Star-Bugs – die Kleine-Tiere-Kolumne: Adonis am Frühlingsteich

Wenn die Sonne Anfang April wieder an Kraft gewinnt und das schmutzig gelbe Welk von den Teichrändern vertreibt, machen sich Libellen bereit für den Schlupf. Eine der ersten, die aus Teichen und kleinen Bächen herauskrabbelt, ist die Frühe Adonislibelle (Pyrrhosoma nymphula). »Mitte April wird man sie überall sehen können«, sagt Sara Schloemer vom Arbeitskreis Libellen Nordrhein-Westfalen, in dem sich Menschen zusammengeschlossen haben, die ehrenamtlich diese Fluginsekten erforschen und schützen. Die Art gehört zu den Kleinlibellen, die bei der Vermehrung auf Masse setzen. »Da kann man manchmal Hunderte an einem Kleingewässer sehen«, sagt die Fachfrau.
Die Frühe Adonislibelle gehört zu einer Insektengruppe, die einige speziellen Merkmale entwickelt und bewahrt hat. Die Vorfahren der heutigen Libellen waren vor 200 bis 300 Millionen Jahren die ersten Insekten, die fliegen konnten. Ihre Entwicklung vom Ei bis zum ausgewachsenen Tier verläuft etwas anders, als man das von den evolutionär jüngeren großen Gruppen wie Fliegen, Käfern, Bienen oder Schmetterlingen kennt.
Bevor die ausgewachsenen Adonislibellen wie kleine rote Pfeile durch die Luft schießen, verbringen die Larven zwei Jahre unter Wasser – eine lebensgefährliche Zeit: Von den Embryonen in den 1500 Eiern, die ein einzelnes Weibchen ablegt, erreichen gerade einmal fünf bis zwölf das Erwachsenenstadium.
Zwei Jahre Jugend unter Wasser
So ein Ei ist ein knapp einen Millimeter langer Zylinder. Daraus schlüpft eine so genannte Prolarve, ein Vorstadium, das zu den Besonderheiten der Libellen gehört. Es sieht ganz anders aus als die späteren Larven, kann sich noch nicht richtig bewegen, und schon nach Sekunden bis einer Stunde häutet sich die Prolarve zum ersten eigentlichen Larvenstadium.
Anfangs verstecken sich die winzigen Larven zwischen Wasserpflanzen. Später ziehen sie auf den Grund um, zwischen die Pflanzenwurzeln oder in altes Laub, das hinabgesunken ist. Die Larven dieser Libellenart sind eher träge. Sie lauern Beutetieren auf, statt ihnen nachzustellen. Wie die Larven aller Libellen – zweite Eigenheit – erlegen sie ihre Beute mit Hilfe einer Fangmaske. Die Larven haben die Zangen ihres Unterkiefers zu zwei Armen mit scharfen Haken an den Spitzen umgebaut, die auf der Lauer zusammengelegt unter ihrem Kopf ruhen. Schon die Larven haben riesige Augen, mit denen sie Beute aufspüren. Aber auch im Dunkeln erwischen sie Planktonkrebse und Zuckmückenlarven. Dann orientieren sie sich über ihre Fühler. Nähert sich ein Beutetier, lassen sie ihre Fangmaske blitzschnell nach vorn schnappen.
Superflieger
Libellen (Odonata) sind besondere Insekten. Die Evolution hat sie zu perfekten Jagdfliegern entwickelt. Da sind erst einmal die Sinnesorgane: 80 Prozent ihres Gehirns nutzen die Tiere, um die visuellen Informationen zu verarbeiten, die ihre riesigen Augen beim Flug erfassen. Sie können so gut sehen, dass sie den Malaisefallen einfach ausweichen, wie die ehrenamtlichen Forscher des Entomologischen Vereins Krefeld sie für ihre Studien benutzen. Die Antennen biegen sich im Wind und messen so die Fluggeschwindigkeit. Bei der Plattbauchlibelle wurde gezeigt, dass die Antennen außerdem Sinneszellen für Feuchte, Trockenheit, Wärme und Geruchsstoffe enthält. Auch physisch sind Libellen ganz fürs Fliegen ausgelegt: Die Flugmuskulatur in ihrem Brustsegment macht allein die Hälfte ihres Körpergewichts aus.
