Vorsicht, Denkfalle!: Tue Gutes – und kauf dir was davon

Es gibt einen psychologischen Bias, der in unserer onlineaffinen Zeit außerordentlich bedeutsam erscheint. Bevor ich zu den wissenschaftlichen Details komme, will ich Ihnen verraten, woran er mich erinnert: an die erstaunliche »Causa Kliemann«, die vor wenigen Jahren medial Furore machte.
Fynn Kliemann ist dieser sympathisch verstrahlte junge Mann, der erst mit Heimwerkervideos bekannt wurde, in denen allerlei schiefging, ehe er einen Bauernhof in Niedersachsen zu einer Art Kommune machte, das »Kliemannsland«. Dort arbeiteten viele andere sympathisch verstrahlte junge Leute, die Teil einer Jugendbewegung sein wollten (Grüße an alle Tocotronic-Fans!).
Fynn hatte nämlich eine Mission: Gutes tun. Gemeinnützig sein. Der Allgemeinheit was zurückgeben. Geld schien ihm nicht so wichtig zu sein; es kam und ging.
Nun begab es sich, dass Fynn in der Covid-Pandemie 2022 günstig in Südostasien produzierte Masken bestellte. Er tat das mit einem Kompagnon, um, na ja, die begehrte Ware in Deutschland als »made in Europe« zu verkaufen (nur ein Teil der angebotenen Ware stammte tatsächlich aus Europa). Worüber er mit seinem Kompagnon fröhlich hin- und herchattete.
Nehmen wir an – in dubio pro reo! –, dass dahinter keine böse Absicht steckte. Immerhin wurden die Betrugsverfahren gegen ihn und den Kompagnon 2023 gegen eine kleine Zahlung für gemeinnützige Zwecke eingestellt. Vielleicht wusste er gar nicht recht, wie er zu den asiatischen Billigmasken gekommen war, es war ja auch wirklich viel los: Vor lauter youtuben, podcasten, komponieren, Kunst machen, Dokus drehen, merchandisen, investieren, Klamotten promoten, Textilien fair produzieren, den Onlineshop wuppen … kann man schon mal den Überblick verlieren.
Ein Opfer des »Moral-licensing-Effekts«?
Wenn Fynn also eigentlich gar kein Krisenprofiteur ist, sondern es beim Gutestun bloß übertrieb, erklärt sich sein Fauxpas vielleicht so: Er fiel dem »Moral-licensing-Effekt« zum Opfer! So heißt es, wenn Menschen ihre edlen Taten – ob echte oder nur gefühlte – zum Anlass nehmen, um auch mal ordentlich zu schummeln.
In den psychologischen Experimenten, die das Phänomen erstmals systematisch erhellten, sollten Probanden an eine frei zu wählende »gute Tat« denken, zum Beispiel daran, wie sie einmal jemandem aus der Patsche geholfen oder ein gefundenes Portmonee zurückgegeben hatten. Wenn sie das getan hatten, verschafften sie sich in einem anschließenden Strategiespiel eher einen unfairen Vorteil als Versuchspersonen, die sich zuvor ein beliebiges Ereignis ins Gedächtnis rufen sollten. Motto: Hat man bereits Karmapunkte gesammelt, mogelt es sich viel ungenierter.
Die Internet-Crowd verzeiht rasch
Inzwischen ist Fynn längst wieder sympathisch verstrahlt geschäftsführend tätig. Was, wie ich vermute, viel mit unserer onlineaffinen Zeit zu tun hat: Die Internet-Crowd verzeiht einfach rasch, wenn das nächste edle Motiv in der Timeline schon um die Ecke lugt. Und das hilft smarten Guttuern schon sehr beim »ethics washing«, wie man so neudeutsch sagt. Aber Psychologen glauben bekanntlich immer an das Gute im Menschen, und so will auch ich es halten.
Stimmen Sie zum Schluss bitte absolut ehrlich in meiner Blitzumfrage ab: Wie viele gute Taten brauchen Sie im Durchschnitt, um einmal aus purem Eigennutz zu flunkern?
– gar keine
– viele
– Ich flunkere nie!
Schreiben Sie uns!
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