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Hirschhausens Hirnschmalz: London liegt am Mittelmeer

Viele Menschen lässt die Erderwärmung im Alltag immer noch kalt. Eine neue Studie verdeutlicht die Folgen des Klimawandels deshalb durch die geografische Verschiebung von Städten. Sie zeigt: Paderborn könnte bald das neue Palermo werden.
Dr. Eckart von Hirschhausen

Kürzlich fand in Karlsruhe ein Kongress über Klimakommunikation statt. Da hat mich eine Aussage nachhaltig beschäftigt: »Die Wissenschaft beweist, dass es nichts bringt, den Menschen mit Wissenschaft zu kommen.« Als dann ein Video des frühen Klimaschutzpioniers Hoimar von Ditfurth von 1978 auf meiner Facebookseite tausende Menschen erreichte, dachte ich: Wenn wir seit 40 Jahren wissen, auf welche Katastrophe wir zusteuern – warum lässt uns die Erderwärmung im Alltag eigentlich immer noch so kalt? Sind Eisbären, Bangladesch und die Stratosphäre einfach zu weit weg? Geht uns das Jahr 2050 nichts mehr an? Es sind gerade mal 31 Jahre bis dahin – und die hoffe ich ehrlich gesagt noch zu erleben. Die Jüngeren unter Ihnen wohl erst recht. Also sollte es uns interessieren, wo und wie wir dann leben.

Einen originellen Ansatz liefert jetzt eine Studie, die den Klimawandel durch die geografische Verschiebung von Städten veranschaulicht. Da wird klar, wie nah uns die Überhitzung geht, wenn unsere Heimatstadt plötzlich nicht mehr dort ist, wo sie hingehört, sondern langsam, aber sicher nach Süden rückt – zumindest für Bewohner der Nordhalbkugel. Die Forscher verglichen, ob das Klima in der jeweiligen Stadt in Zukunft eher dem an einem anderen Ort ähneln wird. Und siehe da: Für die allermeisten was das der Fall.

22 Prozent der Städte bekommen voraussichtlich sogar klimatische Bedingungen, die es momentan noch nirgendwo gibt. Das wird eine heiße Kiste! In Madrid fühlt es sich dann an wie in Marrakesch, Stockholm wird zu Budapest und London zu Barcelona. Nichts gegen mediterrane Lebenskunst, von der sich die Engländer sicher etwas abschauen könnten. Doch in Barcelona ist auch nicht alles Gaudi. (Bei allem Ernst des Themas sollte man keine Gelegenheit für ein schlechtes Wortspiel ungenutzt lassen!) Wird Paderborn bald das neue Palermo?

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten. Und dummerweise liegen die großen oft an der Küste, also genau da, wo die Meeresspiegel steigen. Wenn wir den Klimakollaps nicht abwenden, verlieren hunderte Millionen Menschen ihr Zuhause. Was für ein riesiges Konfliktpotenzial! Daher ist die US-Behörde, die sich am meisten mit der Erderwärmung beschäftigt, auch das Pentagon. Was allerdings nicht verhinderte, dass die USA aus dem Pariser Abkommen aussteigen wollen. Jedenfalls Trump – viele Gouverneure zum Glück nicht.

In Demokratien zählen Mehrheiten. Und weil es viele konservative Wähler gibt, muss man die eben überzeugen, dass Klima kein Tick von linken Ökospinnern ist, sondern alle angeht. Deshalb muss Kommunikation an die Werte der Menschen anknüpfen und auf bildhafte Analogien setzen statt abstrakte Analysen. Und auf das Gefühl, mit dem Klimaschutz verteidigt man seine Heimat gegen ein »Abdriften«. Konservativ sein, heißt Bewährtes bewahren wollen. Also auch dafür sorgen, dass Westfalen nicht Italien wird. Urlaub im Süden macht schließlich auch nur Freude, wenn man wieder zurückkommen kann.

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  • Quellen

Bastin, J.-F. et al.: Understanding climate change from a global analysis of city analogues. PLoS One 14, 2019

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