Libellen sind urtümlichere Insekten als die jüngeren großen Gruppen Fliegen, Bienen und Co. Diese so genannten holometabolen Insekten sind evolutionär jünger und vollziehen die finale Verwandlung von der Larve zum ausgewachsenen Insekt, der Imago, in einer Puppenhülle. Libellen hingegen gehören zu den hemimetabolen Insekten. Sie schlüpfen als fertige Adulte direkt aus dem letzten Larvenstadium. Sie sind dann noch nicht geschlechtsreif, sondern müssen ein paar Wochen reifen.
Jägerin und Gejagte
Im ersten Jahr häuten sich die Larven der Adonislibelle fünfmal. Im zweiten Jahr weitere sechs Mal. Sie verteidigen ihr Jagdrevier nicht nur gegen Artgenossen, sondern fressen sie auch. Und dienen ihrerseits anderen Libellenarten (und Fischen) als Futter. Wo Platz ist, gehen sich die Libellenarten allerdings gegenseitig aus dem Weg. Die jungen Larven etwa verbringen den Sommer eher in der Mitte eines Weihers, im Frühherbst wandern sie an den Rand. Vor dem Winter des zweiten Jahres erreichen die Larven wie viele andere Insekten das letzte Stadium, in dem sie die Winterruhe verbringen, die Diapause.
Mitte April des darauf folgenden Jahres ist es dann so weit: Ist das Wetter schön genug, krabbeln die Larven einige Zentimeter an einer Pflanze hinauf und brechen die braune Larvenhülle auf: eine gefährliche Zeit für die Tiere, weil sie Ameisen, Spinnen und Vögeln schutzlos ausgeliefert sind. Die fertigen Männchen der Adonislibellen sind etwa dreieinhalb Zentimeter lang und leuchtend rot, mit schwarzen Beinen. Auch die Augen sind rot, die Mundpartie ist gelb. Beide Teile des Gesichts tragen schwarze Querstreifen. »Das sieht fantastisch aus«, findet Sara Schloemer: »Im Frühjahr wirkt das umso schöner, wenn man nach Farben ausgehungert ist.« Die Weibchen sind etwas matter und zeigen mehr Schwarz.
Dieses Rot hat der Biologin auf Anhieb den Kopf verdreht. Denn die Frühe Adonislibelle war eine der ersten, die sie auf einer Uni-Exkursion angetroffen hat, erzählt sie. Eigentlich ging es um den Biber (Castor fiber). Anfang der 1980er Jahre siedelten die Landesforsten Rheinland in der Nordeifel drei Biberpaare an. Heute haben ihre Nachkommen die Rur und ihre Nebenbäche besiedelt, was positive Folgen für andere Lebewesen hatte (siehe »Biber«).
Wer die Frühe Adonislibelle beobachten möchte, sollte sich Zeit nehmen, rät Sara Schloemer. Kleine Teiche, aber auch Bäche, Wiesen- oder Moorgräben bieten gute Gelegenheiten. Die Insekten brauchen offenes Wasser sowie genügend Vegetation am Rand. Oft ist ein günstiger Moment das Schlüpfen. Das geschieht meist in den frühen Vormittagsstunden und dauert ein bis zwei Stunden. Zuerst härten ihre Flügel; direkt danach müssen die ausgewachsenen Libellen reifen. »Dazu verlassen sie das Gewässer für zwei, drei Wochen und durchstreifen die Umgebung«, sagt Schloemer. In dieser Zeit bilden die Adonislibellen ihre knalligen Farben und werden geschlechtsreif.
Biber
Biber helfen der Natur in ganz vielfältiger Weise. Sie mildern Auswirkungen der Klimakrise ab und fördern die Artenvielfalt, auch die der Libellen. Das hat Sara Schloemer in ihrer Diplomarbeit gezeigt. Sie hat die schmalen, bewaldeten Täler der Nordeifel untersucht. An Stellen ohne Bibereinfluss hat die Forscherin nur einzelne Libellenarten gefunden. Pyrrhosoma nymphula war dabei; ebenso die Zweigestreifte Quelljungfer (Cordulegaster boltonii).
Wenn die Biber kleine Fließgewässer aufstauen, also in stehende Gewässer verwandeln, dann verschwinden Arten, die eigentlich Fließgewässer bevorzugen. Dafür kommen Arten hinzu, die stehende Gewässer brauchen. Diese Hypothese stellte sich als falsch heraus. Auch die Fließgewässerarten profitierten. Die Zweigestreifte Quelljungfer wies Schloemer häufiger nach als ohne Biber. Es kamen sogar noch zwei weitere Arten mit Vorliebe für diese Art Lebensraum hinzu: die Gebänderte Prachtlibelle (Calopteryx splendens) und die Blauflügel-Prachlibelle (Calopteryx virgo).
