Freistetters Formelwelt: Logik im Spiegel der Geschichte

Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.
Ich bin ein großer Fan von Flohmärkten, sofern es dort alte Bücher zu finden gibt. Ich freue mich dann ganz besonders über Werke, die mit Wissenschaft zu tun haben. Die Bücher über Physik, Astronomie oder Raumfahrt sind selbstverständlich meist nicht auf dem aktuellen Stand des Wissens. Aber genau das macht ihren Reiz aus: Wenn man in einem Buch aus den 1950er Jahren liest, wie man sich damals die Zukunft der Erforschung des Sonnensystems vorgestellt hat, ist das aus heutiger Sicht durchaus interessant.
Genauso interessant ist es aber auch, in den alten Werken das zu finden, was sich mittlerweile als falsch oder unvollständig herausgestellt hat. Eine Sonderstellung nehmen allerdings die Bücher über Mathematik ein. Auch sie mögen nicht den aktuellen Stand der Erkenntnis widerspiegeln. Aber man wird in ihnen keine falschen Aussagen finden, denn wenn die Mathematik etwas als richtig erkannt hat, dann bleibt es für alle Zeit richtig.
Mein letzter Besuch bei einem Flohmarkt hat mir ein kleines Mathe-Lexikon aus dem Jahr 1973 eingebracht und gleich auf den ersten Seiten bin ich auf eine Formel gestoßen, die dort mit dem für mich seltsam klingenden Namen »Modus Barbara« bezeichnet wurde:
Was sie bedeutet, ist schnell zu erkennen. Wenn aus Aussage A die Aussage B folgt und gleichzeitig aus Aussage B die Aussage C, dann muss aus Aussage A auch zwingend die Aussage C folgen. Es handelt sich um ein klassisches Beispiel logischer Schlussfolgerung, das bis auf Aristoteles zurückgeht.
Von Barbara bis Ceralent
Die Urform in seiner Version lautet »Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Sokrates ist sterblich«. Eine Barbara ist dabei aber nirgendwo involviert. Dieser Name hat sich im Mittelalter als Merkwort für eine bestimmte Art der logischen Schlussfolgerung entwickelt. Die Details dazu sind überraschend komplex – man hat damals probiert, unterschiedliche Arten der logischen Schlussfolgerung zu klassifizieren. Jedem dieser »Modi« wurde ein Merkwort zugeordnet, bei dem die Struktur der Aussagen durch die Vokale beschrieben wird. Die drei »a« in Barbara weisen darauf hin, dass es sich um drei bejahende Aussagen handelt. Das »a« steht hier für den lateinischen Begriff »affirmo« und das Gegenteil davon wäre eine E-Aussage nach dem »e« im lateinischen Wort »nego«. Wenn man zum Beispiel die Prämissen »Kein Rechteck ist ein Kreis« und »Alle Quadrate sind Rechtecke« betrachtet und daraus die Schlussfolgerung »Kein Quadrat ist ein Kreis« zieht, dann sind der erste und dritte Satz verneinend und nur der zweite eine bejahende Aussage. Die Kombination der Vokale lautet also e, a und e – und das dieser Klasse von Schlussfolgerungen zugeordnete Merkwort ist »Celarent«.
Auch die Konsonanten in den Merkwörtern haben ihre Bedeutung, aber eine komplette Erklärung aller unterschiedlichen Modi würde definitiv den Rahmen dieser Kolumne sprengen. Mich hat die Entdeckung des Modus Barbara in diesem alten Buch aber wieder daran erinnert, wie weit die Wurzeln der Mathematik reichen. Die moderne Mathematik hat ihr Fundament in den Aussagen der symbolischen Logik. Wir haben sie benutzt, um so abstrakte Konzepte wie Zahlen oder Beweise zu definieren und Klarheit in die verwirrende Vielfalt der Konzepte zu bringen. Das mittelalterliche Merkwort im Modus Barbara steht zeitlich und symbolisch in der Mitte zwischen der Mathematik der Gegenwart und ihren formalen Anfängen in der griechischen Antike. Diese Verbindung sollte uns immer bewusst sein, wenn wir die Mathematik wirklich verstehen wollen. Und deswegen beende ich diese Kolumne mit einer – streng formal nicht ganz korrekten – Schlussfolgerung:
Alle alten Bücher über Mathematik sind toll.
Der Flohmarkt hat alte Bücher über Mathematik.
Der Flohmarkt ist toll.
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