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Artenvielfalt: Mit der Politik gegen das Insektensterben?

Das Bundesumweltministerium will mit einem Aktionsprogramm Insekten besser schützen. Das ist gut, aber was daran soll neu sein - und was erreicht werden?, fragt Gunther Willinger.
Solitärbiene

Es ist eine erstaunliche Entwicklung: In weiten Teilen der Medienlandschaft verwandelten sich die Insekten in jüngster Zeit von einer Ansammlung lästiger Schädlinge und Krankheitsüberträger in schützenswerte Protagonisten der biologischen Vielfalt. Inwieweit dieses positive Bild auch schon in der Bevölkerung angekommen ist und wie nachhaltig diese Veränderung ist, bleibt abzuwarten. Das Bundesumweltministerium jedenfalls arbeitet an einem »Aktionsprogramm Insektenschutz« und hat dazu im Juni 2018 ein siebenseitiges Eckpunktepapier verfasst. Es geht um Pflanzenschutzmittel, Strukturvielfalt, extensivere und kleinräumigere Landwirtschaft, Lichtverschmutzung, Renaturierung von Lebensräumen, weniger Stickstoffüberschüsse und mehr Insektenforschung. So weit, so gut. Das Programm wird sich aber daran messen lassen müssen, welche Verbesserungen tatsächlich in die Tat umgesetzt werden und wo es bei einer reinen Wunschliste bleibt. Knackpunkt ist der politische Wille – der gesamten Bundesregierung und insbesondere des Ressorts von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner –, echte Veränderungen einzuleiten.

Es gibt viele Bereiche, in denen wir Wildbienen, Schmetterlingen und Co bessere Lebensbedingungen bieten können, ohne mehr Geld in die Hand zu nehmen. Teilweise ließe sich sogar Geld und Arbeit sparen. Etwa wenn es darum geht, wie oft auf öffentlichen Flächen und in Gärten gemäht und geschnitten wird, wo der Boden auch mal unversiegelt bleiben kann und wie oft Laubbläser und Streusalz zum Einsatz kommen. Die größte »Baustelle« für die Insekten ist aber mit Sicherheit die Landwirtschaft. Auch da fehlt es nicht am Geld, denn von den jährlich rund 60 Milliarden Euro Agrarsubventionen aus Brüssel fließen über sechs Milliarden nach Deutschland. Das Problem liegt eher in der Verteilung. Statt Landbewirtschafter mit Direktzahlungen pauschal nach Fläche zu fördern, sollten die Steuergelder gezielter für die Förderung besonders umweltfreundlicher und sozialer Arbeitsweise ausgegeben werden. Eine Neuordnung der europäischen Agrarpolitik für die Jahre 2021 bis 2027 steht gerade bevor, böte also die Chance einer Ökologisierung. Theoretisch wäre es ganz einfach: Man müsste nur dafür sorgen, dass die jährlich fünf Milliarden Euro Agrarsubventionen in Form von Direktzahlungen nicht mehr rein nach bewirtschafteter Fläche, sondern nur noch für besondere (über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehende) Leistungen für das Gemeinwohl, wie etwa Förderung der Biodiversität, Gewässerschutz, Landschaftspflege oder auch soziale Projekte gezahlt werden. Das fordern Umweltverbände seit vielen Jahren, passiert ist bislang jedoch sehr wenig. Wie die politische Realität aussieht, zeigt ein Vorschlag von EU-Haushaltskommissar Oettinger, der die durch den Brexit begründeten Kürzungen im Agrarhaushalt vor allem zu Lasten der zweiten Säule, sprich der Förderung von ländlichen Räumen und umweltschonendem Wirtschaften vornehmen wollte.

Auf dem Weg in eine umweltfreundliche Gesellschaft?

In einigen Punkten verweist das Papier auf bereits bestehende Programme wie das »Bundesprogramm biologische Vielfalt«, den »Aktionsplan Schutzgebiete« oder das Gewässerschutzprogramm »Blaues Band Deutschland«. Das legt zumindest den Verdacht nahe, dass diese Teile des »Aktionsprogramms« eher auf bereits bestehende Maßnahmen beziehungsweise Vorhaben zurückgreifen werden. Auch die Rolle der Forstwirtschaft könnte noch stärker beachtet und erforscht werden. Andererseits heißt es auch, dass national mehr Geld zur Verfügung gestellt werden soll und dass man sich für die längst überfällige ordentliche Finanzierung des europäischen Schutzgebietsnetzwerkes »Natura 2000« einsetzen will.

Das Aktionsprogramm Insektenschutz »zielt auf die zügige Umsetzung konkreter Maßnahmen«, heißt es. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass die Umweltziele der Bundesregierung weit verfehlt würden. So werden die Ziele zum Schutz der Biodiversität, zur Reduktion von Treibhausgasen oder die in der EU-Wasserrahmenrichtlinie vorgegebenen Ziele zur Gewässerqualität regelmäßig verfehlt und dann mit einem Achselzucken und einem neuen Zieltermin frisch formuliert.

Wie das Papier richtig feststellt, ist der Insektenschutz und damit der Naturschutz eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Leider hat diese Gesellschaft den Schutz ihrer natürlichen Lebensgrundlagen jahrzehntelang sträflich vernachlässigt und tut es noch. Das fängt bei der Ausbildung von ökologisch versierten Lehrern und Biologen an und zieht sich durch bis zu wichtigen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen – vom Gemeinderat bis zur Bundesregierung. Solange erfolgreiche Politik und erfolgreiches Wirtschaften nur an der Zahl der Arbeitsplätze und am Wachstum des Bruttosozialprodukts festgemacht wird, während soziale und ökologische Fragen als nettes Beiwerk betrachtet werden, solange wird es den Ökosystemen und damit den Insekten nicht grundsätzlich besser gehen.

Das soll aber nicht heißen, dass wir nun auf die messianische Ankunft eines neuen Wirtschaftssystems warten sollen. Denn der Wandel zu einer die Grenzen des Planeten berücksichtigenden Wirtschaftsweise wird nur langsam und nach und nach zu erreichen sein. Seit der Club of Rome 1972 die Grenzen des Wachstums erkannte, ist viel Zeit vergangen. Wirtschaftliche Alternativen werden seit vielen Jahren gedacht, aber bislang wenig beachtet. Das ändert sich allerdings gerade. An vorderster Front steht dabei Kate Raworth, die britische Ökonomin, die mit ihrer »Donut-Ökonomie« zeigt, dass eine echte Kreislaufwirtschaft auch in großem Stil machbar ist. Sie hat einen fundierten Plan entworfen, wohin die Reise gehen könnte, wenn wir nur wollen.

Das Aktionsprogramm zum Schutz der Insekten ist ein begrüßenswerter Baustein auf dem Weg zu einer ressourcenschonenderen Gesellschaft. Es nennt viele richtige und wichtige Punkte, auch wenn es im Detail sicher noch Diskussionsbedarf über Ausgestaltung und Gewichtung gibt. Entscheidend wird jedoch sein, inwieweit sich Politik und Gesellschaft darauf einlassen. Dass ein Wandel nötig ist, steht außer Frage. Nicht nur für das Überleben der Insekten, sondern auch für unser eigenes Wohlergehen.

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