Insgesamt zählte sie an einer Stelle, an der die Biber schon lange aktiv waren, 28 Libellenarten: fast zehnmal so viele wie in den Vergleichsarealen. Das waren Pionierarten wie der Plattbauch (Libellula depressa), aber auch hoch spezialisierte Arten wie die Torf-Mosaikjungfer (Aeshna juncea) und die eher seltene Zarte Rubinjungfer (Ceriagrion tenellum), die beide eigentlich Moorgewässer vorziehen. Die Rubinjungfer steht in Deutschland auf der Vorwarnliste der Roten Liste. Sie alle konnten sich ansiedeln, weil der Biber so viele verschiedene Gewässerlebensräume entstehen lässt; er mehrt die Habitatvielfalt.
Paarung im Flug
Kehren sie zu ihrem Teich zurück, dreht sich alles um die Paarung. Dabei zeigt sich das dritte Charakteristikum der Libellen: Sie bilden ein Paarungsrad. Die Formation sieht eher wie ein Herz aus als wie ein Rad. Wenn man die Insekten fliegen sieht, glaubt man gar nicht, dass sie so flexibel sind.
Vor der eigentlichen Befruchtung pumpt das Männchen Samen in einen Behälter am Bauch. Dann greift es mit vier Haken an seinem Hinterleibsende den Nacken des Weibchens. Die Partnerin hat dort Strukturen, in die die Anhänge genau hineinpassen – wie ein Schlüssel in ein Schloss. Für eine Weile sind die beiden dann im Tandem unterwegs. Das Weibchen krümmt ihren langen Hinterleib so unter sich und dem Männchen her, dass sie mit dem Ende des Abdomens die Tasche an der Brust des Partners berühren und die Samenzellen aufnehmen kann.
Larven beobachten
Libellen sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz und der Artenschutzverordnung besonders geschützt. Wer sich also Libellenlarven genauer angucken will und sie hierfür aus dem Wasser entnehmen möchte, muss bei den Landesumweltbehörden eine Ausnahmegenehmigung beantragen.
Wer die hat, darf ganz offiziell auch die Larven vorsichtig fangen. Dazu bereitet man eine flache Schale mit Wasser aus dem Teich vor und streift dann mit einem Haarsieb vorsichtig am Gewässergrund und an Pflanzen entlang. Leert man den Fang in die Schale, kann man die alienartigen Larven und andere Wasserbewohner eine Weile beobachten. Dann muss man die Tiere wieder in den Teich entlassen.
Wer den Schlupf verpasst, kann immerhin die leere Larvenhülle entdecken. Bei vielen Libellen kann man die Art anhand dieser so genannten Exuvien bestimmen.
Bis zu 30 Minuten lang hält das Männchen das Weibchen so fest. Es begleitet seine Partnerin bei der Suche nach einer guten Stelle, um die Eier abzulegen. »Das tun sie nicht etwa aus Höflichkeit«, sagt Sara Schloemer: »Die Männchen wollen natürlich verhindern, dass andere ihnen Konkurrenz machen.« Offenbar achten die Adonislibellen darauf, ob sich in der Nähe geeigneter Pflanzen Frösche aufhalten: Zu groß wäre die Gefahr, gefressen zu werden. Das tun sie nicht immer selbst. Sehen sie ein anderes Pärchen bei der Eiablage, gesellen sie sich dazu.
Das Weibchen taucht seinen Hinterleib ins Wasser und tastet mit der Spitze, dem Stylus, die Pflanze ab. Dann sticht sie mit ihrem Eiablageapparat die Pflanze an und steckt Eier hinein. Dabei kommt es vor, dass das Weibchen oder sogar beide Partner komplett untertauchen. »Mehr als eine Stunde lang können sie unter Wasser bleiben«, so Schloemer. Wenn sie niemand stört, kann diese Prozedur bis zu zehn Minuten dauern.
Vielleicht kann man dabei zuschauen, wie sich eine große Libellenlarve das Weibchen schnappt. Nach drei bis vier Wochen ist das Leben der ausgewachsenen Adonislibellen schon wieder vorbei. Die Männchen leben etwas länger als die Weibchen und sind bis in den Juni hinein unterwegs. Doch dann ist für diese Adonisse auch die Zeit gekommen.
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