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Mensch und Natur: Die selbstgemachte Möwen»plage« an der Nordsee

Auf Sylt beklagen sich Menschen über Lautstärke und Schmutz durch Möwen. Dabei haben wir diese Ansiedlung gefördert, kommentiert Daniel Lingenhöhl.
Eine Möwe steht auf einem Tisch mit Speisekarten, während im Hintergrund Menschen an einem Imbissstand stehen. Die Möwe ist im Vordergrund deutlich sichtbar, während die Personen im Hintergrund unscharf sind. Der Imbissstand bietet verschiedene Speisen und Getränke an, die auf den Menüs abgebildet sind.
Möwen sind Alltag an der Nordseeküste – und sie haben sich auf uns eingestellt.

Es ist Sommerloch 2025 und damit die Zeit für mehr oder weniger nette Tiergeschichten, die am besten noch mit Urlaub verknüpft sind. In Norddeutschland schlägt daher gerade ein Zeitungsartikel hohe Wellen, in dem sich ein Touristenpaar über eine Möwenplage am Urlaubsdomizil beklagt: Die Vögel würden alles vollkoten und ihr Geschrei würde den Schlaf stören. Die Kommentarspalten unter dem Artikel und in den sozialen Medien sind (wenig überraschend) voll, »diskutiert« wird darin das Verhalten der Möwen im Großen oder der Touristen im Ganzen.

Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Möwenkolonien auf den Flachdächern von Apartmenthäusern oder Supermärkten durchaus lautstark tönen und Ausscheidungen hinterlassen. Auch ist es fraglos bekannt, dass gewitzte Möwen hungrigen Menschen den Fisch vom Brötchen nehmen oder das Eis aus der Waffel stibitzen können.

Doch damit nähern wir uns schon dem eigentlichen Ursprung dieser »Plage«: Jahrelang haben wir Menschen die Möwen an unser Essen und an unsere Lebensräume gewöhnt. Ein beliebtes Fotomotiv war und ist der Anblick, wenn Möwen anfliegen, um Menschen das dargebotene Futter aus der Hand zu schnappen. Essensreste am Strand, auf der Strandpromenade und auf der offenen Müllkippe bieten den Vögeln ein Schlaraffenland, in dem Nahrung viel einfacher zu erreichen ist, als wenn die Tiere selbst jagen oder sammeln müssten.

Dabei zeigt sich auch, wie klug die Vögel sind. Eine Studie aus Bristol dokumentierte, wie Möwen extra zu den Pausenzeiten zu Schulen flogen und dort auf die Kinder warteten, die ihre mitgebrachten Brote nicht mochten und wegwarfen – zur Freude der Tiere. In San Francisco wurde eine Möwe dabei beobachtet, wie sie regelmäßig auf einem Mülllastwagen zur örtlichen Müllkippe mitfuhr, um diese Nahrungsquelle auf bequeme Weise zu erreichen.

Ähnliches gilt für die Wahl des Nistplatzes: Wir Menschen nutzen Strände gerne für allerlei Aktivitäten – vom Sonnendbaden über Spaziergänge bis hin zum Hundeauslauf. Dabei haben wir viele Arten verdrängt, die dort niste(te)n. Manche wie die Möwen haben sich alternative Brutmöglichkeiten gesucht, die sie zuhauf auf den Flachdächern von Supermärkten oder Apartmentkomplexen fanden. Dort sind sie auch sicher vor Fressfeinden wie Füchsen oder Ratten, die Eier und Küken bedrohen. Seeadler oder Raubmöwen meiden zudem direkte Besuche menschlicher Siedlungsräume – für die Möwen also gleich ein doppelter Gewinn. Auf steilen, reetgedeckten Dächern dagegen sind die Verhältnisse für sie weniger optimal. 

Wir Menschen haben also einen guten Teil zu der Entwicklung beigetragen, über die sich nun manche beklagen; der ein oder andere verlangt sogar die Bekämpfung der Tiere. Ähnliche Beschwerden liest man beispielsweise über Schlafplätze von Krähen, fischende Kormorane oder Wildschweine, die Sportplätze umgraben. Das aber wiederum zeigt, wie sehr sich große Teile der Gesellschaft bereits von der Natur entfremdet haben: Unsere Eingriffe in die Natur drängen immer mehr Arten an den Rand, gleichzeitig fördern wir andere Spezies, die sich aus den obengenannten Gründen perfekt an unsere Lebensweise angepasst haben. Das Wissen über ökologische Zusammenhänge fehlt leider teilweise völlig. Dazu kommt, dass viele Möwenarten wie etwa die Mantelmöwe entgegen der öffentlichen Annahme sogar im Bestand abnehmen.

Wie könnte eine naturgerechte Lösung aussehen? Einfach ist sie sicher nicht: Sie erfordert ein Umdenken an vielen Stellen und umfasst Verhaltensänderungen von uns Menschen. Es beginnt damit, dass wir Möwen nicht mehr füttern sollten (was vielerorts ohnehin bereits verboten ist und mit Bußgeldern geahndet werden kann). Möwensichere Abfalleimer halten die Tiere von weggeworfenen Lebensmitteln fern, die natürlich darin entsorgt werden müssen und nicht auf der Straße oder am Strand. Die Brutplätze auf Dächern ließen sich – nach der Brutsaison! – mit Bändern sperren (bitte keine Netze, in denen sich die Tiere verheddern und qualvoll verenden). Auch der Einsatz von Falknern mit Wanderfalken böte eine Option. Dafür sollten wir der Natur an den Stränden wieder mehr Platz einräumen und Vögel ungestört nisten lassen.

Und noch ein Tipp für Menschen, die um ihr Fischbrötchen in der Hand fürchten: Starren Sie beim Verzehr potenziell räuberische Möwen direkt an. Das hält die Vögel laut einer Studie tatsächlich auf Abstand.

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