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Springers Einwürfe: Ein grüneres Dach über dem Kopf

Der Hausbau hat sich im Lauf der Geschichte nicht grundlegend verändert. Wie kann er nachhaltig werden?
Eine futuristische, halbkugelförmige Struktur aus weißen, organisch geformten Streben, die mit üppigem, grünem und gelbem Laub bedeckt sind, vor einem hellgrünen Hintergrund.
Sparsam filigran, organisch gewunden und stabil, außerdem nachhaltig und naturnah: Sieht nach der Betonmaterialschlacht des vergangenen Jahrhunderts so die Zukunft aus?
Ist die Energiewende sauber durchgerechnet? Kann die Forschung wirklich die Zukunft voraussagen? Und widerspricht die Quantenphysik sich selbst? In seinen Kommentaren geht der Physiker und Schriftsteller Michael Springer diesen und anderen Fragen am Rande des aktuellen Wissenschaftsgeschehens nach. Seit 2005 erscheint seine Kolumne »Springers Einwürfe«.

Die Menschheit hat binnen Kurzem spektakuläre Technologien entwickelt, die einem zeitreisenden Goethe wie Magie erscheinen würden: Ein Knopfdruck macht Licht, Passanten reden lebhaft mit Unsichtbaren, Fluggeräte befördern Urlauber durch die Luft zu den Antipoden des Erdenrunds.

Erst in den vier Wänden würde ein Besucher aus der Kutschenzeit halbwegs zur Ruhe kommen. Die Technik des Hausbaus beruht seit Urzeiten darauf, bearbeitete Mineralien – Steine, Ziegel, Beton – aufeinanderzutürmen. Unter dem Druck der Schwerkraft und der Klebewirkung von Mörtel bilden sie stabile Mauern, Dächer oder Kuppeln.

Vor 130 Jahren, im Juli 1895, wurde ein Visionär geboren, der die Architektur von der Last ihrer Vergangenheit befreien wollte. Der US-Amerikaner Robert Buckminster Fuller, Autodidakt und Futurist, träumte von Häusern, die filigran und doch stabil sind, weil sie die Schwerkraft durch das Wechselspiel von Druck und Zug zum Tanzen bringen.

Fuller konzipierte Wohnungen, die Raumschiffkabinen gleichen, Hochhäuser, die von Luftschiffen abgesetzt werden, und Türme aus Stäben und Seilen, die unter der eigenen Spannung gegen jede Intuition aufrecht stehen. Geblieben sind von solchen Visionen die selbsttragenden Fuller-Kuppeln, deren Kugelform durch ein Vieleck aus raffiniert angeordneten ebenen Elementen approximiert wird. Wegen der Ähnlichkeit tragen die sphärischen Kohlenstoffmoleküle C60 den Namen Fullerene oder salopp Buckyballs.

Absolut modern ist Fullers ganzheitliche Sicht auf die globalen Probleme von Mensch und Umwelt. Freilich mutet Fullers Idee, Häuser wie Flugzeuge aus Aluminium zu bauen, unter dem Materialaspekt wenig umweltgerecht an; ihn kümmerte der Energieaufwand bei der Herstellung weniger als die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Flugzeugindustrie grassierende Arbeitslosigkeit.

Heute hingegen steht der Materialverbrauch im Vordergrund – konkret die CO2-Bilanz von Beton. Jedes Jahr verbaut die Menschheit rund 30 Milliarden Tonnen Beton mit der unverzichtbaren Zutat Zement. Bei dessen Herstellung müssen unter anderem Temperaturen von fast 1500 Grad erzeugt werden. Das trägt fünf bis acht Prozent zur Gesamtbilanz der Treibhausgasemissionen bei. Lässt sich Bauen neu denken, so dass es dem Klima weniger schadet oder sogar nützen könnte?

Tatsächlich hat ein Team um die Umweltingenieurin Elisabeth Van Roijen von der University of California in Davis gezeigt: Baumaterial ließe sich so herstellen, dass es dabei der Luft große Mengen von CO2 entzieht. Auf diese Weise könnte innovativer Beton theoretisch pro Jahr mehr als 16 Gigatonnen Kohlendioxid speichern. So etwas zu entwickeln und in industriellem Stil zu produzieren, würde zwar nicht billig, könnte aber mit den hohen Kosten von Umweltmaßnahmen in der Schwerindustrie, im Flugzeug- und Schiffsbau verrechnet werden.

Bei CO2-neutralem Beton ist noch lange nicht Schluss. Umwelttechniker von den Universitäten Schanghai, Hongkong, Macao und Texas haben den gesamten Bauprozess ins Visier genommen. Sie stellen sich Asche, Schlacke, Stäube, sogar Biokohle als Rohstoff für eine Kreislauf-Bauwirtschaft vor.

Vorfabrizierte Strukturen, wie sie schon Buckminster Fuller imaginierte, sparen Gewicht und Energie. Manche moderne Techniken überbieten Fullers Visionen, wenn etwa Gemäuer mit 3-D-Druckern aus der Tube gepresst wird. Und in Zukunft sollen Biologie und Architektur sogar verschmelzen. Nicht nur könnten Wände und Dächer Pflanzen tragen, sondern selbst organisch heranwachsen. Sobald in nachhaltigen Baustoffen Pilzfäden oder fotosynthetisch tätige Cyoanobakterien an Stelle von Zement das Material verfestigen und Häuser sich wie filigrane Lebewesen in den Himmel winden, kommt vielleicht eine Zeit, in der weder Goethe noch wir selbst unser Stadtbild wiedererkennen würden.

  • Quellen

Van Roijen, E. et al.: Building materials could store more than 16 billion tonnes of CO2 annually. Science 387, 2025

Xiao, J. et al.: How to make concrete sustainable. Nature 638, 2025

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