Direkt zum Inhalt

Hirschhausens Hirnschmalz: Muss man dran glauben?

Eckart von Hirschhausen

Auf einer Skala von 1 bis 5: Wie stark glauben Sie an Gott? Gar nicht, ein bisschen, so mittel, stark oder sehr stark? Keine einfache Frage. Aber eine wichtige, nicht nur fürs Leben, sondern auch für die Psychiatrie. Dem Klischee nach werden dort ständig Menschen eingeliefert, die sich für Gott halten. In Wirklichkeit ist die Diagnose Depression viel häufiger, die Patienten halten also eher unterdurchschnittlich viel von sich. ­Offenbar beeinflusst aber die Frage, wie viel sie von Gott halten, ob eine Psychotherapie bei ihnen wirkt. Das zumindest ergab eine Studie der Harvard Medical School an 159 Patienten einer psychiatrischen Tagesklinik.

Die Teilnehmer absolvierten eine kognitive Verhaltenstherapie, ein etabliertes Verfahren, das gut wirkt. Aber nicht bei jedem. Probanden, die vor der Behandlung angaben, gläubig zu sein, fühlten sich anschließend mit größerer Wahrscheinlichkeit besser. Entscheidend dafür, ob eine Therapie funktioniert, ist unter anderem die Erwartungshaltung: Wer davon überzeugt ist, wieder gesund werden zu können, wird es auch eher. Man muss also daran glauben – an sich, das Verfahren und den Therapeuten. Und Menschen, die an Gott glauben, tun sich nachweislich leichter damit, in Halbgötter in Weiß und anderes ­Bodenpersonal ebenfalls Hoffnung zu setzen.

Psychotest

Woran glauben Sie? An ...

  1. A) Gott
  2. B) die Welt
  3. C) nichts
  4. D) Psychotests

Die Studie lässt wie üblich einige spannende Fragen offen: Wenn ich als Kind viel von einem strafenden Gott gehört habe, traue ich mich dann überhaupt, auf der Skala etwas anderes als 5 anzukreuzen? Selbst wenn ich nicht dran glaube – nur für den nicht auszuschließen­den Fall, dass Gott doch alles sieht? Und wenn ich "gar nicht" ankreuze, kann ich dann nicht trotzdem hoffen, eines Besseren belehrt zu werden? Wenn es einen mächtigen Gott gibt, warum hat er die Depression nicht gleich vor ihrem Entstehen verhindert? Oder ist es im Gegenteil so: Wenn der Mensch Gott zum Ebenbild erschaffen wurde, deutet die Häufigkeit von Depressionen nicht darauf hin, dass Gott auch mal einen schlechten Tag hat? Oder viele hintereinander!

Ich habe mal den schönen Satz gehört: "Ein paar Dinge sind Gott wichtig, Religion gehört nicht dazu." Und das bestätigte die Studie. Denn in früheren Untersuchungen fragten die Forscher ihre Probanden meistens, ob diese regelmäßig in die Kirche gehen, womit sie andere Formen des Glaubens an eine höhere Macht ignorierten. Die Wissenschaftler um David Rosmarin fragten hingegen nicht nach dem Kirchgang, sondern nur nach dem inneren Gefühl. Und auf das scheint es anzukommen. Die Konfession spielte dagegen keine Rolle, evangelisch, katholisch oder jüdisch war egal – Gott sei Dank. Auch die Tendenz, sich selbst etwas anzutun, war bei den Gläubigen deutlich geringer ausgeprägt.

Könnte man dann nicht den Glauben an Gott direkt verordnen? Das wurde über Jahrtausende versucht, ohne Erfolg. Doch 200 Jahre nach Beginn der Aufklärung und Säkularisierung ist immer noch die Mehrheit der Menschen gläubig. Mehr oder minder freiwillig. Süße Illusion, bittere Pille oder freier Wille? Gott wirkt, auch wenn es ihn nicht geben sollte.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen
Rosmarin, D. H. et al.: A Test of Faith in God and Treatment: The Relationship of Belief in God to Psychiatric Treatment Outcomes. In: Journal of Affective Disorders 146, S. 441–446, 2013

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.