braunkohleförderung und -verarbeitung, die in Nordrhein-Westfalen heute laut DIW nur noch 8900 Menschen beschäftigt – ehemals waren es 26 400. Dagegen steht, dass RWE mitverantwortlich dafür ist, dass Deutschland die Klimaziele im Jahr 2020 reißt. Die Politiker müssten hier also im Sinn des großen Gemeinwohls handeln. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen stellt sich hinter die Geschäftsinteressen von RWE, anstatt Gemeinwohlinteressen zu vertreten. Es ist zwar legal, sich um einen großen Konzern zu kümmern, der bereits über alle erforderlichen Genehmigungen verfügt. Aber mit Blick auf die künftigen Generationen ist das nicht mehr legitim.

Schon die nächste Generation wird mit katastrophalen Folgen leben müssen, wenn das Zwei-Grad-Ziel zum Klimaschutz nicht erreicht wird. Eine aktuelle Studie des norwegischen Technologiekonzerns DNV GL weist darauf hin, dass selbst bei einem optimistischen Szenario mit einem Temperaturanstieg von 2,6 Grad Celsius zu rechnen ist, andere Studien rechnen mit mindestens 3,2 Grad Celsius. Die Vereinten Nationen warnen deshalb längst davor, dass viele Metropolen entlang der Küsten bei einem Temperaturanstieg um drei Grad Celsius wegen steigender Meeresspiegel nicht mehr bewohnbar sein werden.

Nach dem Jahrhundertsommer 2018 mit seiner extremen Dürre und mehreren Hitzewellen sowie der alarmierenden Heißzeitstudie sind viel mehr Menschen für das Thema Klimawandel sensibilisiert. Die Bauern fordern Milliardenhilfen für massive Ernteausfälle, ohne sie auch nur annähernd bekommen zu können. Möglicherweise bleiben uns nur wenige Jahre, um ein Abgleiten in eine Heißzeit noch abzuwenden. Planungen, die bis 2030 oder 2050 reichen, wären demnach bereits obsolet. Angesichts des engen Zeitrahmens sinkt das Verständnis in der Bevölkerung für ein weiteres politisches Taktieren: Vergangenen Donnerstag, am 20. September, etwa übergaben Vertreter der Bürgerbewegung Campact sowie der Umweltverbände Greenpeace und BUND mehr als 500 000 Unterschriften von Bürgern für den Erhalt des Hambacher Forstes der nordrhein-westfälischen Umweltministerin Ursula Heinen-Esser. Sie waren in einem Zeitraum von nur drei Wochen gesammelt worden. Dabei betonte Tina Seibert von der Jugendorganisation des BUND, dass viele junge Menschen nicht verstehen, dass die Politik angesichts des Klimawandels nicht konsequent genug handelt.

Der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber sagte kürzlich der »Berliner Zeitung«, dass seine Hoffnung geschwunden sei, dass Politiker auf die Klimabedrohung angemessen reagieren können. Die lineare Erzählung, wonach Politiker einfach den Expertenempfehlungen folgen können, funktioniere nicht. Dagegen würden »ganz viele bunte, chaotische, nichtlineare Dinge« in der Gesellschaft immer wieder Hoffnung geben: »Es gibt fulminante technische Entwicklungen bei den erneuerbaren Energien. Es gibt viele zivilgesellschaftliche Bewegungen wie das Divestment, also das Abziehen des Kapitals aus den fossilen Brennstoffen, oder die Proteste gegen die unverantwortliche Weiternutzung der Kohle.«

Insofern könnte der Hambacher Wald tatsächlich zum Fanal für einen raschen Ausstieg aus den schmutzigen fossilen Energieträgern werden. Die Entscheidung wird dabei nicht von oben getroffen, sondern von verschiedenen Bewegungen »von unten« erzwungen.

Der Artikel erschien ursprünglich bei den »Riffreportern«.

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