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Freistetters Formelwelt: Wie verschwendet man möglichst wenig Marmor?

In der Mathematik ist es egal, wie plausibel etwas aussieht – am Ende zählt nur der strikte Beweis. Man kann aber auch für eine falsche Lösung berühmt werden.
Marmor

Gianfrancesco Malfatti war ein italienischer Mathematiker, der 1731 geboren und mit 40 Jahren Professor an der Universität Ferrara wurde. Damals war er durch eine Lösungsmethode für spezielle Gleichungen fünften Grades bekannt. Heute verbindet man seinen Namen dagegen meist mit anderen Gleichungen (sofern man seinen Namen überhaupt mit etwas verbindet; die meisten Menschen beschäftigen sich eher weniger mit italienischen Mathematikern aus dem 18. Jahrhundert), welche die Radien der drei so genannten Malfatti-Kreise beschreiben:

Es geht dabei um ein Dreieck mit den Seitenlängen a, b und c, dessen Inkreis (jener Kreis, der alle Seiten des Dreiecks von innen berührt) den Radius r hat. d, e und f sind die Abstände vom Inkreismittelpunkt zu den Ecken, die den Seiten a, b und c gegenüberliegen, und s ist die Hälfte des Umfangs des Dreiecks.

Das klingt ein wenig verwirrend, aber da es um ein geometrisches Problem geht, wird alles einfacher, wenn man es aufzeichnet. Man erhält die Malfatti-Kreise, wenn man drei Kreise so im Dreieck anordnet, dass jeder davon die beiden anderen Kreise von außen und zwei der Dreiecksseiten von innen berührt.

Malfatti-Kreise

Die Motivation hinter dieser geometrischen Aufgabe beschreibt Malfatti zu Beginn seines 1803 veröffentlichten Textes. Angenommen, man hat ein rechtwinkliges Prisma, zum Beispiel aus Marmor, und möchte daraus drei kreisförmige Zylinder herausschneiden, so dass möglichst wenig Material übrig bleibt: Wie muss man diese Zylinder anordnen und welche Radien haben sie? Diese dreidimensionale Aufgabe kann man natürlich problemlos in zwei Dimensionen übersetzen, und Malfatti war der Meinung, seine durch die drei Formeln angegebene Konstruktion wäre die Lösung dafür.

Auf den ersten Blick scheint das durchaus plausibel. Man muss ein wenig genauer hinsehen, um zu erkennen, dass es auch bessere Lösungen gibt. Wenn wir uns etwa ein sehr langes, schmales, rechtwinkliges Dreieck vorstellen, dann müssen wir nach Malfatti zwei aufeinandergestapelte kleinere Kreise ins breite Ende des Dreiecks zeichnen und einen größeren Kreis daneben, der die beiden kleinen berührt. Wir können aber auch einfach damit beginnen, den Inkreis einzuzeichnen, der das breite Ende des Dreiecks ausfüllt und dann einen etwas kleineren Kreis daneben und einen noch kleineren neben den zweiten. Die erfüllen dann nicht mehr die Bedingungen von Malfatti, bedecken aber offensichtlich eine größere Fläche des Dreiecks.

Ein gieriger Algorithmus liefert die Lösung

Das wurde 1930 mathematisch bewiesen – erstaunlicherweise hat es mehr als 100 Jahre gedauert. Noch erstaunlicher ist der 1967 von Michael Goldberg geführte Beweis, dass die Malfatti-Kreise niemals optimal sein können, sondern immer drei andere Kreise zu finden sind, die mehr Fläche abdecken. Man kann diese bestmögliche Lösung durch einen »gierigen Algorithmus« finden: Zuerst sucht man den Kreis, der im Dreieck die größtmögliche Fläche bedeckt. Dann wird der Kreis bestimmt, der in den verbleibenden Bereichen die größte Fläche einnehmen kann; auf die gleiche Weise bestimmt man den dritten Kreis. Damit findet man immer die optimale Lösung, zumindest dann, wenn man nur drei Kreise verwendet. Ob dieser gierige Algorithmus auch bei vier oder mehr Kreisen die optimale Lösung finden kann, wird zwar vermutet, ist aber unbewiesen.

Trotz seiner falschen Vermutung ist Malfattis Name heute immer noch mit dem Problem verbunden. Den Vorwurf der Marmorverschwendung muss man ihm übrigens nicht machen. Malfatti lag mit seiner Lösung nur um ein paar Prozent daneben: Wäre sein Verfahren tatsächlich zur Erzeugung von Marmorzylindern verwendet worden, wäre das bisschen Schwund kaum aufgefallen.

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