Meinung: Die neue Umweltbewegung führt in die Katastrophe
Vor 14 Jahren platzte dem berühmten Atmosphärenforscher Paul Crutzen auf einer wissenschaftlichen Konkurrenz in Mexiko frustriert das Wort Anthropozän heraus – er drückte damit seine Verzweiflung angesichts des riesigen Ausmaßes menschlicher Umweltschäden auf der Erde aus. So umfassend sei der Einfluss der Menschheit, schrieben Crutzen und seine Kollegen, dass der Planet in einer neuen geologischen Epoche angelangt wäre, die durch eine einzige, verstörende Tatsache definiert wird: Die "Beeinflussung der Umwelt durch die Menschen ist heute so umfassend geworden, dass sie mittlerweile auf einer Ebene mit den großen Kräften der Natur steht, die die Funktion der globalen Ökosysteme bestimmen".
Crutzens Behauptung wird durch zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt; alle drehen sich um die weit reichenden und langfristig nicht umkehrbaren Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. Doch so schnell sich die Bezeichnung "Anthropozän" durchsetzen konnte, so schnell revidiert so mancher dessen Bedeutung und verzerrt seine Begleiterscheinungen. Eine neue Bewegung der Ökopragmatiker hieß die Epoche sogar als Chance willkommen. Sie sammelten sich rund um das Breakthrough Institute, einem "neogrünen" Think-Tank, der von Michael Shellenberger und Ted Nordhaus gegründet wurde – den Autoren des umstrittenen Artikels "The Death of Environmentalism" im Jahr 2004. Sie streiten die Erderwärmung nicht ab. Stattdessen verharmlosen sie diese und behaupten, dass menschliche Technologie und Genialität noch jede Beschränkung der Erdökosysteme und ihre Umkipppunkte hat umschiffen können.
Die Kohlendioxidkonzentrationen in der Atmosphäre haben nun zum ersten Mal seit einer Million Jahre die Grenze von 400 parts per million (ppm) überschritten, und Klimaforscher warnen davor, dass die Vereinigten Staaten spätestens in den 2070er Jahren in backofenheißen Sommern schmoren werden. Gleichzeitig schreiben Shellenberger und Nordhaus jedoch, dass bis zum Ende des Jahrhunderts jeder von uns so wohlhabend sein werde, dass wir gesund, frei und kreativ leben können. Wir müssten, meinen sie, nicht unseren Kurs ändern, sondern sollten uns "noch bereitwilliger unserer Stärke, unserer Technik und den größeren Zusammenhängen der Modernisierung verschreiben". Der Gedankengang verspricht Absolution: Wir brauchen den derzeitigen Weg gar nicht zu überdenken. Das ist natürlich Musik in den Ohren politisch konservativer Kreise. Das Anthropozän wäre somit systemkompatibel.
Technotopische Visionen
Die technotopische Vision beruht auf dem Glauben, es sei zwar ein neues geologischen Zeitalters angebrochen, etwas Wesentliches habe sich dadurch aber nicht geändert. Die Grundidee des umgedeuteten Anthropozäns springt nahtlos von der Tatsache, dass Menschen ja schon immer ihre Umwelt verändert hätten, zur Verteidigung einer postmodernen Cybernatur unter menschlicher Kontrolle – als gäbe es keine qualitativen Unterschiede zwischen der Brandrodung in der Steinzeit und dem Versprühen von Sulfaten in der Stratosphäre, um die Erdtemperatur zu regeln.
Aus diesem Grund hat die Hypothese des respektierten Paläoklimatologen William Ruddiman, dass Anthropozän habe bereits vor 8000 Jahren mit dem Beginn der Landwirtschaft und der Abholzung begonnen, einen gewissen Charme für Ökopragmatiker. Er scheint dem Wunsch nach Bewahrung des Status quo eine wissenschaftliche Grundlage zu geben – gegen die Belege, dass der eigentliche Schuldige die aggressive, auf fossilen Brennstoffen basierende Expansion der industrialisierten Welt ist, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann.
Die Hypothese eines "frühen" Anthropozäns löst wirkungsvoll die Unterscheidung zwischen dem Holozän (das vor 11 700 Jahren begann und den Beginn der Landwirtschaft umfasst) und dem Anthropozän auf. Das ermöglicht Ökopragmatikern zu argumentieren, dass es von Natur aus nichts gibt, was eine holozäne Erde wünschenswert macht – eine moralische Behauptung, die die bewusste Schaffung einer anderen Art von Planet erlaubt. Daher finden sie Geoengineering-Techniken anziehend, die die Sonneneinstrahlung regulieren oder die chemische Zusammensetzung der Meere verändern. Mit den Worten von Erle Ellis, einem der lautstärksten Ökopragmatiker: Wir werden stolz sein auf den Planeten, den wir erschaffen." Ellis spricht vom "guten Anthropozän", einer goldenen Ära, in der wir unsere nostalgische Anhänglichkeit an von Menschenhand unberührte Natur aufgeben und die neue Epoche als eine "auf den Menschen gerichtete, reife Gelegenheit" empfangen werden.
Gefährliches Wunschdenken
Doch die Idee eines guten Anthropozäns basiert auf einer fundamentalen Fehldeutung der Wissenschaft. Sie erwächst aus dem Versagen, den gedanklichen Sprung von einem ökologischen Denken – der Wissenschaft von den Beziehungen zwischen Organismen und ihrer örtlichen Umwelt – hin zu einem Nachdenken über das gesamte Erdsystem zu machen: der Wissenschaft von der Erde als komplexes System, das mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile. Die Hypothese eines frühen Anthropozäns steht starken Belegen von Crutzen, Will Steffen und vielen anderen Forschern entgegen, nach denen wir erst mit dem Einsetzen der industriellen Revolution überhaupt einen menschlichen Einfluss auf die Funktion des kompletten Erdsystems nachweisen können.
Die revolutionäre Bedeutung der Erdsystemforschung entgeht den Ökopragmatikern. Tatsächlich bedeutet das Anbrechen eines neuen Erdzeitalters nicht nur, dass sich der menschliche Einfluss weiter auf der Erde verbreitet. Es handelt sich dabei vielmehr um eine fundamentale Verschiebung im Verhältnis zwischen uns Menschen und der Erde – mit der wir mittlerweile die großen Zyklen, die aus dem Planeten eine dynamische Einheit machen, beschleunigen, verlangsamen und durcheinanderbringen. Die Tatsache, dass die Menschheit eine neue "Naturkraft" geworden sind, macht die radikale Besonderheit des Anthropozäns aus: Wir verändern die geologische Entwicklung des Planeten. Unser Einfluss reicht mittlerweile so weit, dass der angesehene Paläoklimatologe Wally Broecker sogar noch weiter geht. Er schlägt vor, dass wir nicht nur eine kleine Epoche in der Erdgeschichte aufgeschlagen haben, sondern eine komplett neue Ära: das Anthropozoikum – es stünde gleichberechtigt in der Erdgeschichte neben der Entwicklung des vielzelligen Lebens.
Einige Leugner des Klimawandels glauben, dass nur Gott das Klima ändern könne. Im Gegensatz dazu betrachten Ökopragmatiker uns Menschen als "göttliche Art". Doch diese "Gottart" und ihre Art des Denkens werden uns sicherlich eines bescheren: eine Atmosphäre mit 500 ppm Kohlendioxid (wahrscheinlich sogar eher 700 ppm) und ein Klima, das heiß, stickig und turbulent sein wird. Wir benötigen dann sicherlich Allmacht, um diese Krise ohne Unheil zu lösen. Für diejenigen unter uns, die die konventionelle Klimaforschung bevorzugen, ist derart grenzenloser Optimismus dagegen nur eines: gefährliches Wunschdenken.
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